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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Man gehe in die Kathedrale von Se. Denis. Zu dem Gang durch die
Krypta findet sich gewöhnlich eine ganze Anzahl von Touristen zusammen.
Welcher gebildete Deutsche könnte wohl ohne eisigen Schauder in die enge
Gruft eintreten, in der die Gebeine der französischen Könige in unentwirr¬
baren Durcheinander modern, wie sie aus den von dem Wandalismus des
Convents errichteten Massengräbern wieder ausgegraben worden! Den Fran¬
zosen indeß gelingt es, an dieser Stätte namenlos tragischer Vernichtung sich
in den banalsten Redensarten zu ergehen. Dagegen erheben sie sich, wie ich
hier in Parenthese einschalten muß, zu den gewaltigsten Deklamationen über
Barbarei und Schlimmeres, wenn ihnen an einer anderen Stelle der Krypta
die verstümmelte Hand der Marmorstatue Dagobert's I. gezeigt wird mit dem
Bedeuten: "Ls fort Iss coups Ah fabr" ach VruWiens!" Ich weiß nicht,
was wahr daran ist; unmöglich wäre es ja nicht, daß irgend ein roher Ge¬
sell ein solches Bubenstück verübt hätte. Dasselbe aber schlechtweg als das
Werk der deutschen Soldaten ausgeben und entsprechend ausbeuten zu hören,
ist wirklich das Peinlichste, was dem einsamen deutschen Wanderer in Frank¬
reich begegnen kann. -- Auffallender noch, als in Se. Denis, ist mir eine
gewisse Apathie in der Grabkapelle des Jnvalidendoms entgegengetreten. Ich
kann mir kaum denken, daß ein menschliches Gemüth an diesem Ort ohne
tiefe Erschütterung bleiben könnte. Schon die wohlberechneten Lichteffecte
müssen die Stimmung des Eintretenden aufs wirksamste beeinflussen. Der
Blick in die stille Gruft, alsdann auf den majestätischen Sarkophag, der die
Asche des gewaltigen Imperators birgt, die Gedanken, welche in diesem Mo¬
ment die Seele durchstürmen, sind schlechtweg überwältigend. Aber ergreifender
als Alles, dünkt mir die Inschrift über der Eingangspforte der Gruft, die
Worte aus dem Testament des Kaisers: "Ich wünsche, daß meine Asche an
den Ufern der Seine ruhe, inmitten jenes französischen Volkes, das ich so
sehr geliebt habe." Es liegt etwas unsagbar Rührendes in dieser unerschüt¬
terten Vaterlandsliebe, die sich der gestürzte und verbannte Caesar auf dem
traurigen Felsenetland bewahrt hat. Man sollte meinen, zum mindesten kein
Franzose könnte trockenen Auges hier vorübergehen. Aber ich habe ihrer eine
ganze Anzahl passiren sehen und muß sagen, ich bin empört gewesen über
ihre Gefühllosigkeit. Sie lasen, wenn ihrer Mehrere beisammen waren, die
Inschrift laut, etwa wie man eine Bekanntmachung an einer Anschlagsäule
liest -- dann gingen sie heiteren Blickes weiter.

In der That, der sentimentale Zug -- dies Wort im guten Sinne
genommen --, der im deutschen Volkscharakter eine so bedeutende Rolle
spielt, fehlt dem Franzosen fast ganz. Deshalb soll man ihn aber doch nicht
gemüthlos schelten. In Berlin bildet man sich nicht wenig ein auf die harm¬
los herzliche Fröhlichkeit, welche an Sommersonntagen ein paar Meilen im


Man gehe in die Kathedrale von Se. Denis. Zu dem Gang durch die
Krypta findet sich gewöhnlich eine ganze Anzahl von Touristen zusammen.
Welcher gebildete Deutsche könnte wohl ohne eisigen Schauder in die enge
Gruft eintreten, in der die Gebeine der französischen Könige in unentwirr¬
baren Durcheinander modern, wie sie aus den von dem Wandalismus des
Convents errichteten Massengräbern wieder ausgegraben worden! Den Fran¬
zosen indeß gelingt es, an dieser Stätte namenlos tragischer Vernichtung sich
in den banalsten Redensarten zu ergehen. Dagegen erheben sie sich, wie ich
hier in Parenthese einschalten muß, zu den gewaltigsten Deklamationen über
Barbarei und Schlimmeres, wenn ihnen an einer anderen Stelle der Krypta
die verstümmelte Hand der Marmorstatue Dagobert's I. gezeigt wird mit dem
Bedeuten: „Ls fort Iss coups Ah fabr« ach VruWiens!" Ich weiß nicht,
was wahr daran ist; unmöglich wäre es ja nicht, daß irgend ein roher Ge¬
sell ein solches Bubenstück verübt hätte. Dasselbe aber schlechtweg als das
Werk der deutschen Soldaten ausgeben und entsprechend ausbeuten zu hören,
ist wirklich das Peinlichste, was dem einsamen deutschen Wanderer in Frank¬
reich begegnen kann. — Auffallender noch, als in Se. Denis, ist mir eine
gewisse Apathie in der Grabkapelle des Jnvalidendoms entgegengetreten. Ich
kann mir kaum denken, daß ein menschliches Gemüth an diesem Ort ohne
tiefe Erschütterung bleiben könnte. Schon die wohlberechneten Lichteffecte
müssen die Stimmung des Eintretenden aufs wirksamste beeinflussen. Der
Blick in die stille Gruft, alsdann auf den majestätischen Sarkophag, der die
Asche des gewaltigen Imperators birgt, die Gedanken, welche in diesem Mo¬
ment die Seele durchstürmen, sind schlechtweg überwältigend. Aber ergreifender
als Alles, dünkt mir die Inschrift über der Eingangspforte der Gruft, die
Worte aus dem Testament des Kaisers: „Ich wünsche, daß meine Asche an
den Ufern der Seine ruhe, inmitten jenes französischen Volkes, das ich so
sehr geliebt habe." Es liegt etwas unsagbar Rührendes in dieser unerschüt¬
terten Vaterlandsliebe, die sich der gestürzte und verbannte Caesar auf dem
traurigen Felsenetland bewahrt hat. Man sollte meinen, zum mindesten kein
Franzose könnte trockenen Auges hier vorübergehen. Aber ich habe ihrer eine
ganze Anzahl passiren sehen und muß sagen, ich bin empört gewesen über
ihre Gefühllosigkeit. Sie lasen, wenn ihrer Mehrere beisammen waren, die
Inschrift laut, etwa wie man eine Bekanntmachung an einer Anschlagsäule
liest — dann gingen sie heiteren Blickes weiter.

