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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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veränderten Beibehaltung der reichsländischen Handelsgerichte kann nun aller¬
dings nach dem Angeführten keine Rede sein; will man aber, der Sympathie
des Reichslands wegen, Handelsgerichte beibehalten, so ist die Aufgabe offenbar
die, die neuen Handelsgerichte in der Organisation soviel als nur immer
möglich den alten ähnlich zu machen; dies wäre bei unsern Handelsschieds¬
gerichten der Fall: einen rechtsgelehrten Vorsitzenden müßten sich zwar die
reichsländischen Kaufleute wie die des übrigen Reichs gefallen lassen, aber auch
er wäre, aus der Wahl der kaufmännischen Innung hervorgegangen, ein
Mann ihres Vertrauens; das Interesse des Reichs wäre durch das Be¬
stätigungsrecht der Landesjustizverwaltung genügend gewahrt.

Der gewählte rechtsgelehrte Vorsitzende wird allerdings ein dem Reichs¬
land Angehöriger und als solcher auf längere Zeit hinaus nicht eben von großer
Zuneigung für deutsches Reich und deutsches Recht erfüllt sein, und es mochte
hiernach scheinen, als ob wir uns mit unserm Vorschlag einer Inkonsequenz
"schuldig machen, da wir ja oben die voraussichtliche Hinneigung eines nur
aus reichsländischen Kaufleuten und einem reichsländischen Gerichtsschreiber
gebildeten Gerichts zu französischem Recht als Grund gegen die Beibehaltung
der dermaligen Handelsgerichte hervorgehoben haben, und diese Hinneigung
bei dem in Vorschlag gebrachten Handelsschiedsgericht kaum in geringerem
Grad zu erwarten wäre. Allein zwischen der einen und der andern Art von
Gericht ist doch, was diese Gefahr angeht, ein sehr wesentlicher Unterschied;
bei dem rechtsgelehrten Vorsitzenden werden wir allerdings französische Sym¬
pathien vermuthen dürfen, aber die Bestätigung Seitens der Staatsgewalt
wird ihm, zumal wenn das deutsche Recht eingeführt wird, jedenfalls nur zu
Theil, wenn er sich über vollständige Kenntniß des letztern ausgewiesen hat;
er hat sodann, wie jeder andere Richter eidlich die Beobachtung der Gesetze
zu geloben, ist also in seinem Gewissen gebunden, das deutsche Recht zur An¬
wendung zu bringen, und ist moralisch dafür verantwortlich, daß auch seine
kaufmännischen Collegen nach keinem andern Recht urtheilen; der reicksländische
Kaufmann kann, wenn er sich von französischen Neigungen beherrschen läßt,
sein Gewissen immer damit beschwichtigen, daß er den Unterschied zwischen
französischem und deutschem Recht nicht so genau kenne, der Gerichtsschreiber
aber, welcher bekanntlich bei den rein kaufmännischen Handelsgerichten ma¬
teriell eine bedeutende Rolle spielt, ist formell für den Inhalt des Urtheils
nicht verantwortlich, und wird darum wenig Gewissensbisse verspüren, wenn
er die Rechtsprechung des Handelsgerichts in französischem Sinn beeinflußt;
bei dem rechtsgelehrten Vorsitzenden verhält sich dies, wie gesagt, ganz anders.
^- Eine weitere Garantie gegen eine arti-nationale Tendenz in der Recht¬
sprechung der von uns befürworteten Gerichte liegt in ihrem Charakter als
Schiedsgerichte, als Vertrauens-Gerichte. Wir haben schon in unserm


veränderten Beibehaltung der reichsländischen Handelsgerichte kann nun aller¬
dings nach dem Angeführten keine Rede sein; will man aber, der Sympathie
des Reichslands wegen, Handelsgerichte beibehalten, so ist die Aufgabe offenbar
die, die neuen Handelsgerichte in der Organisation soviel als nur immer
möglich den alten ähnlich zu machen; dies wäre bei unsern Handelsschieds¬
gerichten der Fall: einen rechtsgelehrten Vorsitzenden müßten sich zwar die
reichsländischen Kaufleute wie die des übrigen Reichs gefallen lassen, aber auch
er wäre, aus der Wahl der kaufmännischen Innung hervorgegangen, ein
Mann ihres Vertrauens; das Interesse des Reichs wäre durch das Be¬
stätigungsrecht der Landesjustizverwaltung genügend gewahrt.

