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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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dem in Folge lebhafter Entgegnungen der Redner einen' nicht ganz gelunge¬
nen Versuch gemacht, die Tragweite seiner Worte zuWrnitiren,^ wurde die
Novelle zum § 130 abgelehnt.

Am 28. Januar folgte die Berathung der Novelle zum § 130". Dieser
sogenannte Kanzelparagraph bestraft die Gefährdung des öffentlichen Friedens
seitens der Religionsdiener bei Ausübung ihres Berufs durch Verkündigung
oder Erörterung. Die Novelle wollte hinzufügen, daß auch die Verbreitung
von Schriftstücken, welche den öffentlichen Frieden gefährden, seitens der
Religionsdiener strafbar sein solle. Die Novelle wurde mit einer Majorität
von vier Stimmen abgelehnt. Die Bedeutung derselben bei diesem Para¬
graphen lag darin, daß sie aus dem Wege des Strafgesetzes das Planet zum
Theil wieder einführen wollte. Die Wiedereinführung ist nach unserer An¬
sicht durchaus geboten, aber auf dem directen vollständigen Wege mit klarer
Bezeichnung der Sache. Auffallend bleibt es immerhin, wie die Bedeutung
des Paragraphen so ganz und gar nicht im Reichstage, auch nicht einmal
erörterungsweise gewürdigt wurde.

§ 131 bestraft die Verbreitung unwahrer Thatsachen, wenn sie zu dem
Zweck erfolgt, die Staatseinrichtungen verächtlich zu machen. Die Novelle
wollte neben der Verbreitung unwahrer Thatsachen auch die öffentliche
Schmähung oder Verhöhnung gegen Staatseinrichtungen strafbar machen.
Der Bundesbevollmächtigte für Hessen, Minister Hofmann, gab sich viel
Mühe, die Novelle zu empfehlen. Laster kritisirte diese Rede, indem er darauf
beharrte, daß inpersonelle Dinge nicht geschmäht werden können, und die
Novelle wurde auch hier abgelehnt. Es folgten nun eine Reihe unpolitischer
Paragraphen, deren Berathung wir übergehen.

Von großer politischer Bedeutung ist wiederum der § 348, welcher die
Vernichtung, Beseitigung und Fälschung der Urkunden durch Beamte mit
Gefängniß bestraft. Die Novelle wollte den Strafen den eventuellen Verlust
der bürgerlichen Ehrenrechte hinzufügen und, wenn die Handlung des Staats¬
wohls gefährdet, die Zuchthausstrafe. Die Novelle wurde auf Antrieb Laster's
abgelehnt, ein neues Zeugniß, wie wenig dieser Abgeordnete und mit ihm
die Reichstagsmehrheit die Unerläßlichkeit der Strenge des öffentlichen Dienstes
würdigt, auf welcher doch der staatliche Bestand der Nation in erster Linie
beruht. Es war dieser Paragraph der erste der sogenannten Arnimpara-
graphen.

Unter abermaliger Uebergehung verschiedener unpolitischer Paragraphen
wenden wir uns zu § 92, welcher die drei Fälle des Landesverrathes aufführt.
Die Novelle wollte einen vierten hinzufügen, welcher die Veröffentlichung von
Kundgebungen ausländischer Regierungen oder Oberen, wenn dieselbe den
Ungehorsam gegen einheimische obrigkeitliche Maßregeln bezwecken, strafbar


dem in Folge lebhafter Entgegnungen der Redner einen' nicht ganz gelunge¬
nen Versuch gemacht, die Tragweite seiner Worte zuWrnitiren,^ wurde die
Novelle zum § 130 abgelehnt.

Am 28. Januar folgte die Berathung der Novelle zum § 130». Dieser
sogenannte Kanzelparagraph bestraft die Gefährdung des öffentlichen Friedens
seitens der Religionsdiener bei Ausübung ihres Berufs durch Verkündigung
oder Erörterung. Die Novelle wollte hinzufügen, daß auch die Verbreitung
von Schriftstücken, welche den öffentlichen Frieden gefährden, seitens der
Religionsdiener strafbar sein solle. Die Novelle wurde mit einer Majorität
von vier Stimmen abgelehnt. Die Bedeutung derselben bei diesem Para¬
graphen lag darin, daß sie aus dem Wege des Strafgesetzes das Planet zum
Theil wieder einführen wollte. Die Wiedereinführung ist nach unserer An¬
sicht durchaus geboten, aber auf dem directen vollständigen Wege mit klarer
Bezeichnung der Sache. Auffallend bleibt es immerhin, wie die Bedeutung
des Paragraphen so ganz und gar nicht im Reichstage, auch nicht einmal
erörterungsweise gewürdigt wurde.