In der That, der sentimentale Zug — dies Wort im guten Sinne
genommen —, der im deutschen Volkscharakter eine so bedeutende Rolle
spielt, fehlt dem Franzosen fast ganz. Deshalb soll man ihn aber doch nicht
gemüthlos schelten. In Berlin bildet man sich nicht wenig ein auf die harm¬
los herzliche Fröhlichkeit, welche an Sommersonntagen ein paar Meilen im


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[0444] Man gehe in die Kathedrale von Se. Denis. Zu dem Gang durch die Krypta findet sich gewöhnlich eine ganze Anzahl von Touristen zusammen. Welcher gebildete Deutsche könnte wohl ohne eisigen Schauder in die enge Gruft eintreten, in der die Gebeine der französischen Könige in unentwirr¬ baren Durcheinander modern, wie sie aus den von dem Wandalismus des Convents errichteten Massengräbern wieder ausgegraben worden! Den Fran¬ zosen indeß gelingt es, an dieser Stätte namenlos tragischer Vernichtung sich in den banalsten Redensarten zu ergehen. Dagegen erheben sie sich, wie ich hier in Parenthese einschalten muß, zu den gewaltigsten Deklamationen über Barbarei und Schlimmeres, wenn ihnen an einer anderen Stelle der Krypta die verstümmelte Hand der Marmorstatue Dagobert's I. gezeigt wird mit dem Bedeuten: „Ls fort Iss coups Ah fabr« ach VruWiens!" Ich weiß nicht, was wahr daran ist; unmöglich wäre es ja nicht, daß irgend ein roher Ge¬ sell ein solches Bubenstück verübt hätte. Dasselbe aber schlechtweg als das Werk der deutschen Soldaten ausgeben und entsprechend ausbeuten zu hören, ist wirklich das Peinlichste, was dem einsamen deutschen Wanderer in Frank¬ reich begegnen kann. — Auffallender noch, als in Se. Denis, ist mir eine gewisse Apathie in der Grabkapelle des Jnvalidendoms entgegengetreten. Ich kann mir kaum denken, daß ein menschliches Gemüth an diesem Ort ohne tiefe Erschütterung bleiben könnte. Schon die wohlberechneten Lichteffecte müssen die Stimmung des Eintretenden aufs wirksamste beeinflussen. Der Blick in die stille Gruft, alsdann auf den majestätischen Sarkophag, der die Asche des gewaltigen Imperators birgt, die Gedanken, welche in diesem Mo¬ ment die Seele durchstürmen, sind schlechtweg überwältigend. Aber ergreifender als Alles, dünkt mir die Inschrift über der Eingangspforte der Gruft, die Worte aus dem Testament des Kaisers: „Ich wünsche, daß meine Asche an den Ufern der Seine ruhe, inmitten jenes französischen Volkes, das ich so sehr geliebt habe." Es liegt etwas unsagbar Rührendes in dieser unerschüt¬ terten Vaterlandsliebe, die sich der gestürzte und verbannte Caesar auf dem traurigen Felsenetland bewahrt hat. Man sollte meinen, zum mindesten kein Franzose könnte trockenen Auges hier vorübergehen. Aber ich habe ihrer eine ganze Anzahl passiren sehen und muß sagen, ich bin empört gewesen über ihre Gefühllosigkeit. Sie lasen, wenn ihrer Mehrere beisammen waren, die Inschrift laut, etwa wie man eine Bekanntmachung an einer Anschlagsäule liest — dann gingen sie heiteren Blickes weiter. In der That, der sentimentale Zug — dies Wort im guten Sinne genommen —, der im deutschen Volkscharakter eine so bedeutende Rolle spielt, fehlt dem Franzosen fast ganz. Deshalb soll man ihn aber doch nicht gemüthlos schelten. In Berlin bildet man sich nicht wenig ein auf die harm¬ los herzliche Fröhlichkeit, welche an Sommersonntagen ein paar Meilen im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/444>, abgerufen am 26.08.2024.