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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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bei Juristen sind wir auf diese Meinung gestoßen. Dennoch ist dieselbe leicht
zu widerlegen. Freilich kann man sagen: die Absicht des Thomas war da¬
rauf gerichtet, eine Versicherungssumme betrüglich zu erlangen; zu diesem
Zwecke wollte er bewirken, daß das Schiff, auf welchem er seine werthlosen,
aber hoch versicherten Kisten oder Ballen verladen wollte, auf offenem Meere
unterginge; Menschen wollte er nicht umbringen; daran hatte er gar kein
Interesse; höchstens kann behauptet werden, daß Menschenleben, welche hier
darauf gehen möchten, ihm gleichgültig waren, für ihn nicht in Betracht
kamen. Allein ist es denn wahr, daß man n u r das beabsichtigt, worin
man seine Befriedigung unmittelbar findet, oder woran man Vergnügen hat?
Was ist eigentlich das Ziel des Raubmörders? Ohne Zweifel das Geld
seines Opfers. Aber findet er ein Vergnügen daran zu tödten? In fast
sämmtlichen Fällen nicht; er würde, wenn er Geld und Kostbarkeiten auch
ohne dies bekommen könnte, lieber nicht morden. Und so verhält es sich
genau betrachtet bei fast allen Verbrechen. Man wird also sagen müssen,
nicht nur Das ist beabsichtigt, von dem Vorsatze des Verbrechers umschlossen,
worin er unmittelbar seine Befriedigung sucht, sondern auch Dasjenige, was
er verwirklichen muß, wenn sein eigentliches Ziel nicht unerreicht bleiben soll.
Allerdings besteht zwischen dem Falle des Raubmörders und dem Falle
Thomas noch ein Unterschied. Der Raubmörder muß um zu dem Gelde zu
gelangen erst tödten; das Tödten bildet eine Vorstufe zu dem Nehmen des
Geldes. Thomas wollte das Schiff in die Luft sprengen, und dabei freilich
mußten eine Anzahl von Menschen denn ein großer transatlantischer
Dampfer wird, wenn in der Fahrt begriffen, jedenfalls nicht ohne starke
Bemannung sein -- das Leben verlieren. Im Falle des Raubmörders geht
das Tödten vorher, in dem Thomas'schen Falle sollte es gleichzeitig sein.
Allein dieser Unterschied ist juristisch unerheblich. Gewölle ist nicht nur
Das, was den letzten Zweck der Handlung bildet, sondern auch, was noth¬
wendig mit der Erreichung dieses Zweckes verbunden ist oder doch aller
menschlichen vernünftigen Berechnung zufolge mit diesem Zwecke verbunden
sein wird. Jemand will, um die Brandversicherungssumme betrüglich zu
erhalten, seine Mobilien, sein Waarenlager, seinen Kornvorrath in Brand
setzen; er kann das den Umständen nach nicht anders, als wenn er zugleich
das Gebäude mit anzündet, in welchem jene Sachen sich befinden. Ist er
nicht, wenn er unter solchen Umständen den Brand z. B. in das aufgehäufte
Korn wirft, der Brandstiftung an einem Gebäude schuldig? Kein Gericht,
keine Geschworenenbank hat wohl noch je daran gezweifelt. Das Ergebniß
ist also: Thomas wollte eine Anzahl, vermuthlich eine recht große Anzahl
von Menschen ums Leben bringen; denn der Dampfer sollte auf offenem
Meere in die Luft fliegen und so weder Mann noch Maus mit dem


bei Juristen sind wir auf diese Meinung gestoßen. Dennoch ist dieselbe leicht
zu widerlegen. Freilich kann man sagen: die Absicht des Thomas war da¬
rauf gerichtet, eine Versicherungssumme betrüglich zu erlangen; zu diesem
Zwecke wollte er bewirken, daß das Schiff, auf welchem er seine werthlosen,
aber hoch versicherten Kisten oder Ballen verladen wollte, auf offenem Meere
unterginge; Menschen wollte er nicht umbringen; daran hatte er gar kein
Interesse; höchstens kann behauptet werden, daß Menschenleben, welche hier
darauf gehen möchten, ihm gleichgültig waren, für ihn nicht in Betracht
kamen. Allein ist es denn wahr, daß man n u r das beabsichtigt, worin
man seine Befriedigung unmittelbar findet, oder woran man Vergnügen hat?
Was ist eigentlich das Ziel des Raubmörders? Ohne Zweifel das Geld
seines Opfers. Aber findet er ein Vergnügen daran zu tödten? In fast
sämmtlichen Fällen nicht; er würde, wenn er Geld und Kostbarkeiten auch
ohne dies bekommen könnte, lieber nicht morden. Und so verhält es sich
genau betrachtet bei fast allen Verbrechen. Man wird also sagen müssen,
nicht nur Das ist beabsichtigt, von dem Vorsatze des Verbrechers umschlossen,
worin er unmittelbar seine Befriedigung sucht, sondern auch Dasjenige, was
er verwirklichen muß, wenn sein eigentliches Ziel nicht unerreicht bleiben soll.
Allerdings besteht zwischen dem Falle des Raubmörders und dem Falle
Thomas noch ein Unterschied. Der Raubmörder muß um zu dem Gelde zu
gelangen erst tödten; das Tödten bildet eine Vorstufe zu dem Nehmen des
Geldes. Thomas wollte das Schiff in die Luft sprengen, und dabei freilich
mußten eine Anzahl von Menschen denn ein großer transatlantischer
Dampfer wird, wenn in der Fahrt begriffen, jedenfalls nicht ohne starke
Bemannung sein — das Leben verlieren. Im Falle des Raubmörders geht
das Tödten vorher, in dem Thomas'schen Falle sollte es gleichzeitig sein.
Allein dieser Unterschied ist juristisch unerheblich. Gewölle ist nicht nur
Das, was den letzten Zweck der Handlung bildet, sondern auch, was noth¬
wendig mit der Erreichung dieses Zweckes verbunden ist oder doch aller
menschlichen vernünftigen Berechnung zufolge mit diesem Zwecke verbunden
sein wird. Jemand will, um die Brandversicherungssumme betrüglich zu
erhalten, seine Mobilien, sein Waarenlager, seinen Kornvorrath in Brand
setzen; er kann das den Umständen nach nicht anders, als wenn er zugleich
das Gebäude mit anzündet, in welchem jene Sachen sich befinden. Ist er
nicht, wenn er unter solchen Umständen den Brand z. B. in das aufgehäufte
Korn wirft, der Brandstiftung an einem Gebäude schuldig? Kein Gericht,
keine Geschworenenbank hat wohl noch je daran gezweifelt. Das Ergebniß
ist also: Thomas wollte eine Anzahl, vermuthlich eine recht große Anzahl
von Menschen ums Leben bringen; denn der Dampfer sollte auf offenem
Meere in die Luft fliegen und so weder Mann noch Maus mit dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/173>, abgerufen am 24.08.2024.