Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

maß, sowie durch Zulassung mildernder Umstände auch bei schweren Ver¬
brechen u. s. w. dem Richter zugestanden war. Dahin zählen wir weiter: den
Grundsatz der Verjährbarkeit aller Verbrechen und aller Straferkenntnisse;
die durchschnittlich bedeutende Herabsetzung der Strafmaße bei politischen
Vergehen; die Reduzirung der Todesstrafe auf zwei Verbrechen (von vierzehn
des vormaligen Preuß. Strafgesetzbuchs); die Zulassung der "vorläufigen Beur¬
laubung" von Verbrechern vor verbüßter Strafhaft; die Bestimmung, daß
die Einzelhaft nur mit Willen des Verbrechers länger als zwei Jahre aus¬
gedehnt werden dürfe; die zeitliche Begrenzung der Entziehung der bürger¬
lichen Ehrenrechte wegen Verbrechen u. s. w.

Die Gegenconcession des Liberalismus für dieses zur damaligen Zeit
humanste Strafgesetzbuch der Erde war die Bewilligung der Todesstrafe auf
Mord und Mordversuch gegen Reichsfürsten und der Zuchthausstrafe (ohne
die Alternative der eustväia Jout-so der Festungshaft) beim schweren Landes-
verrath. Die Vertreter der Bundesregierungen mochten im Rechte sein, wenn
sie äußerten oder äußern ließen, daß der Liberalismus den Löwenantheil bei
diesem Compromisse davongetragen habe. Denn wäre das Strafgesetzbuch
nicht zu Stande gekommen, so wäre in dem weitaus größten Theile von
Deutschland (vor allem in Preußen) die Todesstrafe für eine noch bei weitem
größere Anzahl von Verbrechensarten bestehen geblieben, wie sie zuvor be¬
standen, ohne daß irgend ein Zugeständniß an den Liberalismus gemacht zu
werden brauchte. Die Bundesregierungen durften ferner mit Recht daraus
verweisen, daß keiner der liberalen und conservativen Abgeordneten, welche aus
Gewissensbedenken sich als Gegner der Todesstrafe erklärt hatten (wie Laster,
Stephani, Dr. Küntzer u. A.), dem Compromiß zu Liebe etwa dafür gestimmt
hätten, daß sie vielmehr die Eingehung und Vollziehung dieses Comvromisses
ausschließlich denjenigen ihrer Freunde überließen, welche bereit waren, ihre
eigenen Anschauungen dem Zustandekommen des großen Nationalwerkes
unterzuordnen. Allein sicher ist, daß allen denen, die ihre Gegnerschaft gegen
die Todesstrafe verleugnen mußten, um die Einheit des deutschen Strafrechts zu
retten, dieses einzige Votum mindestens so schwer ankam, als etwa dem Ver¬
treter der beiden Mecklenburg die Bewilligung der gesammten liberalen Amen-
dements zum Strafgesetzbuch -- die er übrigens auch gar nicht ertheilt
haben soll.

Jedenfalls war aber das deutsche Strafgesetzbuch das Kind eines Compro-
misses und man ist wohl berechtigt, an diese Herkunft zu erinnern, wenn jetzt
von der einen scire der Versuch gemacht wird, den politischen Inhalt dieses
Gesetzes wesentlich anders zu gestalten. Selbstverständlich sind, trotz aller
Vergangenheit, Bundesregierungen und Reichstag jederzeit Herren ihrer


maß, sowie durch Zulassung mildernder Umstände auch bei schweren Ver¬
brechen u. s. w. dem Richter zugestanden war. Dahin zählen wir weiter: den
Grundsatz der Verjährbarkeit aller Verbrechen und aller Straferkenntnisse;
die durchschnittlich bedeutende Herabsetzung der Strafmaße bei politischen
Vergehen; die Reduzirung der Todesstrafe auf zwei Verbrechen (von vierzehn
des vormaligen Preuß. Strafgesetzbuchs); die Zulassung der „vorläufigen Beur¬
laubung" von Verbrechern vor verbüßter Strafhaft; die Bestimmung, daß
die Einzelhaft nur mit Willen des Verbrechers länger als zwei Jahre aus¬
gedehnt werden dürfe; die zeitliche Begrenzung der Entziehung der bürger¬
lichen Ehrenrechte wegen Verbrechen u. s. w.

