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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Gevangepoort heißt, saß 1672 Cornelius de Wit, fälschlich einer Verschwörung
gegen das Leben des Prinzen Wilhelm's III. von Oranien angeklagt. Als sich
gerade sein Bruder Johann, der "Großpensionär" der Republik, zum Schutze
des Gefangenen in dessen Gemach begeben hatte, drängte ihm der von der
oranischen Partei aufgesetzte Pöbel nach, bemächtigte sich der beiden Brüder
und riß sie auf die eannibalischste Weise im eigentlichen Sinne des Wortes
in Stücke.

Es ist gut, daß wir gleich unmittelbar von den unheimlichen Reminis¬
cenzen des Briten- und Binnenhofs zu freundlicheren Eindrücken überleiten
können. Vor dem östlichen Eingang des letzteren steht ein einzelnes Haus
mit vergitterten Vorhofe, das nach seinem Erbauer, dem Prinzen Moritz von
Nassau (starb 1663), "Prinz-Moritz.Haus" genannt wird. In ihm befindet
sich das "Museum," eine der interessantesten und reichhaltigsten Sammlungen
der Niederlande. Die in ihm zusammengetragenen Kunstschätze scheiden sich
in verschiedene Abtheilungen, und sind aus verschiedenen Reichen hergeholt,
gehören ganz verschiedenen Richtungen an: -- einem fernen, abgeschlossenen
Volke, dessen Gegenwart eine uralte Vergangenheit ist, dem Leben und der
Wahrheit der Geschichte, und den Idealen der Kunst. Zu letzteren kommen
wir zuerst: aus dem hellen hohen Treppenhaus treten wir zunächst in die
Gemäldegalerie. Sie ist die bestgeordnete, auch in der Ausstattung der
Räume, in welcher sie sich befindet, ihrer Schätze würdigste des Landes.
Die Niederlande sind so gut Wallfahrtsziel für die Künstler und Kunst-
freunde, wie Italien. Aber das gilt mehr eigentlich für Belgien, als für
Holland. Dort gibt es fast nur kunstgerechte Städte, sei es in Bezug auf
Museen, Kirchen oder monumentale Erscheinungen. In Holland tritt die
Kunst mehr sporadisch auf oder ist auch mehr versteckt, stellt sich nicht so in
die augenfällige volksbewußte Oeffentlichkeit, wie im Nachbarlande. Des heu¬
tigen Holländers Anschauungen sind nicht die idealen, welche jenes Gebiet zu
einem Lebensgebiet machen. Seine Galerien und Museen zeigen nicht den
Glanz und die freudig geschenkte Pracht der liberalen Ausstattung anderer
Sammlungen, sie liegen fast neben draußen, ihre Anordnung läßt viel zu
wünschen übrig; man muß sie sich besonders öffnen lassen, tritt dann in
dumpfe Säle und wandelt fast allein an all den prächtigen Bildern vorüber,
die in andern Verhältnissen gewiß ein stets vorhandenes, immer sich erneuern¬
des Publikum um sich sammeln würden. Die Holländer mögen stolz sein
auf ihre Kunstschätze, aber sie zeigen das nicht durch irgend eine Art von
Cultus; es war mir wenigstens eigenthümlich, in keiner einzigen Sammlung,
mit der einzigen Ausnahme derer im Haag, ein Landeskind unter den
spärlichen Besuchern zu sehen. In Antwerpen, Brügge, Brüssel war das
ganz anders.




Gevangepoort heißt, saß 1672 Cornelius de Wit, fälschlich einer Verschwörung
gegen das Leben des Prinzen Wilhelm's III. von Oranien angeklagt. Als sich
gerade sein Bruder Johann, der „Großpensionär" der Republik, zum Schutze
des Gefangenen in dessen Gemach begeben hatte, drängte ihm der von der
oranischen Partei aufgesetzte Pöbel nach, bemächtigte sich der beiden Brüder
und riß sie auf die eannibalischste Weise im eigentlichen Sinne des Wortes
in Stücke.

Es ist gut, daß wir gleich unmittelbar von den unheimlichen Reminis¬
cenzen des Briten- und Binnenhofs zu freundlicheren Eindrücken überleiten
können. Vor dem östlichen Eingang des letzteren steht ein einzelnes Haus
mit vergitterten Vorhofe, das nach seinem Erbauer, dem Prinzen Moritz von
Nassau (starb 1663), „Prinz-Moritz.Haus" genannt wird. In ihm befindet
sich das „Museum," eine der interessantesten und reichhaltigsten Sammlungen
der Niederlande. Die in ihm zusammengetragenen Kunstschätze scheiden sich
in verschiedene Abtheilungen, und sind aus verschiedenen Reichen hergeholt,
gehören ganz verschiedenen Richtungen an: — einem fernen, abgeschlossenen
Volke, dessen Gegenwart eine uralte Vergangenheit ist, dem Leben und der
Wahrheit der Geschichte, und den Idealen der Kunst. Zu letzteren kommen
wir zuerst: aus dem hellen hohen Treppenhaus treten wir zunächst in die
Gemäldegalerie. Sie ist die bestgeordnete, auch in der Ausstattung der
Räume, in welcher sie sich befindet, ihrer Schätze würdigste des Landes.
Die Niederlande sind so gut Wallfahrtsziel für die Künstler und Kunst-
freunde, wie Italien. Aber das gilt mehr eigentlich für Belgien, als für
Holland. Dort gibt es fast nur kunstgerechte Städte, sei es in Bezug auf
Museen, Kirchen oder monumentale Erscheinungen. In Holland tritt die
Kunst mehr sporadisch auf oder ist auch mehr versteckt, stellt sich nicht so in
die augenfällige volksbewußte Oeffentlichkeit, wie im Nachbarlande. Des heu¬
tigen Holländers Anschauungen sind nicht die idealen, welche jenes Gebiet zu
einem Lebensgebiet machen. Seine Galerien und Museen zeigen nicht den
Glanz und die freudig geschenkte Pracht der liberalen Ausstattung anderer
Sammlungen, sie liegen fast neben draußen, ihre Anordnung läßt viel zu
wünschen übrig; man muß sie sich besonders öffnen lassen, tritt dann in
dumpfe Säle und wandelt fast allein an all den prächtigen Bildern vorüber,
die in andern Verhältnissen gewiß ein stets vorhandenes, immer sich erneuern¬
des Publikum um sich sammeln würden. Die Holländer mögen stolz sein
auf ihre Kunstschätze, aber sie zeigen das nicht durch irgend eine Art von
Cultus; es war mir wenigstens eigenthümlich, in keiner einzigen Sammlung,
mit der einzigen Ausnahme derer im Haag, ein Landeskind unter den
spärlichen Besuchern zu sehen. In Antwerpen, Brügge, Brüssel war das
ganz anders.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/195>, abgerufen am 27.11.2024.