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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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viergesuchten Dorfe. Es sieht allerdings mehr einem Städtchen gleich, und
Wenn es auch nicht 6000 Einwohner zählt, so geben doch seine schmucken
Ziegelhäuser mit den Blumen an den Fenstern und den grünen Bänken vor
den Thüren eine allerliebste Verschmelzung städtischen und ländlichen Ansehens.
Auch da scheint es noch still zu sein; wir schreiten die ganze Länge des Ortes
durch bis dahin, wo sich der spitze, einst die Mitte des Dorfes kennzeichnende
Leuchtthurm nun am äußersten Rande erhebt und die jenes vor dem Meere
schützende Dünenkette auftaucht. Der Boden steigt gegen die hohen, nur
das dürftige Binsengrün zeigenden Sandhügel mälig an, bis sich zwischen
.ihnen ein breiter Durchschnitt öffnet, jenseits dessen es wie ein dunkler
Schleier auf und nieder wallt. Wir wissen, was das ist; und wenige Schritte
noch -- wir sind auf der Dünenhöhe: ein freudig Willkommen tönt aus
jubelnden Herzen "IKalatts, InalattA, du ewiges Meer!"

Ja, dort hinaus, so weit das Auge reicht, steigen und fallen die Wellen,
flutet die mächtige Nordsee -- das deutsche Meer. Der Strand ist flach und
eben, allein dennoch branden die Wogen mit tosenden Gebrause an und schleu¬
dern die Schaumkronen zischend empor: die Nordsee ist eben ein gewaltig Ding,
lange nicht so ruhig und sanft, wie ihre Schwester droben in den grünen
Buchten von Putbus, oder gar erst die von der Sonne des Südens warm
geküßte und verwöhnte Adria. Und darum erfaßt sie uns auch ganz anders,
viel kräftiger und stärker in ihren Armen, in die uns zu werfen wir
keinen Augenblick zögern. Der hochrädrige Badekarren führt uns hinein in
die Wogen: der Führer klopft an die dünne Wand, zum Zeichen daß er
mit dem Pferde an das Ufer zurückkehrt und uns allein mit Wind und Meer
läßt. Nun rasch die Wassertoilette gemacht und dann hinaus auf die kleine
Treppe, auf die schon die Wellen lockend heraufkommen, uns zum Tanze oder
auch zum Kampfe mit ihnen zu laden, und nun kühn und beherzt, gern und
willig, hinab zu ihnen, hinein in sie! Sie lohnen solch freudiges Entgegen¬
kommen, immer schmeichelnder und wonniger wird ihr Spiel und gerade
dann, wenn sie einen ganz in ihren süßschaurigen Umarmungen begraben --
nur mit Mühe reißen wir uns aus ihrem Zauberbanne los, nur die Stunde
ersehnend, wenn es wieder uns umfangen soll.

Sowie wir aus dem Badekarren wieder ans Land gestiegen sind, sehen wir
uun auch allenthalben reges Leben und Treiben erwacht; die mannigfaltigsten
Bilder eines Seebades rollen sich am Strande und draußen auf der See auf.
Wir beobachten sie, indem wir auf der Terasse des schönen Kurgebäudes unser
Frühstück nehmen. Draußen auf dem Meere schwimmt die kleine Fischerflotille
der Scheveninger mit dem Fange der Nacht der Heimkehr zu. Eine Barke segelt
der andern voran und legt bald am Rande an. Gleich darauf tönt der helle
Klang eines metallnen Beckens an unser Ohr: der Ausrufer der Fischver-


viergesuchten Dorfe. Es sieht allerdings mehr einem Städtchen gleich, und
Wenn es auch nicht 6000 Einwohner zählt, so geben doch seine schmucken
Ziegelhäuser mit den Blumen an den Fenstern und den grünen Bänken vor
den Thüren eine allerliebste Verschmelzung städtischen und ländlichen Ansehens.
Auch da scheint es noch still zu sein; wir schreiten die ganze Länge des Ortes
durch bis dahin, wo sich der spitze, einst die Mitte des Dorfes kennzeichnende
Leuchtthurm nun am äußersten Rande erhebt und die jenes vor dem Meere
schützende Dünenkette auftaucht. Der Boden steigt gegen die hohen, nur
das dürftige Binsengrün zeigenden Sandhügel mälig an, bis sich zwischen
.ihnen ein breiter Durchschnitt öffnet, jenseits dessen es wie ein dunkler
Schleier auf und nieder wallt. Wir wissen, was das ist; und wenige Schritte
noch — wir sind auf der Dünenhöhe: ein freudig Willkommen tönt aus
jubelnden Herzen „IKalatts, InalattA, du ewiges Meer!"

