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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Däuser Keisebeoöachtungen.
ii.

"?1uetUÄt N6L Mörgitur!" Welch' ungeheure Stürme sind im Laufe der
Zeiten über diese zweitausendjährige Stadt dahingebraust! Aber immer von
Neuem hat sie sich aufgerichtet, als sei sie nur kräftiger und lebensfreudiger
geworden. Der letzte Sturm lebt uns in frischer Erinnerung. In jenen
harten Wintermonden des Jahres 1870, da die ganze Kraft unserer Heere auf
die Bezwingung der Riesenfeste gerichtet war. da hat in Deuschland sich so
manche Faust vor Zorn darüber geballt, daß man dies übermüthige Paris
mit so sichtlicher Schonung behandle. Und doch, als später im Mai, während
wir uns des glücklich errungenen Friedens freuten, die entsetzliche Kunde
kam von der namenlosen Verwüstung, mit welcher Frankreichs eigne Kinder
ihre glänzende Hauptstadt heimgesucht, wer unter uns wäre nicht bei dieser
Schreckensbotschaft von aufrichtigstem Bedauern bewegt worden! Es schien,
als sei die stolze Weltstadt im innersten Lebensnerv getroffen. Und heute --
wer merkt ihr noch an. daß sie soeben erst am Rande des Untergangs ge¬
schwebt! Wohl liegen die Tuilerien noch in Trümmern, wohl ist. wo noch
vor wenig Jahren eine der imposantesten Renaissancebauten der Welt, das
Stadthaus, sich erhob, heute nur eine leere Stätte, wohl tragen die Villen-
städte an den reizenden Bergabhängen im Westen noch zahlreiche Spuren der
wilden Kriegsfurie und im Gespräch taucht ab und zu eine Erinnerung aus
einer der beiden Belagerungen auf, aber was will das Alles besagen gegen
dies gewaltige, frisch und fröhlich pulsirende Leben, das sich in seligem Ver¬
gessen des Vergangenen auf dem blutgetränkten Boden tummelt! Fürwahr,
niemals ist so, wie in der Devise des Wappens dieser Stadt, der Wahlspruch
zum Wahrspruch geworden: das Schiff Paris mag schwanken auf den Wogen
der Geschichte, untergehen wird es nicht! --

Seit wir eine Reichshauptstadt besitzen. wird der Deutsche Paris nicht
betreten können, ohne daß sich ihm fortwährend die Vergleichung mit Berlin
aufdrängte -- für ein nationalstolzes Gemüth nicht grade eine erhebende
Beschäftigung. Freilich, der Himmel bewahre uns davor, daß Berlin jemals
ganz werde, was Paris ist. Wir würden den besten Theil unserer wirklich
"berechtigten Eigenthümlichkeiten" daran geben, wollten wir die geistige Kraft
unserer Nation in dem Maße von der Hauptstadt absorbiren lassen, wie dies
bei unsern Nachbarn der Fall ist. Auch die im politischen Leben schlechthin
dominirende Stellung, welche Paris noch in der letzten Katastrophe einge¬
nommen hat, wird man Berlin nicht wünschen wollen, zumal sie zur Vor¬
aussetzung eine Centralisation haben müßte, gegen welche selbst der ortho-


Däuser Keisebeoöachtungen.
ii.

„?1uetUÄt N6L Mörgitur!" Welch' ungeheure Stürme sind im Laufe der
Zeiten über diese zweitausendjährige Stadt dahingebraust! Aber immer von
Neuem hat sie sich aufgerichtet, als sei sie nur kräftiger und lebensfreudiger
geworden. Der letzte Sturm lebt uns in frischer Erinnerung. In jenen
harten Wintermonden des Jahres 1870, da die ganze Kraft unserer Heere auf
die Bezwingung der Riesenfeste gerichtet war. da hat in Deuschland sich so
manche Faust vor Zorn darüber geballt, daß man dies übermüthige Paris
mit so sichtlicher Schonung behandle. Und doch, als später im Mai, während
wir uns des glücklich errungenen Friedens freuten, die entsetzliche Kunde
kam von der namenlosen Verwüstung, mit welcher Frankreichs eigne Kinder
ihre glänzende Hauptstadt heimgesucht, wer unter uns wäre nicht bei dieser
Schreckensbotschaft von aufrichtigstem Bedauern bewegt worden! Es schien,
als sei die stolze Weltstadt im innersten Lebensnerv getroffen. Und heute —
wer merkt ihr noch an. daß sie soeben erst am Rande des Untergangs ge¬
schwebt! Wohl liegen die Tuilerien noch in Trümmern, wohl ist. wo noch
vor wenig Jahren eine der imposantesten Renaissancebauten der Welt, das
Stadthaus, sich erhob, heute nur eine leere Stätte, wohl tragen die Villen-
städte an den reizenden Bergabhängen im Westen noch zahlreiche Spuren der
wilden Kriegsfurie und im Gespräch taucht ab und zu eine Erinnerung aus
einer der beiden Belagerungen auf, aber was will das Alles besagen gegen
dies gewaltige, frisch und fröhlich pulsirende Leben, das sich in seligem Ver¬
gessen des Vergangenen auf dem blutgetränkten Boden tummelt! Fürwahr,
niemals ist so, wie in der Devise des Wappens dieser Stadt, der Wahlspruch
zum Wahrspruch geworden: das Schiff Paris mag schwanken auf den Wogen
der Geschichte, untergehen wird es nicht! —

