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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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In ähnlicher Weise stellt sich das Verhältniß auf sprachlichem Gebiete.
Auch hier finden wir jahrhundertelang nicht bloß den Gegensatz zwischen
deutscher und französischer Zunge, sondern sogar das volle ja das herbe Be¬
wußtsein dieses Gegensatzes, man fühlt es aus der ganzen kulturgeschichtlichen
Entwickelung hindurch, daß Frankreich etwas anderes ist als Lothringen.
Schon die "Jungfrau von Orleans", die doch im Bereiche des Bisthums
Toul (!) geboren war, wird dafür zum frühen Zeugen wenn sie sprach, daß
sie nunmehr "nach Frankreich" gehen wolle, um das bedrängte Land zu retten,
die Herzoge von Lothringen hatten eine eigene selbständige Regierung für ihre
Unterthanen deutscher Zunge "baillags as 1'^.Il6inagll<z", und noch lauter,
als alles sprechen wohl die Ortsnamen selbst dafür, welcher Nationalität
ihre Bewohner angehören. Trotz der französischen Verkleidung fühlt man
die deutsche Endung heraus in diesen Namen von Saarburg und Finstingen,
von Falkenberg und Busendorf, von Frohnecker und Gerskirch, trotz aller
Zwangsmaßregeln, die im amtlichen Verkehr, in der Armee, in jedem Dienst¬
verhältnisse lagen, gelang es nicht, der großen Masse ihre Muttersprache zu
rauben. Wieweit diese Maßregeln indessen gingen, dafür giebt es erschreckende
Belege. So hatte die Akademie von Metz schon vor fünfzig Jahren eine
Preisfrage gestellt, durch welche Mittel wohl die deutsche Sprache am raschesten
aus Lothringen verdrängt werden möchte, und der Cynismus der betr. Ge¬
lehrten empfahl, in den betreffenden Gemeinden eine Strafsteuer zu erheben,
so lange bis Jedermann zur französischen Sprache bekehrt sei.

Wie das Verhältniß sich gegenwärtig stellt, gehören etwa 260,000 Be¬
wohner dem deutschen und 175,000 dem französischen Sprachgebiete an, der
Unterschied in den beiden Gruppen ist allenthalben merkbar, es ist ein anderes
Element der Kulturgeschichte, das hüben und drüben waltet. Fast überall,
wo wir in Lothringen größere Ortschaften oder Gemeinden finden, liegen
sie auf deutschem Gebiet, je mehr wir dagegen nach Westen kommen, desto
zersplitterter wird der Besitz, desto mehr schwinden der Sinn und die Mittel
für gemeinsame Interessen. An dieser Zersplitterung trägt natürlich vor
allem die historische Entwickelung Schuld, allein es kommt hinzu, daß auch die
französische Politik nicht das mindeste that, um das Städtewesen zu heben
und die Selbständigkeit größerer Communen zu fördern. So allein konnte
es kommen, daß ganz Lothringen nur zehn Orte mit mehr als 2000 und nur
weitere eilf mit mehr als 3000 Bewohnern besitzt.

Bei solchen numerisch kleinen Verhältnissen gewinnen natürlich die Sonder¬
interessen die Oberhand und nur allzuleicht kommt auch kleinlicher Zug in
das tägliche Leben. Die Leute finden ihr mäßiges Auskommen, zumal da sie
wenig bedürfen, aber für alle größeren Pläne fehlt es an Anregung, an
Theilnahme, an Erfolg.


In ähnlicher Weise stellt sich das Verhältniß auf sprachlichem Gebiete.
Auch hier finden wir jahrhundertelang nicht bloß den Gegensatz zwischen
deutscher und französischer Zunge, sondern sogar das volle ja das herbe Be¬
wußtsein dieses Gegensatzes, man fühlt es aus der ganzen kulturgeschichtlichen
Entwickelung hindurch, daß Frankreich etwas anderes ist als Lothringen.
Schon die „Jungfrau von Orleans", die doch im Bereiche des Bisthums
Toul (!) geboren war, wird dafür zum frühen Zeugen wenn sie sprach, daß
sie nunmehr „nach Frankreich" gehen wolle, um das bedrängte Land zu retten,
die Herzoge von Lothringen hatten eine eigene selbständige Regierung für ihre
Unterthanen deutscher Zunge „baillags as 1'^.Il6inagll<z", und noch lauter,
als alles sprechen wohl die Ortsnamen selbst dafür, welcher Nationalität
ihre Bewohner angehören. Trotz der französischen Verkleidung fühlt man
die deutsche Endung heraus in diesen Namen von Saarburg und Finstingen,
von Falkenberg und Busendorf, von Frohnecker und Gerskirch, trotz aller
Zwangsmaßregeln, die im amtlichen Verkehr, in der Armee, in jedem Dienst¬
verhältnisse lagen, gelang es nicht, der großen Masse ihre Muttersprache zu
rauben. Wieweit diese Maßregeln indessen gingen, dafür giebt es erschreckende
Belege. So hatte die Akademie von Metz schon vor fünfzig Jahren eine
Preisfrage gestellt, durch welche Mittel wohl die deutsche Sprache am raschesten
aus Lothringen verdrängt werden möchte, und der Cynismus der betr. Ge¬
lehrten empfahl, in den betreffenden Gemeinden eine Strafsteuer zu erheben,
so lange bis Jedermann zur französischen Sprache bekehrt sei.

