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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Natürlich wird deshalb dieser kleine Schmuggel von der unteren Klasse eifrig,
und in großem Maßstabe betrieben, und die Mafiusi find die Hauptarbeiter
dabei.

Kein Gesetz kann ihrer Genossenschaft beikommen, ausgenommen das
Standrecht; denn sie sind allem Anschein nach, abgesehen von den berufs¬
mäßigen Messerhelden unter ihnen, die ruhigsten und harmlosesten Leute von
der Welt, wohlmeinend, gefürchtet, geachtet und oft selbst geliebt in ihren
Bezirken, ihren Dörfern und Städten, wo sie unter ihrer Klasse und den
Aermeren nicht selten viel Gutes wirken. Man findet sie in allen unteren
Ständen der Bevölkerung, unter Fiakerkutschern, Maurern, Markthökern,
Fischern, Feldarbeitern und Tagelöhnern im Allgemeinen, selbst unter der
Klasse der Dienstboten.

Bei einer Gelegenheit hatte ich einen Diener weggejagt, well er mir
einige silberne Löffel versetzt und das Geld verspielt hatte. Sofort bewarben
sich einige andere Diener um die Stelle, aber ich bemerkte, daß jeder sich erst
nach dem Grunde erkundigte, aus dem ich meinen letzten Bedienten entlassen
habe. Die Ursache war, daß nicht ein einziger von diesen Leuten eingewilligt
haben würde, in meine Dienste zu treten, wenn ich meinen letzten Diener
ohne Grund oder aus keinem genügenden Grunde weggeschickt hätte. Die
Mafiusi der dienenden Klasse würden es verboten, und kein Mitglied dieser
Klasse würde gewagt haben, gegen das Verbot zu handeln. Dasselbe läßt
sich von allen andern Berufsarten sagen. Sie haben ihre Spione, ihre Polizei,
ihre Gerichtshöfe, Prozesse und Strafen, welche letzteren die Schuldigen sicher
und oft recht schwer treffen.

Ein englischer Reisender gerieth in Zorn über einen Droschkenkutscher in
Palermo, welche Stadt das große Hauptquartier der Mafiusi ist, und versetzte
ihm einen Stoß, daß er vom Bocke hinunterfiel. Wären sie an einem ab¬
gelegnen Orte gewesen, so würde der Englishman vermuthlich für seine Roh¬
heit einen Messerstich bekommen haben; denn diese Leute sind sehr empfindlich
für jede körperliche Mißhandlung, namentlich aber nehmen sie es ungemein
übel, wenn Jemand die Hand gegen sie aufhebt. Bei dieser Gelegenheit jedoch
begnügte sich der Kutscher, da der Vorfall auf einem menschenerfüllten Platze
und vor einer Wache stattfand, sich in den Finger zu beißen und zu sagen:
"N<z Is, MZKerai" (das sollst Du mir bezahlen). Der Engländer erzählte
die Geschichte seinem Wirthe, der ihm den Rath ertheilte, niemals zu Nacht¬
zeit auszugehen und sich ebensowenig nach einem abgelegnen Orte zu begeben,
da diese Menschenklasse sehr rachsüchtig sei. Der heißblutige Sohn Albions
befolgte diesen Rath, und es geschah ihm nichts Arges. Nur konnte er von
jetzt an nie mehr einen Droschkenkutscher finden, der bereit war, ihn irgend-
wohin zu fahren. Wenn er sich an einen solchen Rosselenker wendete, war


Natürlich wird deshalb dieser kleine Schmuggel von der unteren Klasse eifrig,
und in großem Maßstabe betrieben, und die Mafiusi find die Hauptarbeiter
dabei.

Kein Gesetz kann ihrer Genossenschaft beikommen, ausgenommen das
Standrecht; denn sie sind allem Anschein nach, abgesehen von den berufs¬
mäßigen Messerhelden unter ihnen, die ruhigsten und harmlosesten Leute von
der Welt, wohlmeinend, gefürchtet, geachtet und oft selbst geliebt in ihren
Bezirken, ihren Dörfern und Städten, wo sie unter ihrer Klasse und den
Aermeren nicht selten viel Gutes wirken. Man findet sie in allen unteren
Ständen der Bevölkerung, unter Fiakerkutschern, Maurern, Markthökern,
Fischern, Feldarbeitern und Tagelöhnern im Allgemeinen, selbst unter der
Klasse der Dienstboten.

Bei einer Gelegenheit hatte ich einen Diener weggejagt, well er mir
einige silberne Löffel versetzt und das Geld verspielt hatte. Sofort bewarben
sich einige andere Diener um die Stelle, aber ich bemerkte, daß jeder sich erst
nach dem Grunde erkundigte, aus dem ich meinen letzten Bedienten entlassen
habe. Die Ursache war, daß nicht ein einziger von diesen Leuten eingewilligt
haben würde, in meine Dienste zu treten, wenn ich meinen letzten Diener
ohne Grund oder aus keinem genügenden Grunde weggeschickt hätte. Die
Mafiusi der dienenden Klasse würden es verboten, und kein Mitglied dieser
Klasse würde gewagt haben, gegen das Verbot zu handeln. Dasselbe läßt
sich von allen andern Berufsarten sagen. Sie haben ihre Spione, ihre Polizei,
ihre Gerichtshöfe, Prozesse und Strafen, welche letzteren die Schuldigen sicher
und oft recht schwer treffen.

Ein englischer Reisender gerieth in Zorn über einen Droschkenkutscher in
Palermo, welche Stadt das große Hauptquartier der Mafiusi ist, und versetzte
ihm einen Stoß, daß er vom Bocke hinunterfiel. Wären sie an einem ab¬
gelegnen Orte gewesen, so würde der Englishman vermuthlich für seine Roh¬
heit einen Messerstich bekommen haben; denn diese Leute sind sehr empfindlich
für jede körperliche Mißhandlung, namentlich aber nehmen sie es ungemein
übel, wenn Jemand die Hand gegen sie aufhebt. Bei dieser Gelegenheit jedoch
begnügte sich der Kutscher, da der Vorfall auf einem menschenerfüllten Platze
und vor einer Wache stattfand, sich in den Finger zu beißen und zu sagen:
„N<z Is, MZKerai" (das sollst Du mir bezahlen). Der Engländer erzählte
die Geschichte seinem Wirthe, der ihm den Rath ertheilte, niemals zu Nacht¬
zeit auszugehen und sich ebensowenig nach einem abgelegnen Orte zu begeben,
da diese Menschenklasse sehr rachsüchtig sei. Der heißblutige Sohn Albions
befolgte diesen Rath, und es geschah ihm nichts Arges. Nur konnte er von
jetzt an nie mehr einen Droschkenkutscher finden, der bereit war, ihn irgend-
wohin zu fahren. Wenn er sich an einen solchen Rosselenker wendete, war


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/22>, abgerufen am 27.11.2024.