Seit wir eine Reichshauptstadt besitzen. wird der Deutsche Paris nicht
betreten können, ohne daß sich ihm fortwährend die Vergleichung mit Berlin
aufdrängte — für ein nationalstolzes Gemüth nicht grade eine erhebende
Beschäftigung. Freilich, der Himmel bewahre uns davor, daß Berlin jemals
ganz werde, was Paris ist. Wir würden den besten Theil unserer wirklich
„berechtigten Eigenthümlichkeiten" daran geben, wollten wir die geistige Kraft
unserer Nation in dem Maße von der Hauptstadt absorbiren lassen, wie dies
bei unsern Nachbarn der Fall ist. Auch die im politischen Leben schlechthin
dominirende Stellung, welche Paris noch in der letzten Katastrophe einge¬
nommen hat, wird man Berlin nicht wünschen wollen, zumal sie zur Vor¬
aussetzung eine Centralisation haben müßte, gegen welche selbst der ortho-


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[0474] Däuser Keisebeoöachtungen. ii. „?1uetUÄt N6L Mörgitur!" Welch' ungeheure Stürme sind im Laufe der Zeiten über diese zweitausendjährige Stadt dahingebraust! Aber immer von Neuem hat sie sich aufgerichtet, als sei sie nur kräftiger und lebensfreudiger geworden. Der letzte Sturm lebt uns in frischer Erinnerung. In jenen harten Wintermonden des Jahres 1870, da die ganze Kraft unserer Heere auf die Bezwingung der Riesenfeste gerichtet war. da hat in Deuschland sich so manche Faust vor Zorn darüber geballt, daß man dies übermüthige Paris mit so sichtlicher Schonung behandle. Und doch, als später im Mai, während wir uns des glücklich errungenen Friedens freuten, die entsetzliche Kunde kam von der namenlosen Verwüstung, mit welcher Frankreichs eigne Kinder ihre glänzende Hauptstadt heimgesucht, wer unter uns wäre nicht bei dieser Schreckensbotschaft von aufrichtigstem Bedauern bewegt worden! Es schien, als sei die stolze Weltstadt im innersten Lebensnerv getroffen. Und heute — wer merkt ihr noch an. daß sie soeben erst am Rande des Untergangs ge¬ schwebt! Wohl liegen die Tuilerien noch in Trümmern, wohl ist. wo noch vor wenig Jahren eine der imposantesten Renaissancebauten der Welt, das Stadthaus, sich erhob, heute nur eine leere Stätte, wohl tragen die Villen- städte an den reizenden Bergabhängen im Westen noch zahlreiche Spuren der wilden Kriegsfurie und im Gespräch taucht ab und zu eine Erinnerung aus einer der beiden Belagerungen auf, aber was will das Alles besagen gegen dies gewaltige, frisch und fröhlich pulsirende Leben, das sich in seligem Ver¬ gessen des Vergangenen auf dem blutgetränkten Boden tummelt! Fürwahr, niemals ist so, wie in der Devise des Wappens dieser Stadt, der Wahlspruch zum Wahrspruch geworden: das Schiff Paris mag schwanken auf den Wogen der Geschichte, untergehen wird es nicht! — Seit wir eine Reichshauptstadt besitzen. wird der Deutsche Paris nicht betreten können, ohne daß sich ihm fortwährend die Vergleichung mit Berlin aufdrängte — für ein nationalstolzes Gemüth nicht grade eine erhebende Beschäftigung. Freilich, der Himmel bewahre uns davor, daß Berlin jemals ganz werde, was Paris ist. Wir würden den besten Theil unserer wirklich „berechtigten Eigenthümlichkeiten" daran geben, wollten wir die geistige Kraft unserer Nation in dem Maße von der Hauptstadt absorbiren lassen, wie dies bei unsern Nachbarn der Fall ist. Auch die im politischen Leben schlechthin dominirende Stellung, welche Paris noch in der letzten Katastrophe einge¬ nommen hat, wird man Berlin nicht wünschen wollen, zumal sie zur Vor¬ aussetzung eine Centralisation haben müßte, gegen welche selbst der ortho-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/474>, abgerufen am 22.07.2024.