Die Gegenconcession des Liberalismus für dieses zur damaligen Zeit
humanste Strafgesetzbuch der Erde war die Bewilligung der Todesstrafe auf
Mord und Mordversuch gegen Reichsfürsten und der Zuchthausstrafe (ohne
die Alternative der eustväia Jout-so der Festungshaft) beim schweren Landes-
verrath. Die Vertreter der Bundesregierungen mochten im Rechte sein, wenn
sie äußerten oder äußern ließen, daß der Liberalismus den Löwenantheil bei
diesem Compromisse davongetragen habe. Denn wäre das Strafgesetzbuch
nicht zu Stande gekommen, so wäre in dem weitaus größten Theile von
Deutschland (vor allem in Preußen) die Todesstrafe für eine noch bei weitem
größere Anzahl von Verbrechensarten bestehen geblieben, wie sie zuvor be¬
standen, ohne daß irgend ein Zugeständniß an den Liberalismus gemacht zu
werden brauchte. Die Bundesregierungen durften ferner mit Recht daraus
verweisen, daß keiner der liberalen und conservativen Abgeordneten, welche aus
Gewissensbedenken sich als Gegner der Todesstrafe erklärt hatten (wie Laster,
Stephani, Dr. Küntzer u. A.), dem Compromiß zu Liebe etwa dafür gestimmt
hätten, daß sie vielmehr die Eingehung und Vollziehung dieses Comvromisses
ausschließlich denjenigen ihrer Freunde überließen, welche bereit waren, ihre
eigenen Anschauungen dem Zustandekommen des großen Nationalwerkes
unterzuordnen. Allein sicher ist, daß allen denen, die ihre Gegnerschaft gegen
die Todesstrafe verleugnen mußten, um die Einheit des deutschen Strafrechts zu
retten, dieses einzige Votum mindestens so schwer ankam, als etwa dem Ver¬
treter der beiden Mecklenburg die Bewilligung der gesammten liberalen Amen-
dements zum Strafgesetzbuch — die er übrigens auch gar nicht ertheilt
haben soll.

