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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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haben müßten. Dann würden die vernünftigen Leute außerhalb des Parla¬
mentes doch einmal das Geschrei nicht mehr zu hören bekommen, daß die Welt
nicht an einem Tage geschaffen worden.

Auf diese Jnterpellation, von der wir leider nicht sagen können, daß sie
die unnützeste ihrer Art gewesen, da sie unstreitig ebensoviel Nachfolger^ haben
wird, als sie Vorläufer gehabt hat, auf diese Jnterpellation also folgte die
Berathung über einen höchst verständigen Antrag des Abg. v. Denzin. Man
erinnert sich der Epoche machenden Rede Laster's vom Februar 1873 , worin
er die Schäden des damaligen Eisenbahnconcessionswesens zur Sprache brachte.
Die Folge dieses Auftretens war bekanntlich die Einsetzung einer Speeial-
untersuchungscommission, die ihren Bericht noch in demselben Jahr erstattete.
Diesen Bericht übergab das Staatsministerium unter dem 12. November 1873
dem Abgeordnetenhaus zur weiteren Veranlassung. Es ist dies derselbe Tag,
an welchem das Abgeordnetenhaus der jetzigen Legislatur, gewählt am 4. No¬
vember 1873, zusammentrat.

Es ist nun in der That wundersam, daß das jetzige Abgeordnetenhaus
diesen Bericht noch nicht zum Gegenstand einer Berathung gemacht hat.
Wenn Angesichts des Landes die schwersten Anklagen erhoben und durch eine
Specialcommission geprüft werden, so ist es unbedingte Pflicht der Stelle,
von wo die Anklage ausgegangen, dem Lande zu sagen: die Anklage war
begründet oder sie war es nicht. Es ist doch mehr als sonderbar, das Land
aus den Bericht der Untersuchungscommission zu verweisen. Auf den Antrag
des Abgeordnetenhauses ist diese Commission eingesetzt worden und das Ab¬
geordnetenhaus ist verpflichtet, dem Lande zu erklären , ob das Haus das Er¬
gebniß der Commission an seinem Theil bestätigt. Dies ist aber nicht die
ganze Schuldigkeit des Abgeordnetenhauses. Vielmehr ist dasselbe schuldig,
wenn die Untersuchung wirklich Schäden nachweist, auf die Heilung dieser
Schäden zu dringen: sei es durch Bestrafung schuldiger Personen, sei es durch
Aenderung der Gesetze. Unter den nichtigsten Vorwänden sucht man diese
Pflicht des Abgeordnetenhauses hinweg zu leugnen. Herr Laster sagt, es
sei nun des Scandals genug. Wer aber einmal Aergerniß aufrührt, der hat
Pflicht, so lange zu rühren, bis der ganze Bodensatz auf die Oberfläche ge¬
stiegen und ausgeschüttet worden ist. Wer so etwas unternimmt, hat nimmer¬
mehr das Recht zu sagen: nun habe ich Euch gezeigt, wie trübe das Wasser
ist, nun wollen wir den Deckel zumachen. Ist es nicht geradezu erstaunlich,
aus Laster's Munde zu hören: die Resultate der Untersuchung hätten den
Staatsanwalt nicht zum Einschreiten vermocht. Dann ist es doch die unbe¬
dingte Pflicht des Anregers der Untersuchung im Landtage den Justizminister
auf Grund der Untersuchungsresultate zu interpelliren, warum der Staatsan¬
walt gegen strafbare Handlungen nicht eingeschritten ist. Noch weniger stichhaltig


haben müßten. Dann würden die vernünftigen Leute außerhalb des Parla¬
mentes doch einmal das Geschrei nicht mehr zu hören bekommen, daß die Welt
nicht an einem Tage geschaffen worden.

Auf diese Jnterpellation, von der wir leider nicht sagen können, daß sie
die unnützeste ihrer Art gewesen, da sie unstreitig ebensoviel Nachfolger^ haben
wird, als sie Vorläufer gehabt hat, auf diese Jnterpellation also folgte die
Berathung über einen höchst verständigen Antrag des Abg. v. Denzin. Man
erinnert sich der Epoche machenden Rede Laster's vom Februar 1873 , worin
er die Schäden des damaligen Eisenbahnconcessionswesens zur Sprache brachte.
Die Folge dieses Auftretens war bekanntlich die Einsetzung einer Speeial-
untersuchungscommission, die ihren Bericht noch in demselben Jahr erstattete.
Diesen Bericht übergab das Staatsministerium unter dem 12. November 1873
dem Abgeordnetenhaus zur weiteren Veranlassung. Es ist dies derselbe Tag,
an welchem das Abgeordnetenhaus der jetzigen Legislatur, gewählt am 4. No¬
vember 1873, zusammentrat.

