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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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von dem schon Vorhandenen des Zamera copirte (s. unten) ihre hohen Ver¬
dienste hat und daß die argen Entstellungen. unter denen das Libretto jetzt
noch leidet, dem da Ponte nicht zur Last fallen.

Nachdem durch Tirso der erste Keim gelegt war, Hai die Don Juan-Sage
in der Literatur und in der Tonkunst ziemlich üppige Blüthen getrieben. Auch
nach Mozart sind Nachblüthen zu verzeichnen, von denen wir bloß die be¬
kannte, völlig eigenthümliche, kaum mehr als durch den Namen des Helden
und einen hervorstechenden Charakterzug desselben an die ursprüngliche Sage
erinnernde Behandlung Lord Byron's und die den Faust und den Don
Juan in ein Bild verschmelzende Grabbe's (1829) erwähnen'"). Was nun
aber die von mozart'sche Entwicklung betrifft, so scheinen sich, nach Tirso's
Vorgang, zuerst italienische Comödianten des Tirso'schen Werkes bemächtigt
zu haben; so finden wir um die Mitte des 17. Jahrhunderts (1632) einen
"eouvitÄto al pistr^" des Onofrio Giliberti in Neapel aufgeführt. Aus
Italien gelangte der Stoff, und zwar durch italienische Schauspieler, nach
Paris und kam zur Aufführung daselbst auf einem Vorstadttheater. Dort
wurde Moliöre mit ihm bekannt (1665). Seine Bearbeitung, welche in Folge
eines sonderbaren Mißverständnisses den Namen ,,1s destin as ?ierre" trägt,
hat nichts hervorragendes; die Verwicklung ist matt und ohne Interesse,
Leporello-Sganarelle ist in der diesem Charakter gemäßen stereotypen Manier
gezeichnet und als der einzige tragische Charakter hebt sich der Elvirens her¬
vor. Das Publikum verhielt sich demgemäß auch kalt und die Kritik äußerte
sich unzufrieden. Aber schon einige Jahre vor Moliere hatte de Villiers den
Stoff (1659), auch er unter dem Titel "Is ksstin as xierre" (mit dem Beisatz
,.on 1s 61g criminel") behandelt und die Hauptrollen dem Vater Don Juan's
und dessen Bedienten (Philippino) gegeben. Der verhängnißvolle Titel des
''kestin as pierre" blieb auch an dem Stück des Schauspielers Dumesnil.
(als Dichter "Rosimond" genannt) haften**); der Nebentitel kou-
äryz^" sollte dem Stück wahrscheinlich einen Hauch von Originalität vindiziren.
Wirklich originell ist der Bruder des großen Corneille. Thomas, aber auf
negarive und unkünstlerische Art. indem er die eigentliche Pulsader des Stückes,
den steinernen Gast, aus dem Aufbau (1677) wegläßtI Von italienischen
Dichtern hatGoldoni (1736) den "von viovanm lenorio ossia, it Äissvluto"
auf die Bühne gebracht; er läßt (wie schon de Villiers) den Frevler vor dem
Mausoleum des ermordeten Comthurs vom Blitz erschlagen werden, aber es
fehlt auch bei ihm die Hauptsache: der steinerne Gast; auch der komische Be¬
diente ist weggefallen. -- Sogar die Engländer ließen sich die Copie nicht




*) Vgl. darüber C. Rosenkranz in seiner Schrift über Calderon's wunderthätigen Magus.
I>. 74 -- 76. Leipzig 1829.
") Auch von Doremon wird eine Bearbeitung noch vor Moliere namhaft gemacht.

von dem schon Vorhandenen des Zamera copirte (s. unten) ihre hohen Ver¬
dienste hat und daß die argen Entstellungen. unter denen das Libretto jetzt
noch leidet, dem da Ponte nicht zur Last fallen.