Der gewählte rechtsgelehrte Vorsitzende wird allerdings ein dem Reichs¬
land Angehöriger und als solcher auf längere Zeit hinaus nicht eben von großer
Zuneigung für deutsches Reich und deutsches Recht erfüllt sein, und es mochte
hiernach scheinen, als ob wir uns mit unserm Vorschlag einer Inkonsequenz
«schuldig machen, da wir ja oben die voraussichtliche Hinneigung eines nur
aus reichsländischen Kaufleuten und einem reichsländischen Gerichtsschreiber
gebildeten Gerichts zu französischem Recht als Grund gegen die Beibehaltung
der dermaligen Handelsgerichte hervorgehoben haben, und diese Hinneigung
bei dem in Vorschlag gebrachten Handelsschiedsgericht kaum in geringerem
Grad zu erwarten wäre. Allein zwischen der einen und der andern Art von
Gericht ist doch, was diese Gefahr angeht, ein sehr wesentlicher Unterschied;
bei dem rechtsgelehrten Vorsitzenden werden wir allerdings französische Sym¬
pathien vermuthen dürfen, aber die Bestätigung Seitens der Staatsgewalt
wird ihm, zumal wenn das deutsche Recht eingeführt wird, jedenfalls nur zu
Theil, wenn er sich über vollständige Kenntniß des letztern ausgewiesen hat;
er hat sodann, wie jeder andere Richter eidlich die Beobachtung der Gesetze
zu geloben, ist also in seinem Gewissen gebunden, das deutsche Recht zur An¬
wendung zu bringen, und ist moralisch dafür verantwortlich, daß auch seine
kaufmännischen Collegen nach keinem andern Recht urtheilen; der reicksländische
Kaufmann kann, wenn er sich von französischen Neigungen beherrschen läßt,
sein Gewissen immer damit beschwichtigen, daß er den Unterschied zwischen
französischem und deutschem Recht nicht so genau kenne, der Gerichtsschreiber
aber, welcher bekanntlich bei den rein kaufmännischen Handelsgerichten ma¬
teriell eine bedeutende Rolle spielt, ist formell für den Inhalt des Urtheils
nicht verantwortlich, und wird darum wenig Gewissensbisse verspüren, wenn
er die Rechtsprechung des Handelsgerichts in französischem Sinn beeinflußt;
bei dem rechtsgelehrten Vorsitzenden verhält sich dies, wie gesagt, ganz anders.
^- Eine weitere Garantie gegen eine arti-nationale Tendenz in der Recht¬
sprechung der von uns befürworteten Gerichte liegt in ihrem Charakter als
Schiedsgerichte, als Vertrauens-Gerichte. Wir haben schon in unserm


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[0173] veränderten Beibehaltung der reichsländischen Handelsgerichte kann nun aller¬ dings nach dem Angeführten keine Rede sein; will man aber, der Sympathie des Reichslands wegen, Handelsgerichte beibehalten, so ist die Aufgabe offenbar die, die neuen Handelsgerichte in der Organisation soviel als nur immer möglich den alten ähnlich zu machen; dies wäre bei unsern Handelsschieds¬ gerichten der Fall: einen rechtsgelehrten Vorsitzenden müßten sich zwar die reichsländischen Kaufleute wie die des übrigen Reichs gefallen lassen, aber auch er wäre, aus der Wahl der kaufmännischen Innung hervorgegangen, ein Mann ihres Vertrauens; das Interesse des Reichs wäre durch das Be¬ stätigungsrecht der Landesjustizverwaltung genügend gewahrt. Der gewählte rechtsgelehrte Vorsitzende wird allerdings ein dem Reichs¬ land Angehöriger und als solcher auf längere Zeit hinaus nicht eben von großer Zuneigung für deutsches Reich und deutsches Recht erfüllt sein, und es mochte hiernach scheinen, als ob wir uns mit unserm Vorschlag einer Inkonsequenz «schuldig machen, da wir ja oben die voraussichtliche Hinneigung eines nur aus reichsländischen Kaufleuten und einem reichsländischen Gerichtsschreiber gebildeten Gerichts zu französischem Recht als Grund gegen die Beibehaltung der dermaligen Handelsgerichte hervorgehoben haben, und diese Hinneigung bei dem in Vorschlag gebrachten Handelsschiedsgericht kaum in geringerem Grad zu erwarten wäre. Allein zwischen der einen und der andern Art von Gericht ist doch, was diese Gefahr angeht, ein sehr wesentlicher Unterschied; bei dem rechtsgelehrten Vorsitzenden werden wir allerdings französische Sym¬ pathien vermuthen dürfen, aber die Bestätigung Seitens der Staatsgewalt wird ihm, zumal wenn das deutsche Recht eingeführt wird, jedenfalls nur zu Theil, wenn er sich über vollständige Kenntniß des letztern ausgewiesen hat; er hat sodann, wie jeder andere Richter eidlich die Beobachtung der Gesetze zu geloben, ist also in seinem Gewissen gebunden, das deutsche Recht zur An¬ wendung zu bringen, und ist moralisch dafür verantwortlich, daß auch seine kaufmännischen Collegen nach keinem andern Recht urtheilen; der reicksländische Kaufmann kann, wenn er sich von französischen Neigungen beherrschen läßt, sein Gewissen immer damit beschwichtigen, daß er den Unterschied zwischen französischem und deutschem Recht nicht so genau kenne, der Gerichtsschreiber aber, welcher bekanntlich bei den rein kaufmännischen Handelsgerichten ma¬ teriell eine bedeutende Rolle spielt, ist formell für den Inhalt des Urtheils nicht verantwortlich, und wird darum wenig Gewissensbisse verspüren, wenn er die Rechtsprechung des Handelsgerichts in französischem Sinn beeinflußt; bei dem rechtsgelehrten Vorsitzenden verhält sich dies, wie gesagt, ganz anders. ^- Eine weitere Garantie gegen eine arti-nationale Tendenz in der Recht¬ sprechung der von uns befürworteten Gerichte liegt in ihrem Charakter als Schiedsgerichte, als Vertrauens-Gerichte. Wir haben schon in unserm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/173>, abgerufen am 29.06.2024.