Es ist nun in der That wundersam, daß das jetzige Abgeordnetenhaus
diesen Bericht noch nicht zum Gegenstand einer Berathung gemacht hat.
Wenn Angesichts des Landes die schwersten Anklagen erhoben und durch eine
Specialcommission geprüft werden, so ist es unbedingte Pflicht der Stelle,
von wo die Anklage ausgegangen, dem Lande zu sagen: die Anklage war
begründet oder sie war es nicht. Es ist doch mehr als sonderbar, das Land
aus den Bericht der Untersuchungscommission zu verweisen. Auf den Antrag
des Abgeordnetenhauses ist diese Commission eingesetzt worden und das Ab¬
geordnetenhaus ist verpflichtet, dem Lande zu erklären , ob das Haus das Er¬
gebniß der Commission an seinem Theil bestätigt. Dies ist aber nicht die
ganze Schuldigkeit des Abgeordnetenhauses. Vielmehr ist dasselbe schuldig,
wenn die Untersuchung wirklich Schäden nachweist, auf die Heilung dieser
Schäden zu dringen: sei es durch Bestrafung schuldiger Personen, sei es durch
Aenderung der Gesetze. Unter den nichtigsten Vorwänden sucht man diese
Pflicht des Abgeordnetenhauses hinweg zu leugnen. Herr Laster sagt, es
sei nun des Scandals genug. Wer aber einmal Aergerniß aufrührt, der hat
Pflicht, so lange zu rühren, bis der ganze Bodensatz auf die Oberfläche ge¬
stiegen und ausgeschüttet worden ist. Wer so etwas unternimmt, hat nimmer¬
mehr das Recht zu sagen: nun habe ich Euch gezeigt, wie trübe das Wasser
ist, nun wollen wir den Deckel zumachen. Ist es nicht geradezu erstaunlich,
aus Laster's Munde zu hören: die Resultate der Untersuchung hätten den
Staatsanwalt nicht zum Einschreiten vermocht. Dann ist es doch die unbe¬
dingte Pflicht des Anregers der Untersuchung im Landtage den Justizminister
auf Grund der Untersuchungsresultate zu interpelliren, warum der Staatsan¬
walt gegen strafbare Handlungen nicht eingeschritten ist. Noch weniger stichhaltig


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[0404] haben müßten. Dann würden die vernünftigen Leute außerhalb des Parla¬ mentes doch einmal das Geschrei nicht mehr zu hören bekommen, daß die Welt nicht an einem Tage geschaffen worden. Auf diese Jnterpellation, von der wir leider nicht sagen können, daß sie die unnützeste ihrer Art gewesen, da sie unstreitig ebensoviel Nachfolger^ haben wird, als sie Vorläufer gehabt hat, auf diese Jnterpellation also folgte die Berathung über einen höchst verständigen Antrag des Abg. v. Denzin. Man erinnert sich der Epoche machenden Rede Laster's vom Februar 1873 , worin er die Schäden des damaligen Eisenbahnconcessionswesens zur Sprache brachte. Die Folge dieses Auftretens war bekanntlich die Einsetzung einer Speeial- untersuchungscommission, die ihren Bericht noch in demselben Jahr erstattete. Diesen Bericht übergab das Staatsministerium unter dem 12. November 1873 dem Abgeordnetenhaus zur weiteren Veranlassung. Es ist dies derselbe Tag, an welchem das Abgeordnetenhaus der jetzigen Legislatur, gewählt am 4. No¬ vember 1873, zusammentrat. Es ist nun in der That wundersam, daß das jetzige Abgeordnetenhaus diesen Bericht noch nicht zum Gegenstand einer Berathung gemacht hat. Wenn Angesichts des Landes die schwersten Anklagen erhoben und durch eine Specialcommission geprüft werden, so ist es unbedingte Pflicht der Stelle, von wo die Anklage ausgegangen, dem Lande zu sagen: die Anklage war begründet oder sie war es nicht. Es ist doch mehr als sonderbar, das Land aus den Bericht der Untersuchungscommission zu verweisen. Auf den Antrag des Abgeordnetenhauses ist diese Commission eingesetzt worden und das Ab¬ geordnetenhaus ist verpflichtet, dem Lande zu erklären , ob das Haus das Er¬ gebniß der Commission an seinem Theil bestätigt. Dies ist aber nicht die ganze Schuldigkeit des Abgeordnetenhauses. Vielmehr ist dasselbe schuldig, wenn die Untersuchung wirklich Schäden nachweist, auf die Heilung dieser Schäden zu dringen: sei es durch Bestrafung schuldiger Personen, sei es durch Aenderung der Gesetze. Unter den nichtigsten Vorwänden sucht man diese Pflicht des Abgeordnetenhauses hinweg zu leugnen. Herr Laster sagt, es sei nun des Scandals genug. Wer aber einmal Aergerniß aufrührt, der hat Pflicht, so lange zu rühren, bis der ganze Bodensatz auf die Oberfläche ge¬ stiegen und ausgeschüttet worden ist. Wer so etwas unternimmt, hat nimmer¬ mehr das Recht zu sagen: nun habe ich Euch gezeigt, wie trübe das Wasser ist, nun wollen wir den Deckel zumachen. Ist es nicht geradezu erstaunlich, aus Laster's Munde zu hören: die Resultate der Untersuchung hätten den Staatsanwalt nicht zum Einschreiten vermocht. Dann ist es doch die unbe¬ dingte Pflicht des Anregers der Untersuchung im Landtage den Justizminister auf Grund der Untersuchungsresultate zu interpelliren, warum der Staatsan¬ walt gegen strafbare Handlungen nicht eingeschritten ist. Noch weniger stichhaltig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/404>, abgerufen am 26.09.2024.