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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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mannigfachen Wandlungen unter das Scepter des habsburgisch-lothringischen
Hauses. Dieser lange Saum heißt Dalmatien und weil derselbe schon jetzt
an Bedeutung gewinnt, wo in dessen Hinterkante die Fackel des Aufruhres
hell auflodert, so mag es gerechtfertigt erscheinen, jenem so wenig bekannten
Lande einige Betrachtung zu widmen, welches selbst innerhalb der Grenz¬
marken der österreichischen Monarchie vielfach nur in nebelumhüllten Umrissen
bekannt ist. Selten führt der Weg des Binnenländers dahin, wenig Verbin¬
dung herrscht zwischen Dalmatien und der übrigen Monarchie und das Volk
jener Provinz lebt in Anschauungen und Sitten, inmitten eines beschränkten
und von den Verhältnissen ihm vorgezeichneten Jnterefsenkreises, welche fernab
von den Gedanken und Bestrebungen der übrigen zur Monarchie vereinigten
Provinzen liegen. Von altersher hat Dalmatien sich gewöhnen müssen, daß
seine Beherrscher in der Ferne saßen und daß es selbst an der Peripherie
ihres Machtgebietes sich befand. Immer aber behielt es einen Werth nicht
durch das, was es an Reichthum und Productionskraft in sich schloß, sondern
durch seine geographische Lage und durch die maritime Neigung seiner Be¬
wohner. In der ersten Bezeichnung wird es stets zu einer breiten Basis für
die Herrschaft in der Adria und in der letzteren liefert es das tüchtige Ma¬
terial zur Bemannung von Kriegsflotten und zahlreichen Kauffahrern. So
sah man das Land in den Staatsklugen Kreisen der Dominante an, als das
Zeichen des Löwen noch im Zenithe stand und nicht anders urtheilte man in
Wien, als die Erbschaft der stolzen Republik angetreten wurde. Freilich er¬
hielt Oesterreich ein anderes Dalmatien, als solches einst von den Venetianern
erworben worden war, denn diese hatten es für gut befunden, das Land nicht
als eine gleichberechtigte Provinz zu betrachten, sondern mit herkömmlicher
Rücksichtslosigkeit auszunützen. Oesterreich dagegen fand sich der Aufgabe gegen¬
über, zuerst für das Land selbst zu sorgen und daß diese Aufgabe vielfach nur eine
beabsichtigte blieb, findet seine Erklärung gerade wieder in der excentrischen
Lage dieser den Augen der Regierung entzogenen Provinz. Es war ein Still¬
leben in derselben, welches erst unterbrochen wurde, als die lebhafte politische
Bewegung der letzten anderthalb Dezennien auch auf Dalmatien ihre Wellen
warf und als alte staatsrechtliche Projecte aus den Archiven und historischen
Schriften hervorgeholt wurden und man im Lande in Parteiungen sich schaarte,
um über Dalmatiens künftige Stellung zum Reich zu beschließen.

Der ganze Flächeninhalt Dalmatiens beträgt 232 Quadratmeilen, seine
Bevölkerung nach der letzten Volkszählung 442.000 Einwohner. Es hat
schon von Natur eine ganz eigenthümliche Formation. Ein langgestrecktes,
oft tief eingeschnittenes Festland, dessen Breite an manchen Stellen auf we¬
nige Meilen herabsinkt und vor demselben, nicht unähnlich einem schützenden
Walle, ein dichtes Gewirr von Inseln. Riffen und Canälen, in deren


mannigfachen Wandlungen unter das Scepter des habsburgisch-lothringischen
Hauses. Dieser lange Saum heißt Dalmatien und weil derselbe schon jetzt
an Bedeutung gewinnt, wo in dessen Hinterkante die Fackel des Aufruhres
hell auflodert, so mag es gerechtfertigt erscheinen, jenem so wenig bekannten
Lande einige Betrachtung zu widmen, welches selbst innerhalb der Grenz¬
marken der österreichischen Monarchie vielfach nur in nebelumhüllten Umrissen
bekannt ist. Selten führt der Weg des Binnenländers dahin, wenig Verbin¬
dung herrscht zwischen Dalmatien und der übrigen Monarchie und das Volk
jener Provinz lebt in Anschauungen und Sitten, inmitten eines beschränkten
und von den Verhältnissen ihm vorgezeichneten Jnterefsenkreises, welche fernab
von den Gedanken und Bestrebungen der übrigen zur Monarchie vereinigten
Provinzen liegen. Von altersher hat Dalmatien sich gewöhnen müssen, daß
seine Beherrscher in der Ferne saßen und daß es selbst an der Peripherie
ihres Machtgebietes sich befand. Immer aber behielt es einen Werth nicht
durch das, was es an Reichthum und Productionskraft in sich schloß, sondern
durch seine geographische Lage und durch die maritime Neigung seiner Be¬
wohner. In der ersten Bezeichnung wird es stets zu einer breiten Basis für
die Herrschaft in der Adria und in der letzteren liefert es das tüchtige Ma¬
terial zur Bemannung von Kriegsflotten und zahlreichen Kauffahrern. So
sah man das Land in den Staatsklugen Kreisen der Dominante an, als das
Zeichen des Löwen noch im Zenithe stand und nicht anders urtheilte man in
Wien, als die Erbschaft der stolzen Republik angetreten wurde. Freilich er¬
hielt Oesterreich ein anderes Dalmatien, als solches einst von den Venetianern
erworben worden war, denn diese hatten es für gut befunden, das Land nicht
als eine gleichberechtigte Provinz zu betrachten, sondern mit herkömmlicher
Rücksichtslosigkeit auszunützen. Oesterreich dagegen fand sich der Aufgabe gegen¬
über, zuerst für das Land selbst zu sorgen und daß diese Aufgabe vielfach nur eine
beabsichtigte blieb, findet seine Erklärung gerade wieder in der excentrischen
Lage dieser den Augen der Regierung entzogenen Provinz. Es war ein Still¬
leben in derselben, welches erst unterbrochen wurde, als die lebhafte politische
Bewegung der letzten anderthalb Dezennien auch auf Dalmatien ihre Wellen
warf und als alte staatsrechtliche Projecte aus den Archiven und historischen
Schriften hervorgeholt wurden und man im Lande in Parteiungen sich schaarte,
um über Dalmatiens künftige Stellung zum Reich zu beschließen.

