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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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mildere Strafe verdienen, als vierzehn Tage Gefängniß, nicht mit der größeren
Verwilderung des Pöbels und der Nothwendigkeit ihr drakonische Strenge
entgegen zu setzen, sondern die Motive stellen dem deutschen Richter in
oMwa, kormg, ein Mißtrauenszeugniß aus! Der Richter soll nicht streng
genug sein. "Es wird Seitens der Verwaltungsbehörden (!) mannigfache Klage
darüber geführt, daß die von den Gerichten verhängten Strafen in zahlreichen
Fällen der Bedeutung nicht entsprechen, welche jenen Strafbestimmungen für
die Wahrung der Autorität der Staatsgewalt beiwohnt." Das Heilmittel
ist offenbar schlimmer als das Uebel. Die "Autorität der Staatsgewalt" des
Schutzmanns wird durch Herabsetzung der Autorität des Richteramtes zu heben
versucht. Der Richter soll den Widerstand gegen einen Nachtwächter nicht
geringer ahnden dürfen, als mit vierzehn Tagen Gefängniß. Wenn nur
dreizehn Tage erkannt würden, erlitte die "Autorität der Staatsgewalt" nach
den Motiven schon eine uows levis maeulÄ. Eine nur achttägige Gefängni߬
strafe vollends gegen den Bösewicht, der die Hacken einstemmt, wenn der
Schutzmann ihn zum Polizeigewahrsam abzuführen sucht, erschüttert nach den
Motiven bereits das Gebäude staatlicher Ordnung! Solche Arbeit kommt vom
grünen Tische und mißachtet vollständig die tägliche Erfahrung des Lebens.
Die übergroße Mehrzahl der Widerstandsfälle ist in der That mit einer ge¬
ringen Geld- oder Gefängnißstrafe ausreichend gesühnt. Denn man darf nicht
vergessen, daß selten der Träger der "Autorität der Staatsgewalt" seinerseits
dabei rein in den Bahnen der materiellen Befugnisse seines Amtes wan¬
delt, und daß in noch selteneren Fällen der Uebelthäter voller Nüchternheit
sich rühmen kann, wenn er der Staatsgewalt Widerstand leistet. Der
Richter stützt seinerseits die Autorität der öffentlichen Sicherheitsorgane
schon dadurch über den Buchstaben des Gesetzes hinaus, daß er, nach
der feststehenden Judicatur der Mehrzahl der deutschen Einzelstaaten,
die formelle Zuständigkeit der Beamten, die formelle Rechtmäßigkeit
seiner Anordnungen ausreichend erachtet um den Widerstand gegen seine An¬
ordnungen für strafbar zu erklären, auch wenn sich gegen die materielle Be¬
rechtigung der betr. Amtshandlung sehr gegründete Zweifel erheben ließen.
Der Richter nimmt z. B. an, der Schutzmann ist formell berechtigt zu ver¬
haften. Er verhaftet einen Ehemann, der seine Frau vor einer Stunde, aus
verhältnißmäßig triftigen Gründen geprügelt, aus deren Anzeige, obwohl der
Missethäter nach vollbrachter That, ruhig daheim sein Abendbrod einnimmt
der Fall ist vorgekommen. Wenn nun der Arretirte, von Zweifeln an der
Zuständigkeit des Dieners der Ordnung ergriffen, diesem Widerstand entgegen¬
setzt, so straft der Richter. Aber warum diese Stase im Minimum vier¬
zehnfach so hart ausfallen soll, wie beim Diebstahl, dafür wird die Logik
vergebens nach Gründen suchen. Dazu kommt nun, daß gerade diejenigen


mildere Strafe verdienen, als vierzehn Tage Gefängniß, nicht mit der größeren
Verwilderung des Pöbels und der Nothwendigkeit ihr drakonische Strenge
entgegen zu setzen, sondern die Motive stellen dem deutschen Richter in
oMwa, kormg, ein Mißtrauenszeugniß aus! Der Richter soll nicht streng
genug sein. „Es wird Seitens der Verwaltungsbehörden (!) mannigfache Klage
darüber geführt, daß die von den Gerichten verhängten Strafen in zahlreichen
Fällen der Bedeutung nicht entsprechen, welche jenen Strafbestimmungen für
die Wahrung der Autorität der Staatsgewalt beiwohnt." Das Heilmittel
ist offenbar schlimmer als das Uebel. Die „Autorität der Staatsgewalt" des
Schutzmanns wird durch Herabsetzung der Autorität des Richteramtes zu heben
versucht. Der Richter soll den Widerstand gegen einen Nachtwächter nicht
geringer ahnden dürfen, als mit vierzehn Tagen Gefängniß. Wenn nur
dreizehn Tage erkannt würden, erlitte die „Autorität der Staatsgewalt" nach
den Motiven schon eine uows levis maeulÄ. Eine nur achttägige Gefängni߬
strafe vollends gegen den Bösewicht, der die Hacken einstemmt, wenn der
Schutzmann ihn zum Polizeigewahrsam abzuführen sucht, erschüttert nach den
Motiven bereits das Gebäude staatlicher Ordnung! Solche Arbeit kommt vom
grünen Tische und mißachtet vollständig die tägliche Erfahrung des Lebens.
Die übergroße Mehrzahl der Widerstandsfälle ist in der That mit einer ge¬
ringen Geld- oder Gefängnißstrafe ausreichend gesühnt. Denn man darf nicht
vergessen, daß selten der Träger der „Autorität der Staatsgewalt" seinerseits
dabei rein in den Bahnen der materiellen Befugnisse seines Amtes wan¬
delt, und daß in noch selteneren Fällen der Uebelthäter voller Nüchternheit
sich rühmen kann, wenn er der Staatsgewalt Widerstand leistet. Der
Richter stützt seinerseits die Autorität der öffentlichen Sicherheitsorgane
schon dadurch über den Buchstaben des Gesetzes hinaus, daß er, nach
der feststehenden Judicatur der Mehrzahl der deutschen Einzelstaaten,
die formelle Zuständigkeit der Beamten, die formelle Rechtmäßigkeit
seiner Anordnungen ausreichend erachtet um den Widerstand gegen seine An¬
ordnungen für strafbar zu erklären, auch wenn sich gegen die materielle Be¬
rechtigung der betr. Amtshandlung sehr gegründete Zweifel erheben ließen.
Der Richter nimmt z. B. an, der Schutzmann ist formell berechtigt zu ver¬
haften. Er verhaftet einen Ehemann, der seine Frau vor einer Stunde, aus
verhältnißmäßig triftigen Gründen geprügelt, aus deren Anzeige, obwohl der
Missethäter nach vollbrachter That, ruhig daheim sein Abendbrod einnimmt
der Fall ist vorgekommen. Wenn nun der Arretirte, von Zweifeln an der
Zuständigkeit des Dieners der Ordnung ergriffen, diesem Widerstand entgegen¬
setzt, so straft der Richter. Aber warum diese Stase im Minimum vier¬
zehnfach so hart ausfallen soll, wie beim Diebstahl, dafür wird die Logik
vergebens nach Gründen suchen. Dazu kommt nun, daß gerade diejenigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/448>, abgerufen am 22.07.2024.