Jedenfalls war aber das deutsche Strafgesetzbuch das Kind eines Compro-
misses und man ist wohl berechtigt, an diese Herkunft zu erinnern, wenn jetzt
von der einen scire der Versuch gemacht wird, den politischen Inhalt dieses
Gesetzes wesentlich anders zu gestalten. Selbstverständlich sind, trotz aller
Vergangenheit, Bundesregierungen und Reichstag jederzeit Herren ihrer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0446" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134792"/>
          <p xml:id="ID_1377" prev="#ID_1376"> maß, sowie durch Zulassung mildernder Umstände auch bei schweren Ver¬<lb/>
brechen u. s. w. dem Richter zugestanden war. Dahin zählen wir weiter: den<lb/>
Grundsatz der Verjährbarkeit aller Verbrechen und aller Straferkenntnisse;<lb/>
die durchschnittlich bedeutende Herabsetzung der Strafmaße bei politischen<lb/>
Vergehen; die Reduzirung der Todesstrafe auf zwei Verbrechen (von vierzehn<lb/>
des vormaligen Preuß. Strafgesetzbuchs); die Zulassung der &#x201E;vorläufigen Beur¬<lb/>
laubung" von Verbrechern vor verbüßter Strafhaft; die Bestimmung, daß<lb/>
die Einzelhaft nur mit Willen des Verbrechers länger als zwei Jahre aus¬<lb/>
gedehnt werden dürfe; die zeitliche Begrenzung der Entziehung der bürger¬<lb/>
lichen Ehrenrechte wegen Verbrechen u. s. w.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1378"> Die Gegenconcession des Liberalismus für dieses zur damaligen Zeit<lb/>
humanste Strafgesetzbuch der Erde war die Bewilligung der Todesstrafe auf<lb/>
Mord und Mordversuch gegen Reichsfürsten und der Zuchthausstrafe (ohne<lb/>
die Alternative der eustväia Jout-so der Festungshaft) beim schweren Landes-<lb/>
verrath. Die Vertreter der Bundesregierungen mochten im Rechte sein, wenn<lb/>
sie äußerten oder äußern ließen, daß der Liberalismus den Löwenantheil bei<lb/>
diesem Compromisse davongetragen habe. Denn wäre das Strafgesetzbuch<lb/>
nicht zu Stande gekommen, so wäre in dem weitaus größten Theile von<lb/>
Deutschland (vor allem in Preußen) die Todesstrafe für eine noch bei weitem<lb/>
größere Anzahl von Verbrechensarten bestehen geblieben, wie sie zuvor be¬<lb/>
standen, ohne daß irgend ein Zugeständniß an den Liberalismus gemacht zu<lb/>
werden brauchte. Die Bundesregierungen durften ferner mit Recht daraus<lb/>
verweisen, daß keiner der liberalen und conservativen Abgeordneten, welche aus<lb/>
Gewissensbedenken sich als Gegner der Todesstrafe erklärt hatten (wie Laster,<lb/>
Stephani, Dr. Küntzer u. A.), dem Compromiß zu Liebe etwa dafür gestimmt<lb/>
hätten, daß sie vielmehr die Eingehung und Vollziehung dieses Comvromisses<lb/>
ausschließlich denjenigen ihrer Freunde überließen, welche bereit waren, ihre<lb/>
eigenen Anschauungen dem Zustandekommen des großen Nationalwerkes<lb/>
unterzuordnen. Allein sicher ist, daß allen denen, die ihre Gegnerschaft gegen<lb/>
die Todesstrafe verleugnen mußten, um die Einheit des deutschen Strafrechts zu<lb/>
retten, dieses einzige Votum mindestens so schwer ankam, als etwa dem Ver¬<lb/>
treter der beiden Mecklenburg die Bewilligung der gesammten liberalen Amen-<lb/>
dements zum Strafgesetzbuch &#x2014; die er übrigens auch gar nicht ertheilt<lb/>
haben soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1379" next="#ID_1380"> Jedenfalls war aber das deutsche Strafgesetzbuch das Kind eines Compro-<lb/>
misses und man ist wohl berechtigt, an diese Herkunft zu erinnern, wenn jetzt<lb/>
von der einen scire der Versuch gemacht wird, den politischen Inhalt dieses<lb/>
Gesetzes wesentlich anders zu gestalten. Selbstverständlich sind, trotz aller<lb/>
Vergangenheit, Bundesregierungen  und Reichstag jederzeit Herren ihrer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0446] maß, sowie durch Zulassung mildernder Umstände auch bei schweren Ver¬ brechen u. s. w. dem Richter zugestanden war. Dahin zählen wir weiter: den Grundsatz der Verjährbarkeit aller Verbrechen und aller Straferkenntnisse; die durchschnittlich bedeutende Herabsetzung der Strafmaße bei politischen Vergehen; die Reduzirung der Todesstrafe auf zwei Verbrechen (von vierzehn des vormaligen Preuß. Strafgesetzbuchs); die Zulassung der „vorläufigen Beur¬ laubung" von Verbrechern vor verbüßter Strafhaft; die Bestimmung, daß die Einzelhaft nur mit Willen des Verbrechers länger als zwei Jahre aus¬ gedehnt werden dürfe; die zeitliche Begrenzung der Entziehung der bürger¬ lichen Ehrenrechte wegen Verbrechen u. s. w. Die Gegenconcession des Liberalismus für dieses zur damaligen Zeit humanste Strafgesetzbuch der Erde war die Bewilligung der Todesstrafe auf Mord und Mordversuch gegen Reichsfürsten und der Zuchthausstrafe (ohne die Alternative der eustväia Jout-so der Festungshaft) beim schweren Landes- verrath. Die Vertreter der Bundesregierungen mochten im Rechte sein, wenn sie äußerten oder äußern ließen, daß der Liberalismus den Löwenantheil bei diesem Compromisse davongetragen habe. Denn wäre das Strafgesetzbuch nicht zu Stande gekommen, so wäre in dem weitaus größten Theile von Deutschland (vor allem in Preußen) die Todesstrafe für eine noch bei weitem größere Anzahl von Verbrechensarten bestehen geblieben, wie sie zuvor be¬ standen, ohne daß irgend ein Zugeständniß an den Liberalismus gemacht zu werden brauchte. Die Bundesregierungen durften ferner mit Recht daraus verweisen, daß keiner der liberalen und conservativen Abgeordneten, welche aus Gewissensbedenken sich als Gegner der Todesstrafe erklärt hatten (wie Laster, Stephani, Dr. Küntzer u. A.), dem Compromiß zu Liebe etwa dafür gestimmt hätten, daß sie vielmehr die Eingehung und Vollziehung dieses Comvromisses ausschließlich denjenigen ihrer Freunde überließen, welche bereit waren, ihre eigenen Anschauungen dem Zustandekommen des großen Nationalwerkes unterzuordnen. Allein sicher ist, daß allen denen, die ihre Gegnerschaft gegen die Todesstrafe verleugnen mußten, um die Einheit des deutschen Strafrechts zu retten, dieses einzige Votum mindestens so schwer ankam, als etwa dem Ver¬ treter der beiden Mecklenburg die Bewilligung der gesammten liberalen Amen- dements zum Strafgesetzbuch — die er übrigens auch gar nicht ertheilt haben soll. Jedenfalls war aber das deutsche Strafgesetzbuch das Kind eines Compro- misses und man ist wohl berechtigt, an diese Herkunft zu erinnern, wenn jetzt von der einen scire der Versuch gemacht wird, den politischen Inhalt dieses Gesetzes wesentlich anders zu gestalten. Selbstverständlich sind, trotz aller Vergangenheit, Bundesregierungen und Reichstag jederzeit Herren ihrer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/446
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/446>, abgerufen am 22.07.2024.