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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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der nationalliberalen Partei herbeizuführen u. s. w. Was die nationalliberale
Partei betrifft, auf deren Votum auch diesmal moralisch und numerisch das
Meiste ankommt, so weist der Instinkt die Mehrzahl der Partei entschieden
auf Annahme der Vorlage.

Die wichtigsten nationalliberalen Preßorgane, die "National-Ztg." voran,
haben sich auch bereits in diesem Sinne ausgesprochen. Allein man weiß,
wieviel in dieser Partei auf Laster ankommt, und Niemand weiß, wie Laster
über die evangelische Kirche denkt. Eine religiöse Studie, die er vor einiger
Zeit veröffentlichte, läßt in ihm gerade keinen Gönner dieser Kirche erwarten.
Und in der That, warum sollte er ein solcher sein? Es steht zu vermuthen,
daß er jetzt dabei ist, die Frage nach seiner Art gewissenhaft zu studiren.
Aber nach seinen Voraussetzungen kann der leitende Gesichtspunkt für ihn
kein anderer sein, als die möglichste Ungebundenheit der Individuen. Nun
besteht diese Ungebundenheit in ausreichendem Maaße; denn die Verfassung
verbürgt Jedem das Recht, einer religiösen Genossenschaft nach seiner Wahl
oder auch gar keiner anzugehören. Dies genügt aber den Doktrinären der
individuellen Ungebundenheit noch nicht. Sie verlangen, daß nun auch keine
religiöse Genossenschaft über die Grenzen einer lokalen Privatcorporation
hinaus weder geduldet, noch mit weiter reichenden Rechten versehen, noch vom
Staat unterstützt werde. Ein erzwungener Jndependentismus religiöser Lokal¬
gemeinden ist die Kirchenpolitik, welche die Fortschrittspartei nach Virchow's
Anleitung und nach dem angeblichen Beispiel der Vereinigten Staaten auf
ihre Fahne geschrieben. Sollte Laster sich zu dieser Fahne gesellen, so wird
er zwar wohl nicht seine ganze Partei zu derselben fortziehen, aber allerdings
in der Partei große Verwirrung anrichten und dieselbe zur ausschlaggebenden
Entscheidung unfähig machen, die ihr sonst zufallen müßte.

Dem Schicksal, das ihr von den Denkprozessen ihres Führers kommen
wird, muß die Partei einstweilen entgegensehen. Wir aber halten es für
dringende Pflicht, so viel uns gelingen mag, zur Orientirung beizutragen
über das, was bei dieser Frage auf dem Spiel steht. Es ist der öffentlichen
Meinung bis jetzt nicht leicht gemacht worden, den Kern der Frage zu er¬
kennen. Man hätte eine Aufklärung über denselben vor Allem erwarten
sollen von den Verhandlungen der außerordentlichen Generalsynode. Statt
dessen ist die Frage durch diese Verhandlungen sehr wenig erleuchtet worden.
Es hat dies seinen Grund wohl hauptsächlich in der einseitigen Zusammen¬
setzung der Synode, welche ein Aufeinanderplatzen der Geister in Bezug auf
den eigentlichen Inhalt der kirchlichen Frage von vornherein ausschloß. Die
Gegensätze, welche bet den Verhandlungen der Synode zu Tage traten, be¬
trafen entweder nur Nebenpunkte, die aus doktrinärer Grillenhafngteit hervor-


der nationalliberalen Partei herbeizuführen u. s. w. Was die nationalliberale
Partei betrifft, auf deren Votum auch diesmal moralisch und numerisch das
Meiste ankommt, so weist der Instinkt die Mehrzahl der Partei entschieden
auf Annahme der Vorlage.

Die wichtigsten nationalliberalen Preßorgane, die „National-Ztg." voran,
haben sich auch bereits in diesem Sinne ausgesprochen. Allein man weiß,
wieviel in dieser Partei auf Laster ankommt, und Niemand weiß, wie Laster
über die evangelische Kirche denkt. Eine religiöse Studie, die er vor einiger
Zeit veröffentlichte, läßt in ihm gerade keinen Gönner dieser Kirche erwarten.
Und in der That, warum sollte er ein solcher sein? Es steht zu vermuthen,
daß er jetzt dabei ist, die Frage nach seiner Art gewissenhaft zu studiren.
Aber nach seinen Voraussetzungen kann der leitende Gesichtspunkt für ihn
kein anderer sein, als die möglichste Ungebundenheit der Individuen. Nun
besteht diese Ungebundenheit in ausreichendem Maaße; denn die Verfassung
verbürgt Jedem das Recht, einer religiösen Genossenschaft nach seiner Wahl
oder auch gar keiner anzugehören. Dies genügt aber den Doktrinären der
individuellen Ungebundenheit noch nicht. Sie verlangen, daß nun auch keine
religiöse Genossenschaft über die Grenzen einer lokalen Privatcorporation
hinaus weder geduldet, noch mit weiter reichenden Rechten versehen, noch vom
Staat unterstützt werde. Ein erzwungener Jndependentismus religiöser Lokal¬
gemeinden ist die Kirchenpolitik, welche die Fortschrittspartei nach Virchow's
Anleitung und nach dem angeblichen Beispiel der Vereinigten Staaten auf
ihre Fahne geschrieben. Sollte Laster sich zu dieser Fahne gesellen, so wird
er zwar wohl nicht seine ganze Partei zu derselben fortziehen, aber allerdings
in der Partei große Verwirrung anrichten und dieselbe zur ausschlaggebenden
Entscheidung unfähig machen, die ihr sonst zufallen müßte.

