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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Und doch ist diese Frage äußerst berechtigt einem Menschen gegenüber,
der fern von jener Bescheidenheit, die nach Goethe nur dem Lumpen eigen ist,
sich für den einzigen Deutschen ausgiebt, der seinem Volke den Spiegel der
Wahrheit vorhält. Denn wenn es gelingt. Herrn Sander-Masons zu über¬
führen, daß er lügt, wenn er sich zu uns Deutschen rechnet, so wird wohl
auch ein billiges Mißtrauen gegen seine sonstigen "Wahrheiten" zulässig sein.
Nun ist aber die Wahrheit die, daß Herr Sander-Masons niemals und nir¬
gends deutsches Bürgerrecht besessen hat; daß er auch gar keine Aussicht hat,
dasselbe jemals irgendwo zu erlangen. Er hat Deutschland und "Deutsche" fast
ausschließlich nur in den Redactionsbureaus jener Wiener Welfenblätter kennen
gelernt, in denen sich alle guten Geister zusammenfanden, die, wie Herr Sacher-
Masoch selbst "sich weder durch politische Erfolge noch durch Siege auf dem
Schlachtfelde bestechen ließen", aber dafür, wie Herr Julius Freese, eine leidlich
offene Hand für den Dank des Hauses Hietzing zeigten. Er verdankt aller¬
dings deutschen Erziehern und deutschen Denkern das ihm eigene Maß von
Bildung und die Fähigkeit, sich in einer europäischen Kultursprache, eben der
deutschen, auszudrücken, was ihm in seiner Muttersprache unmöglich gewesen
wäre. Aber er hat die deutsche Sprache bisher nur dazu benützt, Deutschland
zu schmähen und herunterzureißen und deutschgeschriebene Bücher herauszu¬
geben, welche den Kultus der Knute celebriren und der unnatürlichen Wollust
Altäre bauen.

Wenn die Gelehrten der Revue Ass cieux Nonäes sich durch den Zu¬
fall, daß Herr Sander-Masons deutsch schreibt, wenn er sich der einzigen
Kultursprache bedient, die ihm zu Gebote steht, dazu haben verleiten lassen,
diesen ruthenischen Galizier für einen Deutschen zu halten, so ist das Fran¬
zosen verzeihlich. Aber etwas ungünstiger ist zu urtheilen über das Verfahren
Rudolf Gottschall's, welcher diese unreinen Erzeugnisse einer östlichen Phan¬
tasie ganz ernsthaft in den verschiedenen Auflagen seiner deutschen "National¬
literatur des neunzehnten Jahrhunderts" mit aufführt, und 1875 in Ur. 25
der von ihm redigirten "Blätter für literarische Unterhaltung" zur Beseitigung
der Annahme, als könne dieser rastlos schreibende Mann einmal sich versehen
haben, mit der gewohnten Bestimmtheit versichert, daß die Schriften Sacher-
Masoch's "jedenfalls der deutschen Literatur angehören". Recht komisch
macht es sich auch, wenn in dem bekannten, von Paul Heyse u. A- ange¬
häuften deutschen "Novellenschatz" eine Erzählung Sander-Masons's sich mit
abgedruckt findet. Durch eine so kritiklose Unterwerfung unter fremdländische
Unverschämtheit, welche sich dreist in den Bann und Frieden unsres Hauses
drängt, ist die Entstehung des Aberglaubens bei Herrn Sander-Masons
einigermaßen verzeihlich: er müsse mit zu "den neueren deutschen Dichtern"
gerechnet werden -- er "zähle zu den Wenigen in Deutschland, welche", s. w.".


Und doch ist diese Frage äußerst berechtigt einem Menschen gegenüber,
der fern von jener Bescheidenheit, die nach Goethe nur dem Lumpen eigen ist,
sich für den einzigen Deutschen ausgiebt, der seinem Volke den Spiegel der
Wahrheit vorhält. Denn wenn es gelingt. Herrn Sander-Masons zu über¬
führen, daß er lügt, wenn er sich zu uns Deutschen rechnet, so wird wohl
auch ein billiges Mißtrauen gegen seine sonstigen „Wahrheiten" zulässig sein.
Nun ist aber die Wahrheit die, daß Herr Sander-Masons niemals und nir¬
gends deutsches Bürgerrecht besessen hat; daß er auch gar keine Aussicht hat,
dasselbe jemals irgendwo zu erlangen. Er hat Deutschland und „Deutsche" fast
ausschließlich nur in den Redactionsbureaus jener Wiener Welfenblätter kennen
gelernt, in denen sich alle guten Geister zusammenfanden, die, wie Herr Sacher-
Masoch selbst „sich weder durch politische Erfolge noch durch Siege auf dem
Schlachtfelde bestechen ließen", aber dafür, wie Herr Julius Freese, eine leidlich
offene Hand für den Dank des Hauses Hietzing zeigten. Er verdankt aller¬
dings deutschen Erziehern und deutschen Denkern das ihm eigene Maß von
Bildung und die Fähigkeit, sich in einer europäischen Kultursprache, eben der
deutschen, auszudrücken, was ihm in seiner Muttersprache unmöglich gewesen
wäre. Aber er hat die deutsche Sprache bisher nur dazu benützt, Deutschland
zu schmähen und herunterzureißen und deutschgeschriebene Bücher herauszu¬
geben, welche den Kultus der Knute celebriren und der unnatürlichen Wollust
Altäre bauen.

Wenn die Gelehrten der Revue Ass cieux Nonäes sich durch den Zu¬
fall, daß Herr Sander-Masons deutsch schreibt, wenn er sich der einzigen
Kultursprache bedient, die ihm zu Gebote steht, dazu haben verleiten lassen,
diesen ruthenischen Galizier für einen Deutschen zu halten, so ist das Fran¬
zosen verzeihlich. Aber etwas ungünstiger ist zu urtheilen über das Verfahren
Rudolf Gottschall's, welcher diese unreinen Erzeugnisse einer östlichen Phan¬
tasie ganz ernsthaft in den verschiedenen Auflagen seiner deutschen „National¬
literatur des neunzehnten Jahrhunderts" mit aufführt, und 1875 in Ur. 25
der von ihm redigirten „Blätter für literarische Unterhaltung" zur Beseitigung
der Annahme, als könne dieser rastlos schreibende Mann einmal sich versehen
haben, mit der gewohnten Bestimmtheit versichert, daß die Schriften Sacher-
Masoch's „jedenfalls der deutschen Literatur angehören". Recht komisch
macht es sich auch, wenn in dem bekannten, von Paul Heyse u. A- ange¬
häuften deutschen „Novellenschatz" eine Erzählung Sander-Masons's sich mit
abgedruckt findet. Durch eine so kritiklose Unterwerfung unter fremdländische
Unverschämtheit, welche sich dreist in den Bann und Frieden unsres Hauses
drängt, ist die Entstehung des Aberglaubens bei Herrn Sander-Masons
einigermaßen verzeihlich: er müsse mit zu „den neueren deutschen Dichtern"
gerechnet werden — er „zähle zu den Wenigen in Deutschland, welche», s. w.".


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/450>, abgerufen am 25.08.2024.