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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Ursprung des Carbonarismus sei, indem er sich nach Italien ausge¬
breitet habe.

Etwas weniger unwahrscheinlich klingt folgende Ableitung, obwohl auch
sie mit verschiedenen Fabeln versetzt ist. Bor Alters bestand im französischen
Jura ein zunftartiger Bund der Holzhauer l^enäours), der sich "1s bon
evusiuaM", d. h. die Gesellschaft der guten Vettern nannte. Derselbe hatte
drei Grade: Lehrling, Gesell und Meister. Bei den Aufnahmen breitete man
ein weißes Taschentuch auf den Erdboden, auf das man ein Salzfaß, einen
Becher mit Wasser, eine brennende Kienfackel und ein Kruzifix stellte. Der
Aspirant mußte bei dem Salz und Wasser niederknieend schwören, die Ge¬
heimnisse des Bundes treu zu bewahren, worauf man ihm die Erkennungs¬
zeichen desselben und die Bedeutung der auf dem Tuche stehenden Gegenstände
mittheilte. Von letzteren sollte das Kreuz die Erlösung, das Salz die christ¬
lichen Tugenden, das Tischtuch das Tuch, in welchem die Todten bestattet
wurden. die Fackel endlich die Lichter darstellen, die an den Sterbebetten zu
brennen pflegten. Die Erkennungszeichen bestanden vorzüglich in folgendem
Zwiegespräch: "Woher kommst Du, Vetter von der Eiche?" -- "Aus dem
Walde." -- "Wo ist Dein Vater?" -- "Erhebe Deine Augen gen Himmel."--
"Wo ist Deine Mutter?" -- "Schlage Deine Augen zur Erde nieder." --
"Wie ehrst Du Deinen Vater?" -- "Durch Huldigung und Ehrfurcht." --
"Was giebst Du Deiner Mutter?" -- Während des Lebens meine Pflege,
später meinen Leib." -- "Wenn ich Hülfe bedarf, was wirst Du mir geben?" --
"Ich will die Hälfte meines Tagesverdienstes und mein kümmerlich Brot mit
Dir theilen, Du sollst in meiner Hütte ausruhen und Dich an meinem Feuer
wärmen." Der Patron dieses Bundes war Sanct Theobald, als erster Pro¬
tektor galt König Franz der Erste von Frankreich.

Hierüber gingen unter den Carbonari folgende, wie man sehen wird, sehr
Wenig zueinander passende Sagen. 1. Theobald, aus einem Grafengeschlecht
der Champagne stammend, verließ, von Sehnsucht nach einsamem Leben ge¬
trieben, Rang und Reichthum, um mit seinem Freunde Gautier sich in einem
Walde des Schwabenlandes niederzulassen, wo die beiden Eremiten sich vom
Kohlenbrennen nährten. Sie machten später mehrere Pilgerfahrten nach be¬
rühmten heiligen Stätten und siedelten sich zuletzt bei Vicenza an. wo sie
endlich starben. Theobald wurde vom Papst Alexander dem Dritten heilig
gesprochen. 2. Unter der Königin Jsabella von Schottland -- die mythisch
ist -- herrschte große Tyrannei und allerlei Wirrsal. sodaß viele vornehme
Leute sich in die Wälder flüchteten. wo sie als Köhler lebten, zugleich aber
politische Zwecke verfolgten. Unter dem Vorwande. ihre Kohlen zu Markte
zu bringen, trafen sie in den Städten mit ihren Parteigenossen zusammen, um
ihnen ihre Pläne mitzutheilen. Sie erkannten einander an Zeichen, Griffen


Ursprung des Carbonarismus sei, indem er sich nach Italien ausge¬
breitet habe.

Etwas weniger unwahrscheinlich klingt folgende Ableitung, obwohl auch
sie mit verschiedenen Fabeln versetzt ist. Bor Alters bestand im französischen
Jura ein zunftartiger Bund der Holzhauer l^enäours), der sich „1s bon
evusiuaM", d. h. die Gesellschaft der guten Vettern nannte. Derselbe hatte
drei Grade: Lehrling, Gesell und Meister. Bei den Aufnahmen breitete man
ein weißes Taschentuch auf den Erdboden, auf das man ein Salzfaß, einen
Becher mit Wasser, eine brennende Kienfackel und ein Kruzifix stellte. Der
Aspirant mußte bei dem Salz und Wasser niederknieend schwören, die Ge¬
heimnisse des Bundes treu zu bewahren, worauf man ihm die Erkennungs¬
zeichen desselben und die Bedeutung der auf dem Tuche stehenden Gegenstände
mittheilte. Von letzteren sollte das Kreuz die Erlösung, das Salz die christ¬
lichen Tugenden, das Tischtuch das Tuch, in welchem die Todten bestattet
wurden. die Fackel endlich die Lichter darstellen, die an den Sterbebetten zu
brennen pflegten. Die Erkennungszeichen bestanden vorzüglich in folgendem
Zwiegespräch: „Woher kommst Du, Vetter von der Eiche?" — „Aus dem
Walde." — „Wo ist Dein Vater?" — „Erhebe Deine Augen gen Himmel."—
„Wo ist Deine Mutter?" — „Schlage Deine Augen zur Erde nieder." —
„Wie ehrst Du Deinen Vater?" — „Durch Huldigung und Ehrfurcht." —
„Was giebst Du Deiner Mutter?" — Während des Lebens meine Pflege,
später meinen Leib." — „Wenn ich Hülfe bedarf, was wirst Du mir geben?" —
„Ich will die Hälfte meines Tagesverdienstes und mein kümmerlich Brot mit
Dir theilen, Du sollst in meiner Hütte ausruhen und Dich an meinem Feuer
wärmen." Der Patron dieses Bundes war Sanct Theobald, als erster Pro¬
tektor galt König Franz der Erste von Frankreich.

