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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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tung des Landgrafen lag, dessen wehwüthiges "Schwer langweilig ist mir
mein' Zeit" gerade damals anklagend gegen seine Bürgen erscholl*), war doch
nur ein äußerer Grund, eine Handhabe; die Religion kam ihm kaum in
dritter Linie, das Baterland gar nicht in Rechnung. Wie er vordem in
Sachen der Religion seinen früheren Betheuerungen ins Gesicht geschlagen,
so that er es jetzt hinsichtlich seiner so oft hervorgehobenen Treue gegen die
von Gott gesetzte Obrigkeit, gegen Kaiser und Reich. Was er jetzt trieb, war
radikale Politik; was er wollte, war Auflösung der alten Reichseinheit in
einen lockeren Fürstenbund, dessen einzelne Glieder mit ungemessener Libertät
ausgestattet sein sollten. Dazu aber mußte er zuerst das Bündniß der klei¬
nen norddeutschen Fürsten und Städte sprengen, an dessen Spitze Hans von
Küstrin stand; denn die waren ihm nicht radikal genug, sie wollten ja nur
gesetzliche Abwehr kaiserlicher Uebergriffe. Dazu mußte er ferner mit den
Fremden Bündnisse schließen und diese ins Land laden, den Preis zählend
von deutschem Reichsgebiet, als ob er darüber zu verfügen hätte.

Alles dies aber fühlte und erwog die öffentliche Meinung in Deutschland
sehr wol, und es klang ihm kein Hauch der Sympathie aus dem protestanti¬
schen Lager entgegen, als er, angeblich um den Glauben zu retten und
Deutschland von "viehischer Tyrannei" zu befreien, mit Frühlingsanfang
1352 gegen den Kaiser losbrach; aus dem gegnerischen Lager aber sang man
ihm bald darauf einen neuen "armen Judas" zu.**) Um so mehr mochte er
jetzt die Nothwendigkeit fühlen, seinen retterischen Standpunkt zu betonen
und sich als den Hort des Glaubens und der Freiheit hinzustellen; auch mochte
er persönlich geneigt sein, sich selber in diese Rolle hineinzudenken und seine
wahren Beweggründe vor sich zu beschönigen. Daher das folgende Lied, als
dessen Verfasser die Ueberlieferung den Kurfürsten selbst bezeichnet und das
gleichzeitig mit seinem unverhofften Losbruch aus seiner offiziösen Presse her¬
vorging. Es führt den Titel:


Herzog Moritzen des Kurfürsten zu Sachsen Lied, welches er gemacht hat.
eh' er aus seinem Land hinweg ist geritten. In dem Tone:
Ob ich gleich arm und elend bin, So trag' ich doch ein'n steten Sinn.***)

[Beginn Spaltensatz] Mein Herz das hat kein Trauern nicht,
Der lieb Gott weiß, was mich anficht,
Der frischt mir mein Gemüthe;
Zu ihm ich mein Vertrauen hab'.
Er wird mich wol behüten. [Spaltenumbruch] Ob ich schon hab' der Neider viel,
So thu' ich, was Gott haben will,
Bei sein'in Wort will ich bleiben;
Dabei laß ich Land, Leut und Gut,
Ob sie mich schon drum meiden. [Ende Spaltensatz]




*) Man glaube nicht, daß wir dies Lied für Philipp's eignes Werk halten. Der Land¬
graf hatte eben auch seine Poeten, seine "offiziöse Presse.""
O du armer Mauritz, Was hast du gethan! mit dem Refrain "Kisten-, Seckelscger
statt "Kyricleison."
Akrostichon- Moriz, Herzog zu Sachsen, Churfürst, Burggraf zu Magdeburg.

tung des Landgrafen lag, dessen wehwüthiges „Schwer langweilig ist mir
mein' Zeit" gerade damals anklagend gegen seine Bürgen erscholl*), war doch
nur ein äußerer Grund, eine Handhabe; die Religion kam ihm kaum in
dritter Linie, das Baterland gar nicht in Rechnung. Wie er vordem in
Sachen der Religion seinen früheren Betheuerungen ins Gesicht geschlagen,
so that er es jetzt hinsichtlich seiner so oft hervorgehobenen Treue gegen die
von Gott gesetzte Obrigkeit, gegen Kaiser und Reich. Was er jetzt trieb, war
radikale Politik; was er wollte, war Auflösung der alten Reichseinheit in
einen lockeren Fürstenbund, dessen einzelne Glieder mit ungemessener Libertät
ausgestattet sein sollten. Dazu aber mußte er zuerst das Bündniß der klei¬
nen norddeutschen Fürsten und Städte sprengen, an dessen Spitze Hans von
Küstrin stand; denn die waren ihm nicht radikal genug, sie wollten ja nur
gesetzliche Abwehr kaiserlicher Uebergriffe. Dazu mußte er ferner mit den
Fremden Bündnisse schließen und diese ins Land laden, den Preis zählend
von deutschem Reichsgebiet, als ob er darüber zu verfügen hätte.

Alles dies aber fühlte und erwog die öffentliche Meinung in Deutschland
sehr wol, und es klang ihm kein Hauch der Sympathie aus dem protestanti¬
schen Lager entgegen, als er, angeblich um den Glauben zu retten und
Deutschland von „viehischer Tyrannei" zu befreien, mit Frühlingsanfang
1352 gegen den Kaiser losbrach; aus dem gegnerischen Lager aber sang man
ihm bald darauf einen neuen „armen Judas" zu.**) Um so mehr mochte er
jetzt die Nothwendigkeit fühlen, seinen retterischen Standpunkt zu betonen
und sich als den Hort des Glaubens und der Freiheit hinzustellen; auch mochte
er persönlich geneigt sein, sich selber in diese Rolle hineinzudenken und seine
wahren Beweggründe vor sich zu beschönigen. Daher das folgende Lied, als
dessen Verfasser die Ueberlieferung den Kurfürsten selbst bezeichnet und das
gleichzeitig mit seinem unverhofften Losbruch aus seiner offiziösen Presse her¬
vorging. Es führt den Titel:


Herzog Moritzen des Kurfürsten zu Sachsen Lied, welches er gemacht hat.
eh' er aus seinem Land hinweg ist geritten. In dem Tone:
Ob ich gleich arm und elend bin, So trag' ich doch ein'n steten Sinn.***)

[Beginn Spaltensatz] Mein Herz das hat kein Trauern nicht,
Der lieb Gott weiß, was mich anficht,
Der frischt mir mein Gemüthe;
Zu ihm ich mein Vertrauen hab'.
Er wird mich wol behüten. [Spaltenumbruch] Ob ich schon hab' der Neider viel,
So thu' ich, was Gott haben will,
Bei sein'in Wort will ich bleiben;
Dabei laß ich Land, Leut und Gut,
Ob sie mich schon drum meiden. [Ende Spaltensatz]




*) Man glaube nicht, daß wir dies Lied für Philipp's eignes Werk halten. Der Land¬
graf hatte eben auch seine Poeten, seine „offiziöse Presse.""
O du armer Mauritz, Was hast du gethan! mit dem Refrain „Kisten-, Seckelscger
statt „Kyricleison."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/70>, abgerufen am 22.07.2024.