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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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blutete, kamen die gleichzeitig in Deutschland gelockerten Verhältnisse der Ent¬
wicklung der Kirche zu statten. Es treten dabei freilich grelle Gegensätze zu
Tage. Otto III. verfolgte wie gesagt den in der That großartigen Gedanken.
Rom zum Mittelpunkte seines großen Gottesreiches zumachen; aber während
er zugleich unter Bußübungen erfolglose Vorbereitungen traf, um Italien
und Rom. aus dem er vor einem Aufstande hatte flüchten müssen, wieder zu
erobern, wozu ihm'aus dem in eine Verschwörung des Erzbischofs Willigis
Von Mainz um Gandersheim gegen den Kaiser aufgelösten Reiche nicht einmal
hinlänglicher Zuzug zu Hülfe kam, -- während, um ganz mit Giesebrecht's
Worten zu reden. Otto Nebelschlösser auf Wolken baute, gründeten
die Bischöfe und Aebte. die Grafen und Herren ihre Felsenburgen auf
fester Erde, unterhielten sie mit ihrem erbeuteten Reichthum zahlreiche
Dienstgesolge. bauten sie Burgen an Burgen, ummauerten sie ihre Wohnsitze,
strebten sie nach der Erblichkeit ihrer Lehen oder der Erbfolge in einem Ge¬
biete , das so aus einem bloßen Amtssprengel eine Erbherrschast wurde. Aus
diesem Kreise stellte sich nach Theophano's Ableben bereits der Kaiserin Adel¬
heid, die nichts ohne den Beirath der geistlichen und weltlichen Großen aus¬
führen konnte, ein aristokratisches Regiment zur Seite und an die Spitze dieses
Regiments der den Cluniacensern ergebene Erzbischof Willigis von Mainz, der
Erzkanzler des Reiches. Neben ihm sind aus jenem Zeitschnitt noch zu nennen
als von bedeutendsten Einfluß die Aebtissin Mathilde von Quedlinburg, der
Herzog Bernhard von Sachsen, Konrad von Schwaben, Heinrich von Baiern,
Markgraf Eckart von Meißen, Erzbischof Gisiler von Magdeburg. -- in
Italien der Markgraf Hugo von Tuscien.

Diese und andere Großen entwickeln auch bereits jenen Sinn. daß sie.
je nach dem Wechsel der Dinge zu dem ererbten Allodialbesitz Lehen über Lehen
hausend, durch Schenkungen aus Reichsgut bereichert, dem Kaiser ihrem Lehns¬
herrn doch nur so lange treu und hold bleiben, so lange ihr Interesse mit
dem seinen gleichen Schritt geht und bei der leisesten Verletzung vermeintlicher
oder wirklicher Rechte dem Gesalbten des Herrn keck und trotzig entgegentreten,
nur auf Bedingungen hin sich ihm zu herkömmlichen begrenzten Diensten und
zum Gehorsam verpflichtet glauben und darüber hinaus sich nur als seines
Gleichen, als hochfreie Männer gleich ihm ansehen. Nicht der König machte
sie. sondern sie machten den König.

Dem jungen König Otto III. fehlte es, als er selbständig wurde, gegen
diese Entwickelung an allem Gegengewicht. Die alte Gemeinsreiheit waffen¬
tüchtiger kleiner Freien wich überall ohnmächtig dem Vasallenthum; die Gau¬
verfassung löste sich aus, geistliche und weltliche Herrschaften theilten sich in die
alten Gaubezirke; die freien Genossen wurden zum größten Theil Hintersassen


blutete, kamen die gleichzeitig in Deutschland gelockerten Verhältnisse der Ent¬
wicklung der Kirche zu statten. Es treten dabei freilich grelle Gegensätze zu
Tage. Otto III. verfolgte wie gesagt den in der That großartigen Gedanken.
Rom zum Mittelpunkte seines großen Gottesreiches zumachen; aber während
er zugleich unter Bußübungen erfolglose Vorbereitungen traf, um Italien
und Rom. aus dem er vor einem Aufstande hatte flüchten müssen, wieder zu
erobern, wozu ihm'aus dem in eine Verschwörung des Erzbischofs Willigis
Von Mainz um Gandersheim gegen den Kaiser aufgelösten Reiche nicht einmal
hinlänglicher Zuzug zu Hülfe kam, — während, um ganz mit Giesebrecht's
Worten zu reden. Otto Nebelschlösser auf Wolken baute, gründeten
die Bischöfe und Aebte. die Grafen und Herren ihre Felsenburgen auf
fester Erde, unterhielten sie mit ihrem erbeuteten Reichthum zahlreiche
Dienstgesolge. bauten sie Burgen an Burgen, ummauerten sie ihre Wohnsitze,
strebten sie nach der Erblichkeit ihrer Lehen oder der Erbfolge in einem Ge¬
biete , das so aus einem bloßen Amtssprengel eine Erbherrschast wurde. Aus
diesem Kreise stellte sich nach Theophano's Ableben bereits der Kaiserin Adel¬
heid, die nichts ohne den Beirath der geistlichen und weltlichen Großen aus¬
führen konnte, ein aristokratisches Regiment zur Seite und an die Spitze dieses
Regiments der den Cluniacensern ergebene Erzbischof Willigis von Mainz, der
Erzkanzler des Reiches. Neben ihm sind aus jenem Zeitschnitt noch zu nennen
als von bedeutendsten Einfluß die Aebtissin Mathilde von Quedlinburg, der
Herzog Bernhard von Sachsen, Konrad von Schwaben, Heinrich von Baiern,
Markgraf Eckart von Meißen, Erzbischof Gisiler von Magdeburg. — in
Italien der Markgraf Hugo von Tuscien.

Diese und andere Großen entwickeln auch bereits jenen Sinn. daß sie.
je nach dem Wechsel der Dinge zu dem ererbten Allodialbesitz Lehen über Lehen
hausend, durch Schenkungen aus Reichsgut bereichert, dem Kaiser ihrem Lehns¬
herrn doch nur so lange treu und hold bleiben, so lange ihr Interesse mit
dem seinen gleichen Schritt geht und bei der leisesten Verletzung vermeintlicher
oder wirklicher Rechte dem Gesalbten des Herrn keck und trotzig entgegentreten,
nur auf Bedingungen hin sich ihm zu herkömmlichen begrenzten Diensten und
zum Gehorsam verpflichtet glauben und darüber hinaus sich nur als seines
Gleichen, als hochfreie Männer gleich ihm ansehen. Nicht der König machte
sie. sondern sie machten den König.

Dem jungen König Otto III. fehlte es, als er selbständig wurde, gegen
diese Entwickelung an allem Gegengewicht. Die alte Gemeinsreiheit waffen¬
tüchtiger kleiner Freien wich überall ohnmächtig dem Vasallenthum; die Gau¬
verfassung löste sich aus, geistliche und weltliche Herrschaften theilten sich in die
alten Gaubezirke; die freien Genossen wurden zum größten Theil Hintersassen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/61>, abgerufen am 28.09.2024.