Ja, dort hinaus, so weit das Auge reicht, steigen und fallen die Wellen,
flutet die mächtige Nordsee — das deutsche Meer. Der Strand ist flach und
eben, allein dennoch branden die Wogen mit tosenden Gebrause an und schleu¬
dern die Schaumkronen zischend empor: die Nordsee ist eben ein gewaltig Ding,
lange nicht so ruhig und sanft, wie ihre Schwester droben in den grünen
Buchten von Putbus, oder gar erst die von der Sonne des Südens warm
geküßte und verwöhnte Adria. Und darum erfaßt sie uns auch ganz anders,
viel kräftiger und stärker in ihren Armen, in die uns zu werfen wir
keinen Augenblick zögern. Der hochrädrige Badekarren führt uns hinein in
die Wogen: der Führer klopft an die dünne Wand, zum Zeichen daß er
mit dem Pferde an das Ufer zurückkehrt und uns allein mit Wind und Meer
läßt. Nun rasch die Wassertoilette gemacht und dann hinaus auf die kleine
Treppe, auf die schon die Wellen lockend heraufkommen, uns zum Tanze oder
auch zum Kampfe mit ihnen zu laden, und nun kühn und beherzt, gern und
willig, hinab zu ihnen, hinein in sie! Sie lohnen solch freudiges Entgegen¬
kommen, immer schmeichelnder und wonniger wird ihr Spiel und gerade
dann, wenn sie einen ganz in ihren süßschaurigen Umarmungen begraben —
nur mit Mühe reißen wir uns aus ihrem Zauberbanne los, nur die Stunde
ersehnend, wenn es wieder uns umfangen soll.

Sowie wir aus dem Badekarren wieder ans Land gestiegen sind, sehen wir
uun auch allenthalben reges Leben und Treiben erwacht; die mannigfaltigsten
Bilder eines Seebades rollen sich am Strande und draußen auf der See auf.
Wir beobachten sie, indem wir auf der Terasse des schönen Kurgebäudes unser
Frühstück nehmen. Draußen auf dem Meere schwimmt die kleine Fischerflotille
der Scheveninger mit dem Fange der Nacht der Heimkehr zu. Eine Barke segelt
der andern voran und legt bald am Rande an. Gleich darauf tönt der helle
Klang eines metallnen Beckens an unser Ohr: der Ausrufer der Fischver-


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[0233] viergesuchten Dorfe. Es sieht allerdings mehr einem Städtchen gleich, und Wenn es auch nicht 6000 Einwohner zählt, so geben doch seine schmucken Ziegelhäuser mit den Blumen an den Fenstern und den grünen Bänken vor den Thüren eine allerliebste Verschmelzung städtischen und ländlichen Ansehens. Auch da scheint es noch still zu sein; wir schreiten die ganze Länge des Ortes durch bis dahin, wo sich der spitze, einst die Mitte des Dorfes kennzeichnende Leuchtthurm nun am äußersten Rande erhebt und die jenes vor dem Meere schützende Dünenkette auftaucht. Der Boden steigt gegen die hohen, nur das dürftige Binsengrün zeigenden Sandhügel mälig an, bis sich zwischen .ihnen ein breiter Durchschnitt öffnet, jenseits dessen es wie ein dunkler Schleier auf und nieder wallt. Wir wissen, was das ist; und wenige Schritte noch — wir sind auf der Dünenhöhe: ein freudig Willkommen tönt aus jubelnden Herzen „IKalatts, InalattA, du ewiges Meer!" Ja, dort hinaus, so weit das Auge reicht, steigen und fallen die Wellen, flutet die mächtige Nordsee — das deutsche Meer. Der Strand ist flach und eben, allein dennoch branden die Wogen mit tosenden Gebrause an und schleu¬ dern die Schaumkronen zischend empor: die Nordsee ist eben ein gewaltig Ding, lange nicht so ruhig und sanft, wie ihre Schwester droben in den grünen Buchten von Putbus, oder gar erst die von der Sonne des Südens warm geküßte und verwöhnte Adria. Und darum erfaßt sie uns auch ganz anders, viel kräftiger und stärker in ihren Armen, in die uns zu werfen wir keinen Augenblick zögern. Der hochrädrige Badekarren führt uns hinein in die Wogen: der Führer klopft an die dünne Wand, zum Zeichen daß er mit dem Pferde an das Ufer zurückkehrt und uns allein mit Wind und Meer läßt. Nun rasch die Wassertoilette gemacht und dann hinaus auf die kleine Treppe, auf die schon die Wellen lockend heraufkommen, uns zum Tanze oder auch zum Kampfe mit ihnen zu laden, und nun kühn und beherzt, gern und willig, hinab zu ihnen, hinein in sie! Sie lohnen solch freudiges Entgegen¬ kommen, immer schmeichelnder und wonniger wird ihr Spiel und gerade dann, wenn sie einen ganz in ihren süßschaurigen Umarmungen begraben — nur mit Mühe reißen wir uns aus ihrem Zauberbanne los, nur die Stunde ersehnend, wenn es wieder uns umfangen soll. Sowie wir aus dem Badekarren wieder ans Land gestiegen sind, sehen wir uun auch allenthalben reges Leben und Treiben erwacht; die mannigfaltigsten Bilder eines Seebades rollen sich am Strande und draußen auf der See auf. Wir beobachten sie, indem wir auf der Terasse des schönen Kurgebäudes unser Frühstück nehmen. Draußen auf dem Meere schwimmt die kleine Fischerflotille der Scheveninger mit dem Fange der Nacht der Heimkehr zu. Eine Barke segelt der andern voran und legt bald am Rande an. Gleich darauf tönt der helle Klang eines metallnen Beckens an unser Ohr: der Ausrufer der Fischver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/233>, abgerufen am 27.07.2024.