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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Bedeutung und wurden aus Worten, welche Tadel und Unehre einschlossen,
zu einer Art Ehrentitel. Ein Mafiuso zu sein, heißt in der jetzigen Bedeutung
des Wortes unter Sicilianern nichts mehr und nichts weniger als ein
tapferer Mann, ein Mann, der sich vor niemand fürchtet, sein, und manche
gute Mutter spricht von ihrem Knaben als von einem kleinen Mafiuso oder
Malandrino, womit sie sagen will, er sei ein wackrer, aufgeweckter Junge.

Eine der ersten Verfügungen Garibaldi's nach seiner Eroberung Sici-
liens war, daß er in seiner Eigenschaft als Dictator die oompagiiie ä'armi
auflöste und unterdrückte, wodurch er diesem schmachvollen Systeme officieller
Räuberei und Brandschatzung den Todesstoß versetzte. Die unmittelbare Folge
aber war eine Zunahme der Zahl der Mafiufi, indem die Hauptleute und Mann¬
schaften der Compagnien, als ihnen die Gunst der Regierung entzogen war,
natürlich zu dem Handwerke zurückkehrten, aus welchem sie hervor gegangen
waren. Sie schlössen sich ihren alten Bundesbrüdern und Schützlingen an,
und ihre Banden erhielten eine furchtbare Verstärkung durch die Gefangenen
und Sträflinge, die während der Revolution aus den Gefängnissen und Zucht¬
häusern entlassen wurden, und so bildete sich eine weitverbreitete geheime Ge¬
nossenschaft, deren Verzweigungen sich über alle niederen Klassen der sicilischen
Gesellschaft und selbst höher hinauf erstrecken. Der Bund hat ein förmliches
Gesetzbuch, die "omsrtg," genannt, dessen Bestimmungen die Mitglieder unver¬
brüchlich zu halten haben. Die Hauptparagraphen dieses Codex sind: "Jeder
hat Abhülfe bei ihm widerfahrener Unbill mit eigener Hand zu suchen", und:
"Niemand darf vor dem Richter Zeugniß ablegen, selbst wenn er der ge¬
schädigte Theil ist." Gehorsam den Regeln dieses Gesetzbuches, werden selbst
die achtbarsten unter dem gemeinen Volke niemals Zeugniß vor Gericht ab¬
legen, wenn sie zufällig Zuschauer bei einem Verbrechen gewesen sind, und nicht
allein das, sie werden es für ihre Pflicht und für eine edle Handlung an¬
sehen, einen Meuchelmörder oder sonst einen schweren Verbrecher vor der Ver¬
folgung der Gerechtigkeit zu verbergen; denn nach jenem Codex soll "nicht
die Gerechtigkeit, sondern der Lebende den Todten rächen", und daher kommen
die Gesetze der Vendetta.

Die Mafia der Insel Sieilien ist eine ganz regelmäßig organisirte Ge¬
nossenschaft. Die Mitglieder nennen sich "^iovani ä'onors", ehrenhafte Jüng¬
linge, und die Aufnahme in den Bund findet erst statt, nachdem man ihre
bisherige Aufführung geprüft hat, und bis sie eine Probe durch einen Zwei¬
kampf bestanden haben.

Es giebt jedoch zwei Klassen der Mafiufi, solche nämlich, welche ein An¬
recht auf einen Theil des Ertrags der Besteuerung der Grundbesitzer mit
Schutzgeld und auf eine Quote dessen haben, was der Gesellschaft die Ein-
schmuggelung von Waaren über die staatlichen oder städtischen Zollschranken


Bedeutung und wurden aus Worten, welche Tadel und Unehre einschlossen,
zu einer Art Ehrentitel. Ein Mafiuso zu sein, heißt in der jetzigen Bedeutung
des Wortes unter Sicilianern nichts mehr und nichts weniger als ein
tapferer Mann, ein Mann, der sich vor niemand fürchtet, sein, und manche
gute Mutter spricht von ihrem Knaben als von einem kleinen Mafiuso oder
Malandrino, womit sie sagen will, er sei ein wackrer, aufgeweckter Junge.

Eine der ersten Verfügungen Garibaldi's nach seiner Eroberung Sici-
liens war, daß er in seiner Eigenschaft als Dictator die oompagiiie ä'armi
auflöste und unterdrückte, wodurch er diesem schmachvollen Systeme officieller
Räuberei und Brandschatzung den Todesstoß versetzte. Die unmittelbare Folge
aber war eine Zunahme der Zahl der Mafiufi, indem die Hauptleute und Mann¬
schaften der Compagnien, als ihnen die Gunst der Regierung entzogen war,
natürlich zu dem Handwerke zurückkehrten, aus welchem sie hervor gegangen
waren. Sie schlössen sich ihren alten Bundesbrüdern und Schützlingen an,
und ihre Banden erhielten eine furchtbare Verstärkung durch die Gefangenen
und Sträflinge, die während der Revolution aus den Gefängnissen und Zucht¬
häusern entlassen wurden, und so bildete sich eine weitverbreitete geheime Ge¬
nossenschaft, deren Verzweigungen sich über alle niederen Klassen der sicilischen
Gesellschaft und selbst höher hinauf erstrecken. Der Bund hat ein förmliches
Gesetzbuch, die „omsrtg," genannt, dessen Bestimmungen die Mitglieder unver¬
brüchlich zu halten haben. Die Hauptparagraphen dieses Codex sind: „Jeder
hat Abhülfe bei ihm widerfahrener Unbill mit eigener Hand zu suchen", und:
„Niemand darf vor dem Richter Zeugniß ablegen, selbst wenn er der ge¬
schädigte Theil ist." Gehorsam den Regeln dieses Gesetzbuches, werden selbst
die achtbarsten unter dem gemeinen Volke niemals Zeugniß vor Gericht ab¬
legen, wenn sie zufällig Zuschauer bei einem Verbrechen gewesen sind, und nicht
allein das, sie werden es für ihre Pflicht und für eine edle Handlung an¬
sehen, einen Meuchelmörder oder sonst einen schweren Verbrecher vor der Ver¬
folgung der Gerechtigkeit zu verbergen; denn nach jenem Codex soll „nicht
die Gerechtigkeit, sondern der Lebende den Todten rächen", und daher kommen
die Gesetze der Vendetta.

Die Mafia der Insel Sieilien ist eine ganz regelmäßig organisirte Ge¬
nossenschaft. Die Mitglieder nennen sich „^iovani ä'onors", ehrenhafte Jüng¬
linge, und die Aufnahme in den Bund findet erst statt, nachdem man ihre
bisherige Aufführung geprüft hat, und bis sie eine Probe durch einen Zwei¬
kampf bestanden haben.

Es giebt jedoch zwei Klassen der Mafiufi, solche nämlich, welche ein An¬
recht auf einen Theil des Ertrags der Besteuerung der Grundbesitzer mit
Schutzgeld und auf eine Quote dessen haben, was der Gesellschaft die Ein-
schmuggelung von Waaren über die staatlichen oder städtischen Zollschranken


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/18>, abgerufen am 27.11.2024.