Nachdem durch Tirso der erste Keim gelegt war, Hai die Don Juan-Sage
in der Literatur und in der Tonkunst ziemlich üppige Blüthen getrieben. Auch
nach Mozart sind Nachblüthen zu verzeichnen, von denen wir bloß die be¬
kannte, völlig eigenthümliche, kaum mehr als durch den Namen des Helden
und einen hervorstechenden Charakterzug desselben an die ursprüngliche Sage
erinnernde Behandlung Lord Byron's und die den Faust und den Don
Juan in ein Bild verschmelzende Grabbe's (1829) erwähnen'"). Was nun
aber die von mozart'sche Entwicklung betrifft, so scheinen sich, nach Tirso's
Vorgang, zuerst italienische Comödianten des Tirso'schen Werkes bemächtigt
zu haben; so finden wir um die Mitte des 17. Jahrhunderts (1632) einen
»eouvitÄto al pistr^« des Onofrio Giliberti in Neapel aufgeführt. Aus
Italien gelangte der Stoff, und zwar durch italienische Schauspieler, nach
Paris und kam zur Aufführung daselbst auf einem Vorstadttheater. Dort
wurde Moliöre mit ihm bekannt (1665). Seine Bearbeitung, welche in Folge
eines sonderbaren Mißverständnisses den Namen ,,1s destin as ?ierre» trägt,
hat nichts hervorragendes; die Verwicklung ist matt und ohne Interesse,
Leporello-Sganarelle ist in der diesem Charakter gemäßen stereotypen Manier
gezeichnet und als der einzige tragische Charakter hebt sich der Elvirens her¬
vor. Das Publikum verhielt sich demgemäß auch kalt und die Kritik äußerte
sich unzufrieden. Aber schon einige Jahre vor Moliere hatte de Villiers den
Stoff (1659), auch er unter dem Titel «Is ksstin as xierre» (mit dem Beisatz
,.on 1s 61g criminel") behandelt und die Hauptrollen dem Vater Don Juan's
und dessen Bedienten (Philippino) gegeben. Der verhängnißvolle Titel des
''kestin as pierre" blieb auch an dem Stück des Schauspielers Dumesnil.
(als Dichter „Rosimond" genannt) haften**); der Nebentitel kou-
äryz^» sollte dem Stück wahrscheinlich einen Hauch von Originalität vindiziren.
Wirklich originell ist der Bruder des großen Corneille. Thomas, aber auf
negarive und unkünstlerische Art. indem er die eigentliche Pulsader des Stückes,
den steinernen Gast, aus dem Aufbau (1677) wegläßtI Von italienischen
Dichtern hatGoldoni (1736) den «von viovanm lenorio ossia, it Äissvluto"
auf die Bühne gebracht; er läßt (wie schon de Villiers) den Frevler vor dem
Mausoleum des ermordeten Comthurs vom Blitz erschlagen werden, aber es
fehlt auch bei ihm die Hauptsache: der steinerne Gast; auch der komische Be¬
diente ist weggefallen. — Sogar die Engländer ließen sich die Copie nicht




*) Vgl. darüber C. Rosenkranz in seiner Schrift über Calderon's wunderthätigen Magus.
I>. 74 — 76. Leipzig 1829.
") Auch von Doremon wird eine Bearbeitung noch vor Moliere namhaft gemacht.
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[0127] von dem schon Vorhandenen des Zamera copirte (s. unten) ihre hohen Ver¬ dienste hat und daß die argen Entstellungen. unter denen das Libretto jetzt noch leidet, dem da Ponte nicht zur Last fallen. Nachdem durch Tirso der erste Keim gelegt war, Hai die Don Juan-Sage in der Literatur und in der Tonkunst ziemlich üppige Blüthen getrieben. Auch nach Mozart sind Nachblüthen zu verzeichnen, von denen wir bloß die be¬ kannte, völlig eigenthümliche, kaum mehr als durch den Namen des Helden und einen hervorstechenden Charakterzug desselben an die ursprüngliche Sage erinnernde Behandlung Lord Byron's und die den Faust und den Don Juan in ein Bild verschmelzende Grabbe's (1829) erwähnen'"). Was nun aber die von mozart'sche Entwicklung betrifft, so scheinen sich, nach Tirso's Vorgang, zuerst italienische Comödianten des Tirso'schen Werkes bemächtigt zu haben; so finden wir um die Mitte des 17. Jahrhunderts (1632) einen »eouvitÄto al pistr^« des Onofrio Giliberti in Neapel aufgeführt. Aus Italien gelangte der Stoff, und zwar durch italienische Schauspieler, nach Paris und kam zur Aufführung daselbst auf einem Vorstadttheater. Dort wurde Moliöre mit ihm bekannt (1665). Seine Bearbeitung, welche in Folge eines sonderbaren Mißverständnisses den Namen ,,1s destin as ?ierre» trägt, hat nichts hervorragendes; die Verwicklung ist matt und ohne Interesse, Leporello-Sganarelle ist in der diesem Charakter gemäßen stereotypen Manier gezeichnet und als der einzige tragische Charakter hebt sich der Elvirens her¬ vor. Das Publikum verhielt sich demgemäß auch kalt und die Kritik äußerte sich unzufrieden. Aber schon einige Jahre vor Moliere hatte de Villiers den Stoff (1659), auch er unter dem Titel «Is ksstin as xierre» (mit dem Beisatz ,.on 1s 61g criminel") behandelt und die Hauptrollen dem Vater Don Juan's und dessen Bedienten (Philippino) gegeben. Der verhängnißvolle Titel des ''kestin as pierre" blieb auch an dem Stück des Schauspielers Dumesnil. (als Dichter „Rosimond" genannt) haften**); der Nebentitel kou- äryz^» sollte dem Stück wahrscheinlich einen Hauch von Originalität vindiziren. Wirklich originell ist der Bruder des großen Corneille. Thomas, aber auf negarive und unkünstlerische Art. indem er die eigentliche Pulsader des Stückes, den steinernen Gast, aus dem Aufbau (1677) wegläßtI Von italienischen Dichtern hatGoldoni (1736) den «von viovanm lenorio ossia, it Äissvluto" auf die Bühne gebracht; er läßt (wie schon de Villiers) den Frevler vor dem Mausoleum des ermordeten Comthurs vom Blitz erschlagen werden, aber es fehlt auch bei ihm die Hauptsache: der steinerne Gast; auch der komische Be¬ diente ist weggefallen. — Sogar die Engländer ließen sich die Copie nicht *) Vgl. darüber C. Rosenkranz in seiner Schrift über Calderon's wunderthätigen Magus. I>. 74 — 76. Leipzig 1829. ") Auch von Doremon wird eine Bearbeitung noch vor Moliere namhaft gemacht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/127>, abgerufen am 27.07.2024.