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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Quitschfalte in Kniehöhe, auf welcher ein Perlenbesatz, eine dergleichen Jacke,
eine blaue seidene Schürze, weiße baumwollene Strümpfe und Komode (sog.
ungenähte, nicht den ganzen Fuß bedeckende lederne Schuhe). Auf dem Haupt¬
haar ruhte das Myrthenkränzlein, welches man nur ein Mal im Leben trägt.

Der Bräutigam trug einen schwarzen Tuchrock, eine dergleichen lange
Hose, schwarze Weste, einen Cylinderhut und gewichste Stiefel, die nach Bert¬
hold Auerbach schon allein den Gebildeten verrathen. Das Myrthenkränzlein
hatte derselbe an der linken Seite des Rockes. Diese Kränze waren von einer
nahen unverheiratheten Verwandten der Brautleute am Abend vorher ge¬
flochten worden.

Die Mädchen hatten statt des schwarzen Rockes einen dunkelgrünen Tuch¬
rock und eine hellfarbige Schürze, während die Burschen theils Tuchröcke,
theils auch Joppen und meist Mützen trugen. Demnach unterschied sich der
Anzug der Braut nur sehr wenig von dem der Mädchen.

Die Kleidung der verheirateten Männer und Frauen, die über die
Thorheiten der Eitelkeit und Koketterie hinaus sind, und nicht mehr darauf
ausgehen, Eroberungen zu machen, war weniger gewählt, wiewohl sauber
und einem solchen Feste ganz angemessen.

In der Kirche angekommen, empfing den stattlichen Zug ein Präludium
der Orgel mit vollen Stimmen, während die Musik schwieg. Vater und
Schwiegervater stellten sich seitwärts vom Altar auf; das Brautpaar aber
blieb hinten im Schiff der Kirche stehen, und alle Uebrigen des Zuges nahmen
die Kirchenstände, je nach ihrem Geschlecht und Alter ein.

Nach dem Absingen einiger Verse aus dem Gesangbuch, welche auf die
Handlung Bezug hatten, begab sich das Brautpaar zum Altar, vor dem der
Geistliche indessen sich aufgestellt hatte, und die Trauung erfolgte nach der
herkömmlichen Weise.

Nach dem Rückzug zum Hochzeitshaus, der in der nämlichen Ordnung
wie hinwärts erfolgte, fand die Gratulation statt, nicht nach Rang und
Stand, wohl aber nach dem Grade der Verwandtschaft.

Unmittelbar auf die. Gratulation folgte die Hauptmahlzeit. Es
wurde an drei verschiedenen Tischen gespeist. Am ersten Tisch saßen der Herr
Pfarrer, der Herr Lehrer, der Gutspachter, die beiden Väter und meine
Wenigkeit.

Den zweiten Tisch nahmen die Verheiratheten ein, und den dritten hatte
das "Junggesinde," d. h. die Burschen und Mädchen, eingenommen. Die
Kinder mußten sich mit dem Essen gedulden, bis die Erwachsenen getafelt hatten.

Diese Mahlzeit bestand aus mehreren Gängen, die jedoch nicht so strenge
und regelrecht von einander abgesondert waren, wie dies an den großen Tafeln
bet Fürsten und Herren der Fall zu sein pflegt. Den Anfang machte eine


Quitschfalte in Kniehöhe, auf welcher ein Perlenbesatz, eine dergleichen Jacke,
eine blaue seidene Schürze, weiße baumwollene Strümpfe und Komode (sog.
ungenähte, nicht den ganzen Fuß bedeckende lederne Schuhe). Auf dem Haupt¬
haar ruhte das Myrthenkränzlein, welches man nur ein Mal im Leben trägt.

Der Bräutigam trug einen schwarzen Tuchrock, eine dergleichen lange
Hose, schwarze Weste, einen Cylinderhut und gewichste Stiefel, die nach Bert¬
hold Auerbach schon allein den Gebildeten verrathen. Das Myrthenkränzlein
hatte derselbe an der linken Seite des Rockes. Diese Kränze waren von einer
nahen unverheiratheten Verwandten der Brautleute am Abend vorher ge¬
flochten worden.

Die Mädchen hatten statt des schwarzen Rockes einen dunkelgrünen Tuch¬
rock und eine hellfarbige Schürze, während die Burschen theils Tuchröcke,
theils auch Joppen und meist Mützen trugen. Demnach unterschied sich der
Anzug der Braut nur sehr wenig von dem der Mädchen.

Die Kleidung der verheirateten Männer und Frauen, die über die
Thorheiten der Eitelkeit und Koketterie hinaus sind, und nicht mehr darauf
ausgehen, Eroberungen zu machen, war weniger gewählt, wiewohl sauber
und einem solchen Feste ganz angemessen.

