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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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rihten besser als die unsere. "Das Volk trug Ketten, aber es tanzte darin."
"Der Mensch von heute ist nicht zum Lachen aufgelegt. Er ist Heuchler.
Geizhals und bodenloser Egoist. Wie immer die Frage heißen mag. an die
er mit der Stirne stößt, seine Stirne klingt wie eine Schublade voll Kupfer¬
geld." "Er ist anmaßend aus Einbildung und aufgeblasen vor Eitelkeit.
Er hat die Sucht, sich vom Volk unterscheiden zu wollen." "Kein Opfer ist
ihm zu groß, wenn er seine Wuth, nach etwas Rechtem auszusehen, befriedigen
kann. Er lebt von Wasser und Brod, er versagt sich im Winter das Feuer
und im Sommer das Bier, um einen Rock von feinem Tuche, eine Weste
von Kaschmir und gelbe Handschuhe zu tragen." "Er ist geschraubt, er
schreit nicht, er lacht nicht laut, er weiß nicht, wohin spucken." "Er sagt
recht säuberlich: Guten Morgen, Herr Fischer oder: Guten Abend, Frau
Oberhofkanzleidirectorin; denn das gehört zum guten Ton. Was ist aber
dieser gute Ton? -- Ein heuchlerischer Firniß, den man auf einen Stecken
strich, um ihn für ein spanisches Rohr auszugeben." "Der Mensch von
heute hat immer eine Zeitung in der Tasche, er spricht von nichts als
Handelsverträgen und Eisenbahnlinien und lacht nur in der Kammer."
Anders die Zeit, in der unsere Geschichte sich zutrug. "Die Sitten der kleinen
Städte waren noch nicht mit Vornehmheit geschminkt. Der Charakter dieses
glücklichen Zeitalters war die Sorglosigkeit. Alle diese Leute, Schiffe oder
Nußschalen, überließen sich mit geschlossnen Augen dem Strome des Lebens,
unbekümmert, wo sie anlanden würden. Der Bürgersmann btttstellerte weder
um Anstellungen, noch scharrte er Geld zusammen, er lebte zu Hause in
vergnüglichen Ueberfluß und verputzte sein Einkommen bis auf den letzten
Heller. Der Kaufmann bereicherte sich langsam, ohne sich viel zu Plagen,
blos durch den natürlichen Verlauf der Dinge. Der Handwerker arbeitete
nicht, um aufzuspeichern, sondern um die beiden Enden zusammen zu bringen.
Sie alle hatten nicht jene schreckliche Concurrenz auf den Fersen, die uns
ohne Unterlaß zuruft: Vorwärts! So machten sie sich's denn bequem; sie
hatten ihre Väter gefüttert, und wenn sie alt geworden, war's an ihren
Kindern, sie zu füttern. Alle diese Leute, große wie kleine, schienen keinen
andern Beruf zu haben, als sich lustig zu machen. Den Kopf zerbrachen sie
sich höchstens, um eine gute Posse aufzuführen oder eine feine Geschichte aus¬
zuhecken. Die, welche Witz hatten, verschwendeten denselben in Späßen, statt
ihn zu Ränken zu verwenden."

In dieser gemüthlichen Welt war das Haus, um das sich unsere Er-
zählung abspielt, ein ganz besonders gemüthliches Eckchen. "Mein Großvater
(er heißt Beißkurz) war Gerichtsbote, meine Großmutter eine kleine Frau,
der man nachsagte, sie könne, wenn sie in die Kirche gehe, nicht sehen, ob
der Weihkessel voll sei. Nach einer sechsjährigen Ehe hatte sie bereits fünf


rihten besser als die unsere. „Das Volk trug Ketten, aber es tanzte darin."
„Der Mensch von heute ist nicht zum Lachen aufgelegt. Er ist Heuchler.
Geizhals und bodenloser Egoist. Wie immer die Frage heißen mag. an die
er mit der Stirne stößt, seine Stirne klingt wie eine Schublade voll Kupfer¬
geld." „Er ist anmaßend aus Einbildung und aufgeblasen vor Eitelkeit.
Er hat die Sucht, sich vom Volk unterscheiden zu wollen." „Kein Opfer ist
ihm zu groß, wenn er seine Wuth, nach etwas Rechtem auszusehen, befriedigen
kann. Er lebt von Wasser und Brod, er versagt sich im Winter das Feuer
und im Sommer das Bier, um einen Rock von feinem Tuche, eine Weste
von Kaschmir und gelbe Handschuhe zu tragen." „Er ist geschraubt, er
schreit nicht, er lacht nicht laut, er weiß nicht, wohin spucken." „Er sagt
recht säuberlich: Guten Morgen, Herr Fischer oder: Guten Abend, Frau
Oberhofkanzleidirectorin; denn das gehört zum guten Ton. Was ist aber
dieser gute Ton? — Ein heuchlerischer Firniß, den man auf einen Stecken
strich, um ihn für ein spanisches Rohr auszugeben." „Der Mensch von
heute hat immer eine Zeitung in der Tasche, er spricht von nichts als
Handelsverträgen und Eisenbahnlinien und lacht nur in der Kammer."
Anders die Zeit, in der unsere Geschichte sich zutrug. „Die Sitten der kleinen
Städte waren noch nicht mit Vornehmheit geschminkt. Der Charakter dieses
glücklichen Zeitalters war die Sorglosigkeit. Alle diese Leute, Schiffe oder
Nußschalen, überließen sich mit geschlossnen Augen dem Strome des Lebens,
unbekümmert, wo sie anlanden würden. Der Bürgersmann btttstellerte weder
um Anstellungen, noch scharrte er Geld zusammen, er lebte zu Hause in
vergnüglichen Ueberfluß und verputzte sein Einkommen bis auf den letzten
Heller. Der Kaufmann bereicherte sich langsam, ohne sich viel zu Plagen,
blos durch den natürlichen Verlauf der Dinge. Der Handwerker arbeitete
nicht, um aufzuspeichern, sondern um die beiden Enden zusammen zu bringen.
Sie alle hatten nicht jene schreckliche Concurrenz auf den Fersen, die uns
ohne Unterlaß zuruft: Vorwärts! So machten sie sich's denn bequem; sie
hatten ihre Väter gefüttert, und wenn sie alt geworden, war's an ihren
Kindern, sie zu füttern. Alle diese Leute, große wie kleine, schienen keinen
andern Beruf zu haben, als sich lustig zu machen. Den Kopf zerbrachen sie
sich höchstens, um eine gute Posse aufzuführen oder eine feine Geschichte aus¬
zuhecken. Die, welche Witz hatten, verschwendeten denselben in Späßen, statt
ihn zu Ränken zu verwenden."

In dieser gemüthlichen Welt war das Haus, um das sich unsere Er-
zählung abspielt, ein ganz besonders gemüthliches Eckchen. „Mein Großvater
(er heißt Beißkurz) war Gerichtsbote, meine Großmutter eine kleine Frau,
der man nachsagte, sie könne, wenn sie in die Kirche gehe, nicht sehen, ob
der Weihkessel voll sei. Nach einer sechsjährigen Ehe hatte sie bereits fünf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/184>, abgerufen am 22.07.2024.