§ 131 bestraft die Verbreitung unwahrer Thatsachen, wenn sie zu dem
Zweck erfolgt, die Staatseinrichtungen verächtlich zu machen. Die Novelle
wollte neben der Verbreitung unwahrer Thatsachen auch die öffentliche
Schmähung oder Verhöhnung gegen Staatseinrichtungen strafbar machen.
Der Bundesbevollmächtigte für Hessen, Minister Hofmann, gab sich viel
Mühe, die Novelle zu empfehlen. Laster kritisirte diese Rede, indem er darauf
beharrte, daß inpersonelle Dinge nicht geschmäht werden können, und die
Novelle wurde auch hier abgelehnt. Es folgten nun eine Reihe unpolitischer
Paragraphen, deren Berathung wir übergehen.

Von großer politischer Bedeutung ist wiederum der § 348, welcher die
Vernichtung, Beseitigung und Fälschung der Urkunden durch Beamte mit
Gefängniß bestraft. Die Novelle wollte den Strafen den eventuellen Verlust
der bürgerlichen Ehrenrechte hinzufügen und, wenn die Handlung des Staats¬
wohls gefährdet, die Zuchthausstrafe. Die Novelle wurde auf Antrieb Laster's
abgelehnt, ein neues Zeugniß, wie wenig dieser Abgeordnete und mit ihm
die Reichstagsmehrheit die Unerläßlichkeit der Strenge des öffentlichen Dienstes
würdigt, auf welcher doch der staatliche Bestand der Nation in erster Linie
beruht. Es war dieser Paragraph der erste der sogenannten Arnimpara-
graphen.

Unter abermaliger Uebergehung verschiedener unpolitischer Paragraphen
wenden wir uns zu § 92, welcher die drei Fälle des Landesverrathes aufführt.
Die Novelle wollte einen vierten hinzufügen, welcher die Veröffentlichung von
Kundgebungen ausländischer Regierungen oder Oberen, wenn dieselbe den
Ungehorsam gegen einheimische obrigkeitliche Maßregeln bezwecken, strafbar


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[0319] dem in Folge lebhafter Entgegnungen der Redner einen' nicht ganz gelunge¬ nen Versuch gemacht, die Tragweite seiner Worte zuWrnitiren,^ wurde die Novelle zum § 130 abgelehnt. Am 28. Januar folgte die Berathung der Novelle zum § 130». Dieser sogenannte Kanzelparagraph bestraft die Gefährdung des öffentlichen Friedens seitens der Religionsdiener bei Ausübung ihres Berufs durch Verkündigung oder Erörterung. Die Novelle wollte hinzufügen, daß auch die Verbreitung von Schriftstücken, welche den öffentlichen Frieden gefährden, seitens der Religionsdiener strafbar sein solle. Die Novelle wurde mit einer Majorität von vier Stimmen abgelehnt. Die Bedeutung derselben bei diesem Para¬ graphen lag darin, daß sie aus dem Wege des Strafgesetzes das Planet zum Theil wieder einführen wollte. Die Wiedereinführung ist nach unserer An¬ sicht durchaus geboten, aber auf dem directen vollständigen Wege mit klarer Bezeichnung der Sache. Auffallend bleibt es immerhin, wie die Bedeutung des Paragraphen so ganz und gar nicht im Reichstage, auch nicht einmal erörterungsweise gewürdigt wurde. § 131 bestraft die Verbreitung unwahrer Thatsachen, wenn sie zu dem Zweck erfolgt, die Staatseinrichtungen verächtlich zu machen. Die Novelle wollte neben der Verbreitung unwahrer Thatsachen auch die öffentliche Schmähung oder Verhöhnung gegen Staatseinrichtungen strafbar machen. Der Bundesbevollmächtigte für Hessen, Minister Hofmann, gab sich viel Mühe, die Novelle zu empfehlen. Laster kritisirte diese Rede, indem er darauf beharrte, daß inpersonelle Dinge nicht geschmäht werden können, und die Novelle wurde auch hier abgelehnt. Es folgten nun eine Reihe unpolitischer Paragraphen, deren Berathung wir übergehen. Von großer politischer Bedeutung ist wiederum der § 348, welcher die Vernichtung, Beseitigung und Fälschung der Urkunden durch Beamte mit Gefängniß bestraft. Die Novelle wollte den Strafen den eventuellen Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte hinzufügen und, wenn die Handlung des Staats¬ wohls gefährdet, die Zuchthausstrafe. Die Novelle wurde auf Antrieb Laster's abgelehnt, ein neues Zeugniß, wie wenig dieser Abgeordnete und mit ihm die Reichstagsmehrheit die Unerläßlichkeit der Strenge des öffentlichen Dienstes würdigt, auf welcher doch der staatliche Bestand der Nation in erster Linie beruht. Es war dieser Paragraph der erste der sogenannten Arnimpara- graphen. Unter abermaliger Uebergehung verschiedener unpolitischer Paragraphen wenden wir uns zu § 92, welcher die drei Fälle des Landesverrathes aufführt. Die Novelle wollte einen vierten hinzufügen, welcher die Veröffentlichung von Kundgebungen ausländischer Regierungen oder Oberen, wenn dieselbe den Ungehorsam gegen einheimische obrigkeitliche Maßregeln bezwecken, strafbar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/319>, abgerufen am 19.10.2024.