Hierüber gingen unter den Carbonari folgende, wie man sehen wird, sehr
Wenig zueinander passende Sagen. 1. Theobald, aus einem Grafengeschlecht
der Champagne stammend, verließ, von Sehnsucht nach einsamem Leben ge¬
trieben, Rang und Reichthum, um mit seinem Freunde Gautier sich in einem
Walde des Schwabenlandes niederzulassen, wo die beiden Eremiten sich vom
Kohlenbrennen nährten. Sie machten später mehrere Pilgerfahrten nach be¬
rühmten heiligen Stätten und siedelten sich zuletzt bei Vicenza an. wo sie
endlich starben. Theobald wurde vom Papst Alexander dem Dritten heilig
gesprochen. 2. Unter der Königin Jsabella von Schottland — die mythisch
ist — herrschte große Tyrannei und allerlei Wirrsal. sodaß viele vornehme
Leute sich in die Wälder flüchteten. wo sie als Köhler lebten, zugleich aber
politische Zwecke verfolgten. Unter dem Vorwande. ihre Kohlen zu Markte
zu bringen, trafen sie in den Städten mit ihren Parteigenossen zusammen, um
ihnen ihre Pläne mitzutheilen. Sie erkannten einander an Zeichen, Griffen


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[0463] Ursprung des Carbonarismus sei, indem er sich nach Italien ausge¬ breitet habe. Etwas weniger unwahrscheinlich klingt folgende Ableitung, obwohl auch sie mit verschiedenen Fabeln versetzt ist. Bor Alters bestand im französischen Jura ein zunftartiger Bund der Holzhauer l^enäours), der sich „1s bon evusiuaM", d. h. die Gesellschaft der guten Vettern nannte. Derselbe hatte drei Grade: Lehrling, Gesell und Meister. Bei den Aufnahmen breitete man ein weißes Taschentuch auf den Erdboden, auf das man ein Salzfaß, einen Becher mit Wasser, eine brennende Kienfackel und ein Kruzifix stellte. Der Aspirant mußte bei dem Salz und Wasser niederknieend schwören, die Ge¬ heimnisse des Bundes treu zu bewahren, worauf man ihm die Erkennungs¬ zeichen desselben und die Bedeutung der auf dem Tuche stehenden Gegenstände mittheilte. Von letzteren sollte das Kreuz die Erlösung, das Salz die christ¬ lichen Tugenden, das Tischtuch das Tuch, in welchem die Todten bestattet wurden. die Fackel endlich die Lichter darstellen, die an den Sterbebetten zu brennen pflegten. Die Erkennungszeichen bestanden vorzüglich in folgendem Zwiegespräch: „Woher kommst Du, Vetter von der Eiche?" — „Aus dem Walde." — „Wo ist Dein Vater?" — „Erhebe Deine Augen gen Himmel."— „Wo ist Deine Mutter?" — „Schlage Deine Augen zur Erde nieder." — „Wie ehrst Du Deinen Vater?" — „Durch Huldigung und Ehrfurcht." — „Was giebst Du Deiner Mutter?" — Während des Lebens meine Pflege, später meinen Leib." — „Wenn ich Hülfe bedarf, was wirst Du mir geben?" — „Ich will die Hälfte meines Tagesverdienstes und mein kümmerlich Brot mit Dir theilen, Du sollst in meiner Hütte ausruhen und Dich an meinem Feuer wärmen." Der Patron dieses Bundes war Sanct Theobald, als erster Pro¬ tektor galt König Franz der Erste von Frankreich. Hierüber gingen unter den Carbonari folgende, wie man sehen wird, sehr Wenig zueinander passende Sagen. 1. Theobald, aus einem Grafengeschlecht der Champagne stammend, verließ, von Sehnsucht nach einsamem Leben ge¬ trieben, Rang und Reichthum, um mit seinem Freunde Gautier sich in einem Walde des Schwabenlandes niederzulassen, wo die beiden Eremiten sich vom Kohlenbrennen nährten. Sie machten später mehrere Pilgerfahrten nach be¬ rühmten heiligen Stätten und siedelten sich zuletzt bei Vicenza an. wo sie endlich starben. Theobald wurde vom Papst Alexander dem Dritten heilig gesprochen. 2. Unter der Königin Jsabella von Schottland — die mythisch ist — herrschte große Tyrannei und allerlei Wirrsal. sodaß viele vornehme Leute sich in die Wälder flüchteten. wo sie als Köhler lebten, zugleich aber politische Zwecke verfolgten. Unter dem Vorwande. ihre Kohlen zu Markte zu bringen, trafen sie in den Städten mit ihren Parteigenossen zusammen, um ihnen ihre Pläne mitzutheilen. Sie erkannten einander an Zeichen, Griffen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/463>, abgerufen am 22.07.2024.