In der Kirche angekommen, empfing den stattlichen Zug ein Präludium
der Orgel mit vollen Stimmen, während die Musik schwieg. Vater und
Schwiegervater stellten sich seitwärts vom Altar auf; das Brautpaar aber
blieb hinten im Schiff der Kirche stehen, und alle Uebrigen des Zuges nahmen
die Kirchenstände, je nach ihrem Geschlecht und Alter ein.

Nach dem Absingen einiger Verse aus dem Gesangbuch, welche auf die
Handlung Bezug hatten, begab sich das Brautpaar zum Altar, vor dem der
Geistliche indessen sich aufgestellt hatte, und die Trauung erfolgte nach der
herkömmlichen Weise.

Nach dem Rückzug zum Hochzeitshaus, der in der nämlichen Ordnung
wie hinwärts erfolgte, fand die Gratulation statt, nicht nach Rang und
Stand, wohl aber nach dem Grade der Verwandtschaft.

Unmittelbar auf die. Gratulation folgte die Hauptmahlzeit. Es
wurde an drei verschiedenen Tischen gespeist. Am ersten Tisch saßen der Herr
Pfarrer, der Herr Lehrer, der Gutspachter, die beiden Väter und meine
Wenigkeit.

Den zweiten Tisch nahmen die Verheiratheten ein, und den dritten hatte
das „Junggesinde," d. h. die Burschen und Mädchen, eingenommen. Die
Kinder mußten sich mit dem Essen gedulden, bis die Erwachsenen getafelt hatten.

Diese Mahlzeit bestand aus mehreren Gängen, die jedoch nicht so strenge
und regelrecht von einander abgesondert waren, wie dies an den großen Tafeln
bet Fürsten und Herren der Fall zu sein pflegt. Den Anfang machte eine


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[0085] Quitschfalte in Kniehöhe, auf welcher ein Perlenbesatz, eine dergleichen Jacke, eine blaue seidene Schürze, weiße baumwollene Strümpfe und Komode (sog. ungenähte, nicht den ganzen Fuß bedeckende lederne Schuhe). Auf dem Haupt¬ haar ruhte das Myrthenkränzlein, welches man nur ein Mal im Leben trägt. Der Bräutigam trug einen schwarzen Tuchrock, eine dergleichen lange Hose, schwarze Weste, einen Cylinderhut und gewichste Stiefel, die nach Bert¬ hold Auerbach schon allein den Gebildeten verrathen. Das Myrthenkränzlein hatte derselbe an der linken Seite des Rockes. Diese Kränze waren von einer nahen unverheiratheten Verwandten der Brautleute am Abend vorher ge¬ flochten worden. Die Mädchen hatten statt des schwarzen Rockes einen dunkelgrünen Tuch¬ rock und eine hellfarbige Schürze, während die Burschen theils Tuchröcke, theils auch Joppen und meist Mützen trugen. Demnach unterschied sich der Anzug der Braut nur sehr wenig von dem der Mädchen. Die Kleidung der verheirateten Männer und Frauen, die über die Thorheiten der Eitelkeit und Koketterie hinaus sind, und nicht mehr darauf ausgehen, Eroberungen zu machen, war weniger gewählt, wiewohl sauber und einem solchen Feste ganz angemessen. In der Kirche angekommen, empfing den stattlichen Zug ein Präludium der Orgel mit vollen Stimmen, während die Musik schwieg. Vater und Schwiegervater stellten sich seitwärts vom Altar auf; das Brautpaar aber blieb hinten im Schiff der Kirche stehen, und alle Uebrigen des Zuges nahmen die Kirchenstände, je nach ihrem Geschlecht und Alter ein. Nach dem Absingen einiger Verse aus dem Gesangbuch, welche auf die Handlung Bezug hatten, begab sich das Brautpaar zum Altar, vor dem der Geistliche indessen sich aufgestellt hatte, und die Trauung erfolgte nach der herkömmlichen Weise. Nach dem Rückzug zum Hochzeitshaus, der in der nämlichen Ordnung wie hinwärts erfolgte, fand die Gratulation statt, nicht nach Rang und Stand, wohl aber nach dem Grade der Verwandtschaft. Unmittelbar auf die. Gratulation folgte die Hauptmahlzeit. Es wurde an drei verschiedenen Tischen gespeist. Am ersten Tisch saßen der Herr Pfarrer, der Herr Lehrer, der Gutspachter, die beiden Väter und meine Wenigkeit. Den zweiten Tisch nahmen die Verheiratheten ein, und den dritten hatte das „Junggesinde," d. h. die Burschen und Mädchen, eingenommen. Die Kinder mußten sich mit dem Essen gedulden, bis die Erwachsenen getafelt hatten. Diese Mahlzeit bestand aus mehreren Gängen, die jedoch nicht so strenge und regelrecht von einander abgesondert waren, wie dies an den großen Tafeln bet Fürsten und Herren der Fall zu sein pflegt. Den Anfang machte eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/85>, abgerufen am 29.06.2024.