Wie das Verhältniß sich gegenwärtig stellt, gehören etwa 260,000 Be¬
wohner dem deutschen und 175,000 dem französischen Sprachgebiete an, der
Unterschied in den beiden Gruppen ist allenthalben merkbar, es ist ein anderes
Element der Kulturgeschichte, das hüben und drüben waltet. Fast überall,
wo wir in Lothringen größere Ortschaften oder Gemeinden finden, liegen
sie auf deutschem Gebiet, je mehr wir dagegen nach Westen kommen, desto
zersplitterter wird der Besitz, desto mehr schwinden der Sinn und die Mittel
für gemeinsame Interessen. An dieser Zersplitterung trägt natürlich vor
allem die historische Entwickelung Schuld, allein es kommt hinzu, daß auch die
französische Politik nicht das mindeste that, um das Städtewesen zu heben
und die Selbständigkeit größerer Communen zu fördern. So allein konnte
es kommen, daß ganz Lothringen nur zehn Orte mit mehr als 2000 und nur
weitere eilf mit mehr als 3000 Bewohnern besitzt.

Bei solchen numerisch kleinen Verhältnissen gewinnen natürlich die Sonder¬
interessen die Oberhand und nur allzuleicht kommt auch kleinlicher Zug in
das tägliche Leben. Die Leute finden ihr mäßiges Auskommen, zumal da sie
wenig bedürfen, aber für alle größeren Pläne fehlt es an Anregung, an
Theilnahme, an Erfolg.


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[0470] In ähnlicher Weise stellt sich das Verhältniß auf sprachlichem Gebiete. Auch hier finden wir jahrhundertelang nicht bloß den Gegensatz zwischen deutscher und französischer Zunge, sondern sogar das volle ja das herbe Be¬ wußtsein dieses Gegensatzes, man fühlt es aus der ganzen kulturgeschichtlichen Entwickelung hindurch, daß Frankreich etwas anderes ist als Lothringen. Schon die „Jungfrau von Orleans", die doch im Bereiche des Bisthums Toul (!) geboren war, wird dafür zum frühen Zeugen wenn sie sprach, daß sie nunmehr „nach Frankreich" gehen wolle, um das bedrängte Land zu retten, die Herzoge von Lothringen hatten eine eigene selbständige Regierung für ihre Unterthanen deutscher Zunge „baillags as 1'^.Il6inagll<z", und noch lauter, als alles sprechen wohl die Ortsnamen selbst dafür, welcher Nationalität ihre Bewohner angehören. Trotz der französischen Verkleidung fühlt man die deutsche Endung heraus in diesen Namen von Saarburg und Finstingen, von Falkenberg und Busendorf, von Frohnecker und Gerskirch, trotz aller Zwangsmaßregeln, die im amtlichen Verkehr, in der Armee, in jedem Dienst¬ verhältnisse lagen, gelang es nicht, der großen Masse ihre Muttersprache zu rauben. Wieweit diese Maßregeln indessen gingen, dafür giebt es erschreckende Belege. So hatte die Akademie von Metz schon vor fünfzig Jahren eine Preisfrage gestellt, durch welche Mittel wohl die deutsche Sprache am raschesten aus Lothringen verdrängt werden möchte, und der Cynismus der betr. Ge¬ lehrten empfahl, in den betreffenden Gemeinden eine Strafsteuer zu erheben, so lange bis Jedermann zur französischen Sprache bekehrt sei. Wie das Verhältniß sich gegenwärtig stellt, gehören etwa 260,000 Be¬ wohner dem deutschen und 175,000 dem französischen Sprachgebiete an, der Unterschied in den beiden Gruppen ist allenthalben merkbar, es ist ein anderes Element der Kulturgeschichte, das hüben und drüben waltet. Fast überall, wo wir in Lothringen größere Ortschaften oder Gemeinden finden, liegen sie auf deutschem Gebiet, je mehr wir dagegen nach Westen kommen, desto zersplitterter wird der Besitz, desto mehr schwinden der Sinn und die Mittel für gemeinsame Interessen. An dieser Zersplitterung trägt natürlich vor allem die historische Entwickelung Schuld, allein es kommt hinzu, daß auch die französische Politik nicht das mindeste that, um das Städtewesen zu heben und die Selbständigkeit größerer Communen zu fördern. So allein konnte es kommen, daß ganz Lothringen nur zehn Orte mit mehr als 2000 und nur weitere eilf mit mehr als 3000 Bewohnern besitzt. Bei solchen numerisch kleinen Verhältnissen gewinnen natürlich die Sonder¬ interessen die Oberhand und nur allzuleicht kommt auch kleinlicher Zug in das tägliche Leben. Die Leute finden ihr mäßiges Auskommen, zumal da sie wenig bedürfen, aber für alle größeren Pläne fehlt es an Anregung, an Theilnahme, an Erfolg.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/470>, abgerufen am 25.08.2024.