Dem Schicksal, das ihr von den Denkprozessen ihres Führers kommen
wird, muß die Partei einstweilen entgegensehen. Wir aber halten es für
dringende Pflicht, so viel uns gelingen mag, zur Orientirung beizutragen
über das, was bei dieser Frage auf dem Spiel steht. Es ist der öffentlichen
Meinung bis jetzt nicht leicht gemacht worden, den Kern der Frage zu er¬
kennen. Man hätte eine Aufklärung über denselben vor Allem erwarten
sollen von den Verhandlungen der außerordentlichen Generalsynode. Statt
dessen ist die Frage durch diese Verhandlungen sehr wenig erleuchtet worden.
Es hat dies seinen Grund wohl hauptsächlich in der einseitigen Zusammen¬
setzung der Synode, welche ein Aufeinanderplatzen der Geister in Bezug auf
den eigentlichen Inhalt der kirchlichen Frage von vornherein ausschloß. Die
Gegensätze, welche bet den Verhandlungen der Synode zu Tage traten, be¬
trafen entweder nur Nebenpunkte, die aus doktrinärer Grillenhafngteit hervor-


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[0086] der nationalliberalen Partei herbeizuführen u. s. w. Was die nationalliberale Partei betrifft, auf deren Votum auch diesmal moralisch und numerisch das Meiste ankommt, so weist der Instinkt die Mehrzahl der Partei entschieden auf Annahme der Vorlage. Die wichtigsten nationalliberalen Preßorgane, die „National-Ztg." voran, haben sich auch bereits in diesem Sinne ausgesprochen. Allein man weiß, wieviel in dieser Partei auf Laster ankommt, und Niemand weiß, wie Laster über die evangelische Kirche denkt. Eine religiöse Studie, die er vor einiger Zeit veröffentlichte, läßt in ihm gerade keinen Gönner dieser Kirche erwarten. Und in der That, warum sollte er ein solcher sein? Es steht zu vermuthen, daß er jetzt dabei ist, die Frage nach seiner Art gewissenhaft zu studiren. Aber nach seinen Voraussetzungen kann der leitende Gesichtspunkt für ihn kein anderer sein, als die möglichste Ungebundenheit der Individuen. Nun besteht diese Ungebundenheit in ausreichendem Maaße; denn die Verfassung verbürgt Jedem das Recht, einer religiösen Genossenschaft nach seiner Wahl oder auch gar keiner anzugehören. Dies genügt aber den Doktrinären der individuellen Ungebundenheit noch nicht. Sie verlangen, daß nun auch keine religiöse Genossenschaft über die Grenzen einer lokalen Privatcorporation hinaus weder geduldet, noch mit weiter reichenden Rechten versehen, noch vom Staat unterstützt werde. Ein erzwungener Jndependentismus religiöser Lokal¬ gemeinden ist die Kirchenpolitik, welche die Fortschrittspartei nach Virchow's Anleitung und nach dem angeblichen Beispiel der Vereinigten Staaten auf ihre Fahne geschrieben. Sollte Laster sich zu dieser Fahne gesellen, so wird er zwar wohl nicht seine ganze Partei zu derselben fortziehen, aber allerdings in der Partei große Verwirrung anrichten und dieselbe zur ausschlaggebenden Entscheidung unfähig machen, die ihr sonst zufallen müßte. Dem Schicksal, das ihr von den Denkprozessen ihres Führers kommen wird, muß die Partei einstweilen entgegensehen. Wir aber halten es für dringende Pflicht, so viel uns gelingen mag, zur Orientirung beizutragen über das, was bei dieser Frage auf dem Spiel steht. Es ist der öffentlichen Meinung bis jetzt nicht leicht gemacht worden, den Kern der Frage zu er¬ kennen. Man hätte eine Aufklärung über denselben vor Allem erwarten sollen von den Verhandlungen der außerordentlichen Generalsynode. Statt dessen ist die Frage durch diese Verhandlungen sehr wenig erleuchtet worden. Es hat dies seinen Grund wohl hauptsächlich in der einseitigen Zusammen¬ setzung der Synode, welche ein Aufeinanderplatzen der Geister in Bezug auf den eigentlichen Inhalt der kirchlichen Frage von vornherein ausschloß. Die Gegensätze, welche bet den Verhandlungen der Synode zu Tage traten, be¬ trafen entweder nur Nebenpunkte, die aus doktrinärer Grillenhafngteit hervor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/86>, abgerufen am 03.07.2024.