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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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willen von sich eingesteht, wie wäre da an eine sokratische Liebe zu denken?
Auch die erotischen Gedichte, die die Widersacher, wie er sagt, als sein Werk
vorbringen würden, kann er im wesentlichen nicht verleugnen; ein Glück für
seinen Ruf, sagt ein Neuerer, daß sie nicht erhalten sind. Also kann er auch
nicht das schelten, was Timarchos gethan, sondern nur daß er um Geld
gethan habe. Und zu dem allen kommt als schlimmstes Selbstzeugniß gegen
seine Sittlichkeit, daß er bei geflissentlicher Anständigkeit des Ausdrucks in den
Sachen doch geflissentlich obscön ist, und unter dem Scheine ängstlichster Ehr¬
barkeit den gemeinen Neigungen seiner Zuhörer zu kitzeln sucht. Wenn nun
Demosthenes, in seiner ein paar Jahre darauf wirklich gehaltenen Anklage¬
rede wegen der Gesandtschaft, dem Aischines eine in Makedonien damals ge¬
schehene schmachvolle Mißhandlung einer kriegsgefangenen olynthischen Frau
zum Vorwurf macht, Aischines aber mit höchster Entrüstung leugnet und sich
auf seinen vor aller Augen liegenden Lebenswandel beruft, wem soll man
glauben? kann die Vorsicht, die er zu Hause um des Scheines willen beobachtete,
beweisen, daß er draußen beim Rausch des Weines den doch in ihm steckenden
schlechten Neigungen nicht nachgab?

Nachdem nun Aischines diese sittliche That vollbracht und den Timarchus
für alle Zeit ruinirt hatte -- denn da dessen Lebenswandel notorisch war,
so gewann der Ankläger, wiewohl er keinen Zeugen hatte, den Prozeß, gelang
es ihm unter dem Eindrucke dieses Erfolges seinen eigenen Prozeß nicht nur
hinauszuschieben, sondern auch, mit Hülfe der Fürsprache mächtiger Männer,
schließlich glücklich zu bestehen, indem er wenngleich mit recht schwacher
Majorität freigesprochen wurde. Aber keinen schwereren Fehler hätten die
Athener begehen können, als daß sie diese Gelegenheit versäumten, einen
Verräther unschädlich zu machen und die andern zu schrecken. Es ist wahr,
daß Demosthenes nicht beweisen kann, daß Aischines von Philipp Geld
empfangen, sondern nur, daß er ihm gedient hatte. Hierin aber scheint
manchen Neueren schon eine fast genügende Rechtfertigung des Angeklagten
zu liegen, und überhaupt könnte es nicht wundern, wenn einmal eine förm¬
liche "Rettung" desselben erschiene. Ich fürchte nur, daß wenn auch mancher
von Demosthenes dem Gegner zum Ueberfluß angehängter Schmutz sich ab¬
reiben ließe, im Wesentlichen sich doch die Reinigung als Mohrenwäsche er¬
weisen würde. Nämlich wie zum Theil auch vorhin sich zeigte, Aischines wird
aus seinen eignen Worten gerichtet. Ein nebensächlicher Anklagepunkt in
Demosthenes' Rede ist es, daß jener mit dem unleugbar erkauften und bereits
verurtheilten Philokrates zusammen den nach letzterem benannten unvortheil--
haften Frieden des Jahres 346 zu Stande gebracht habe. Aischines leugnet
und schiebt dem Demosthenes die Genossenschaft mit Philokrates im wesent¬
lichen zu, in der Rede gegen Ktestphon, nachdem mittlerweile dreizehn weitere


willen von sich eingesteht, wie wäre da an eine sokratische Liebe zu denken?
Auch die erotischen Gedichte, die die Widersacher, wie er sagt, als sein Werk
vorbringen würden, kann er im wesentlichen nicht verleugnen; ein Glück für
seinen Ruf, sagt ein Neuerer, daß sie nicht erhalten sind. Also kann er auch
nicht das schelten, was Timarchos gethan, sondern nur daß er um Geld
gethan habe. Und zu dem allen kommt als schlimmstes Selbstzeugniß gegen
seine Sittlichkeit, daß er bei geflissentlicher Anständigkeit des Ausdrucks in den
Sachen doch geflissentlich obscön ist, und unter dem Scheine ängstlichster Ehr¬
barkeit den gemeinen Neigungen seiner Zuhörer zu kitzeln sucht. Wenn nun
Demosthenes, in seiner ein paar Jahre darauf wirklich gehaltenen Anklage¬
rede wegen der Gesandtschaft, dem Aischines eine in Makedonien damals ge¬
schehene schmachvolle Mißhandlung einer kriegsgefangenen olynthischen Frau
zum Vorwurf macht, Aischines aber mit höchster Entrüstung leugnet und sich
auf seinen vor aller Augen liegenden Lebenswandel beruft, wem soll man
glauben? kann die Vorsicht, die er zu Hause um des Scheines willen beobachtete,
beweisen, daß er draußen beim Rausch des Weines den doch in ihm steckenden
schlechten Neigungen nicht nachgab?

Nachdem nun Aischines diese sittliche That vollbracht und den Timarchus
für alle Zeit ruinirt hatte — denn da dessen Lebenswandel notorisch war,
so gewann der Ankläger, wiewohl er keinen Zeugen hatte, den Prozeß, gelang
es ihm unter dem Eindrucke dieses Erfolges seinen eigenen Prozeß nicht nur
hinauszuschieben, sondern auch, mit Hülfe der Fürsprache mächtiger Männer,
schließlich glücklich zu bestehen, indem er wenngleich mit recht schwacher
Majorität freigesprochen wurde. Aber keinen schwereren Fehler hätten die
Athener begehen können, als daß sie diese Gelegenheit versäumten, einen
Verräther unschädlich zu machen und die andern zu schrecken. Es ist wahr,
daß Demosthenes nicht beweisen kann, daß Aischines von Philipp Geld
empfangen, sondern nur, daß er ihm gedient hatte. Hierin aber scheint
manchen Neueren schon eine fast genügende Rechtfertigung des Angeklagten
zu liegen, und überhaupt könnte es nicht wundern, wenn einmal eine förm¬
liche „Rettung" desselben erschiene. Ich fürchte nur, daß wenn auch mancher
von Demosthenes dem Gegner zum Ueberfluß angehängter Schmutz sich ab¬
reiben ließe, im Wesentlichen sich doch die Reinigung als Mohrenwäsche er¬
weisen würde. Nämlich wie zum Theil auch vorhin sich zeigte, Aischines wird
aus seinen eignen Worten gerichtet. Ein nebensächlicher Anklagepunkt in
Demosthenes' Rede ist es, daß jener mit dem unleugbar erkauften und bereits
verurtheilten Philokrates zusammen den nach letzterem benannten unvortheil--
haften Frieden des Jahres 346 zu Stande gebracht habe. Aischines leugnet
und schiebt dem Demosthenes die Genossenschaft mit Philokrates im wesent¬
lichen zu, in der Rede gegen Ktestphon, nachdem mittlerweile dreizehn weitere


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/24>, abgerufen am 29.09.2024.