Der ganze Flächeninhalt Dalmatiens beträgt 232 Quadratmeilen, seine
Bevölkerung nach der letzten Volkszählung 442.000 Einwohner. Es hat
schon von Natur eine ganz eigenthümliche Formation. Ein langgestrecktes,
oft tief eingeschnittenes Festland, dessen Breite an manchen Stellen auf we¬
nige Meilen herabsinkt und vor demselben, nicht unähnlich einem schützenden
Walle, ein dichtes Gewirr von Inseln. Riffen und Canälen, in deren


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[0486] mannigfachen Wandlungen unter das Scepter des habsburgisch-lothringischen Hauses. Dieser lange Saum heißt Dalmatien und weil derselbe schon jetzt an Bedeutung gewinnt, wo in dessen Hinterkante die Fackel des Aufruhres hell auflodert, so mag es gerechtfertigt erscheinen, jenem so wenig bekannten Lande einige Betrachtung zu widmen, welches selbst innerhalb der Grenz¬ marken der österreichischen Monarchie vielfach nur in nebelumhüllten Umrissen bekannt ist. Selten führt der Weg des Binnenländers dahin, wenig Verbin¬ dung herrscht zwischen Dalmatien und der übrigen Monarchie und das Volk jener Provinz lebt in Anschauungen und Sitten, inmitten eines beschränkten und von den Verhältnissen ihm vorgezeichneten Jnterefsenkreises, welche fernab von den Gedanken und Bestrebungen der übrigen zur Monarchie vereinigten Provinzen liegen. Von altersher hat Dalmatien sich gewöhnen müssen, daß seine Beherrscher in der Ferne saßen und daß es selbst an der Peripherie ihres Machtgebietes sich befand. Immer aber behielt es einen Werth nicht durch das, was es an Reichthum und Productionskraft in sich schloß, sondern durch seine geographische Lage und durch die maritime Neigung seiner Be¬ wohner. In der ersten Bezeichnung wird es stets zu einer breiten Basis für die Herrschaft in der Adria und in der letzteren liefert es das tüchtige Ma¬ terial zur Bemannung von Kriegsflotten und zahlreichen Kauffahrern. So sah man das Land in den Staatsklugen Kreisen der Dominante an, als das Zeichen des Löwen noch im Zenithe stand und nicht anders urtheilte man in Wien, als die Erbschaft der stolzen Republik angetreten wurde. Freilich er¬ hielt Oesterreich ein anderes Dalmatien, als solches einst von den Venetianern erworben worden war, denn diese hatten es für gut befunden, das Land nicht als eine gleichberechtigte Provinz zu betrachten, sondern mit herkömmlicher Rücksichtslosigkeit auszunützen. Oesterreich dagegen fand sich der Aufgabe gegen¬ über, zuerst für das Land selbst zu sorgen und daß diese Aufgabe vielfach nur eine beabsichtigte blieb, findet seine Erklärung gerade wieder in der excentrischen Lage dieser den Augen der Regierung entzogenen Provinz. Es war ein Still¬ leben in derselben, welches erst unterbrochen wurde, als die lebhafte politische Bewegung der letzten anderthalb Dezennien auch auf Dalmatien ihre Wellen warf und als alte staatsrechtliche Projecte aus den Archiven und historischen Schriften hervorgeholt wurden und man im Lande in Parteiungen sich schaarte, um über Dalmatiens künftige Stellung zum Reich zu beschließen. Der ganze Flächeninhalt Dalmatiens beträgt 232 Quadratmeilen, seine Bevölkerung nach der letzten Volkszählung 442.000 Einwohner. Es hat schon von Natur eine ganz eigenthümliche Formation. Ein langgestrecktes, oft tief eingeschnittenes Festland, dessen Breite an manchen Stellen auf we¬ nige Meilen herabsinkt und vor demselben, nicht unähnlich einem schützenden Walle, ein dichtes Gewirr von Inseln. Riffen und Canälen, in deren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/486>, abgerufen am 24.08.2024.