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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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großen Fluß ist so groß wie Wien in seiner überreichen Umgebung und an
seiner mächtigen Donau.

Aber lassen wir de Laveleye weiter reden. "Vergleiche man den Stand
der öffentlichen Fonds der protestantischen und der katholischen Staaten an
der Börse, so ist der Unterschied ungemein groß. Die dreiprocentigen eng¬
lischen Papiere stehen über 92, die französischen schwanken um 60 Proc.; die
holländische, die preußische, die dänische Rente steht wenigstens alpari, die
österreichische, die italienische, die spanische erhebt sich wenig über die Hälfte.
In ganz Deutschland befindet sich der Handel mit Geistesproducten, Büchern,
Karten, Wochenschriften und Zeitungen fast ganz in den Händen der Pro--
testanten. Die Reformation hat den Ländern, die sich ihr anschlössen, eine
Kraft verliehen, die sich die Geschichte kaum zu erklären vermag. Man sehe
sich die Niederlande an: zwei Millionen Menschen auf einem Boden, der halb
Dünensand, halb Sumpf war. Sie widerstehen Spanien, der weltbeherrschen¬
den Macht, und kaum befreit-vom kastilischen Joche, bedecken sie alle Meere
mit ihrer Flagge, stellen sich an die Spitze der geistigen Welt, besitzen so viel
Schiffe als das ganze übrige europäische Festland zusammen, machen sich zur
Seele aller großen Bündnisse West- und Nordeuropas, treten den gegen sie
alliirten Kronen von Frankreich und England entgegen, bieten den Vereinig¬
ten Staaten den Typus des Bundesstaates dar, welcher der großen Republik
ein unbegrenztes Wachsthum gestattet, und geben der Welt in den Noten¬
banken und Actiengesellschaften das erste Beispiel finanzieller Combinationen,
die mächtig zur gegenwärtigen Entwickelung des Reichthums beitragen.
Schweden, eine Million Menschen auf einem granitnen Boden, der sechs
Monate im Jahre im Schnee begraben ist, mischt sich unter Gustav Adolf
in die Angelegenheiten des Festlands, schlägt Oesterreich und seine Verbün¬
deten und rettet die Reformation. England ist heutzutage die Königin der
Meere, die erste Nation in Industrie und Handel. Es beherrscht in Asien
zweihundert Millionen Menschen und wird diese Herrschaft, wenn überhaupt,
sicher nie an ein katholisches Volk verlieren. Die Vereinigten Staaten wachsen
mit schwindelerregender Raschheit (allerdings nicht allein infolge dessen, daß
Protestanten hier den Kern und die Mehrzahl der Bevölkerung bilden, sondern
auch infolge ihres Reichthums an Wald und fruchtbarem Boden, an Eisen-
und Kohlenlagern, an Gold- und Silberadern, an großen Strömen und
guten Häfen). Sie zählen 42 Millionen Einwohner, und gegen das Ende
des Jahrhunderts werden sie deren hundert Millionen zählen. In zwei
Jahrhunderten werden Amerika, Australien und Südafrika den ketzerischen
Angelsachsen und Asien den schismatischen Slaven gehören.

Die Rom unterworfenen Völker scheinen mit Unfruchtbarkeit geschlagen
zu sein. Sie colonisiren nicht mehr (der Versuch der Franzosen in Algerien


großen Fluß ist so groß wie Wien in seiner überreichen Umgebung und an
seiner mächtigen Donau.

Aber lassen wir de Laveleye weiter reden. „Vergleiche man den Stand
der öffentlichen Fonds der protestantischen und der katholischen Staaten an
der Börse, so ist der Unterschied ungemein groß. Die dreiprocentigen eng¬
lischen Papiere stehen über 92, die französischen schwanken um 60 Proc.; die
holländische, die preußische, die dänische Rente steht wenigstens alpari, die
österreichische, die italienische, die spanische erhebt sich wenig über die Hälfte.
In ganz Deutschland befindet sich der Handel mit Geistesproducten, Büchern,
Karten, Wochenschriften und Zeitungen fast ganz in den Händen der Pro--
testanten. Die Reformation hat den Ländern, die sich ihr anschlössen, eine
Kraft verliehen, die sich die Geschichte kaum zu erklären vermag. Man sehe
sich die Niederlande an: zwei Millionen Menschen auf einem Boden, der halb
Dünensand, halb Sumpf war. Sie widerstehen Spanien, der weltbeherrschen¬
den Macht, und kaum befreit-vom kastilischen Joche, bedecken sie alle Meere
mit ihrer Flagge, stellen sich an die Spitze der geistigen Welt, besitzen so viel
Schiffe als das ganze übrige europäische Festland zusammen, machen sich zur
Seele aller großen Bündnisse West- und Nordeuropas, treten den gegen sie
alliirten Kronen von Frankreich und England entgegen, bieten den Vereinig¬
ten Staaten den Typus des Bundesstaates dar, welcher der großen Republik
ein unbegrenztes Wachsthum gestattet, und geben der Welt in den Noten¬
banken und Actiengesellschaften das erste Beispiel finanzieller Combinationen,
die mächtig zur gegenwärtigen Entwickelung des Reichthums beitragen.
Schweden, eine Million Menschen auf einem granitnen Boden, der sechs
Monate im Jahre im Schnee begraben ist, mischt sich unter Gustav Adolf
in die Angelegenheiten des Festlands, schlägt Oesterreich und seine Verbün¬
deten und rettet die Reformation. England ist heutzutage die Königin der
Meere, die erste Nation in Industrie und Handel. Es beherrscht in Asien
zweihundert Millionen Menschen und wird diese Herrschaft, wenn überhaupt,
sicher nie an ein katholisches Volk verlieren. Die Vereinigten Staaten wachsen
mit schwindelerregender Raschheit (allerdings nicht allein infolge dessen, daß
Protestanten hier den Kern und die Mehrzahl der Bevölkerung bilden, sondern
auch infolge ihres Reichthums an Wald und fruchtbarem Boden, an Eisen-
und Kohlenlagern, an Gold- und Silberadern, an großen Strömen und
guten Häfen). Sie zählen 42 Millionen Einwohner, und gegen das Ende
des Jahrhunderts werden sie deren hundert Millionen zählen. In zwei
Jahrhunderten werden Amerika, Australien und Südafrika den ketzerischen
Angelsachsen und Asien den schismatischen Slaven gehören.

Die Rom unterworfenen Völker scheinen mit Unfruchtbarkeit geschlagen
zu sein. Sie colonisiren nicht mehr (der Versuch der Franzosen in Algerien


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/48>, abgerufen am 26.06.2024.