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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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dergleichen gastliches Etablissement stößt - ein Beweis von Bevölkerungs¬
dichtigkeit und Verkehr der Gegend. Wandelt man doch von Reichenberg ins
Land hinein viele Stunden lang zwischen fast ununterbrochenen Gebäude¬
zeilen, während rundum über alle Vorhügel bis zu den Bergkuppen hinan
Colonien von kleinen Wohnstätten ausgestreut sind, vorwiegend Holzhäuser
oder doch zum Theil aus Brettern und Bohlen erbaut.

Sauber finden wir es in den meisten dieser Anwesen. Reinlichkeit ist ja
ein Charakterzug der nordböhmischen Gebirgsbevölkerung, in vielen Wohn-
und Wirthshäusern streifen Sauberkeit und Nettigkeit der innern Anordnung.
Reinheit an Geräth und Geschirr selbst an die berühmten holländischen Leist¬
ungen dieser Art. Die holzgetäfelten Stuben sind in der Regel hell gestr-
niht und immer blank gescheuert, die finsteren Tische von tadelloser Weihe
und die klaren kleinen, häufig miniaturmäßig winzigen Fenster gewöhnlich
mit lichten Gardinen umhängen; von sonstigem Comfort dagegen kennt man
wenig genug, auch darf das landübliche Getränk, ein leichtes, hellgelbes Bier,
nicht groß gerühmt werden. Nur in den Dörfern, die eine Reihe unzähliger
Fabrikanlagen und demzufolge eine beträchtlichere Anzahl von "Honeratioren",
Glashütten- und Glasschleisen-, Spinnerei- und Webereibesitzer sammt ihren
mannigfaltigen Angestellten, umschließen, wo die Berg und Thal massenhaft
abgrasenden "Reiseonkels" Quartier zu nehmen pflegen, die Stellwagen Sta¬
tion machen und allabendlich jene feinere Männerwelt sich am Stammtische
versammelt -- nur da trifft man wol Gasthöfe von etwas vornehmeren
Schlage, die den Ruf der böhmischen Küche bethätigen und uns köstliches
Pilsener -- "bürgerlichen" Ursprungs -- und Reichenberg - Maffersdorfer
Gebräu vorsetzen, das mit dem erstgenannten erfolgreich wetteifert, auch
mit österreichischen. böhmischen und ungarischen Weinen in schönster Aus¬
wahl aufwarten können. Mit den wohnlichen Bequemlichkeiten ist es vor
der Hand freilich selbst in diesen besseren Häusern nicht sonderlich bestellt,
zumal wenn, was gelegentlich der Fall, eine tschechische Wirthin das Regi¬
ment führt oder dasselbe doch dem fast durchgängig dem edlen Tschechien
entstammenden Dienstpersonale überläßt. Denn die stolzen Söhne und Töchter
des heiligen Wenzelreiches haben bekanntlich Besseres und Höheres zu thun.
°is sich gemeiner Ordnung und Reinlichkeit zu befleißigen, und wer die eigen¬
thümlich lotterigen und schlampigen Gestalten gesehen hat. die in dergleichen
böhmischen Herbergen umherspuken, der wird keine übermäßige Zimmer¬
behaglichkeit erwarten, vielmehr sich darauf gefaßt machen, manchen kategori¬
schen Imperativ aufbieten zu müssen, bevor er sich in seinen zeitweiligen
Räumlichkeiten etwas minder slavisch installirt sieht. Im nordböhmischen Ge¬
birge sind dergleichen tschechische Anklänge indeß immer nur Ausnahmen von
der Regel.


dergleichen gastliches Etablissement stößt - ein Beweis von Bevölkerungs¬
dichtigkeit und Verkehr der Gegend. Wandelt man doch von Reichenberg ins
Land hinein viele Stunden lang zwischen fast ununterbrochenen Gebäude¬
zeilen, während rundum über alle Vorhügel bis zu den Bergkuppen hinan
Colonien von kleinen Wohnstätten ausgestreut sind, vorwiegend Holzhäuser
oder doch zum Theil aus Brettern und Bohlen erbaut.

Sauber finden wir es in den meisten dieser Anwesen. Reinlichkeit ist ja
ein Charakterzug der nordböhmischen Gebirgsbevölkerung, in vielen Wohn-
und Wirthshäusern streifen Sauberkeit und Nettigkeit der innern Anordnung.
Reinheit an Geräth und Geschirr selbst an die berühmten holländischen Leist¬
ungen dieser Art. Die holzgetäfelten Stuben sind in der Regel hell gestr-
niht und immer blank gescheuert, die finsteren Tische von tadelloser Weihe
und die klaren kleinen, häufig miniaturmäßig winzigen Fenster gewöhnlich
mit lichten Gardinen umhängen; von sonstigem Comfort dagegen kennt man
wenig genug, auch darf das landübliche Getränk, ein leichtes, hellgelbes Bier,
nicht groß gerühmt werden. Nur in den Dörfern, die eine Reihe unzähliger
Fabrikanlagen und demzufolge eine beträchtlichere Anzahl von „Honeratioren",
Glashütten- und Glasschleisen-, Spinnerei- und Webereibesitzer sammt ihren
mannigfaltigen Angestellten, umschließen, wo die Berg und Thal massenhaft
abgrasenden „Reiseonkels" Quartier zu nehmen pflegen, die Stellwagen Sta¬
tion machen und allabendlich jene feinere Männerwelt sich am Stammtische
versammelt — nur da trifft man wol Gasthöfe von etwas vornehmeren
Schlage, die den Ruf der böhmischen Küche bethätigen und uns köstliches
Pilsener — „bürgerlichen" Ursprungs — und Reichenberg - Maffersdorfer
Gebräu vorsetzen, das mit dem erstgenannten erfolgreich wetteifert, auch
mit österreichischen. böhmischen und ungarischen Weinen in schönster Aus¬
wahl aufwarten können. Mit den wohnlichen Bequemlichkeiten ist es vor
der Hand freilich selbst in diesen besseren Häusern nicht sonderlich bestellt,
zumal wenn, was gelegentlich der Fall, eine tschechische Wirthin das Regi¬
ment führt oder dasselbe doch dem fast durchgängig dem edlen Tschechien
entstammenden Dienstpersonale überläßt. Denn die stolzen Söhne und Töchter
des heiligen Wenzelreiches haben bekanntlich Besseres und Höheres zu thun.
°is sich gemeiner Ordnung und Reinlichkeit zu befleißigen, und wer die eigen¬
thümlich lotterigen und schlampigen Gestalten gesehen hat. die in dergleichen
böhmischen Herbergen umherspuken, der wird keine übermäßige Zimmer¬
behaglichkeit erwarten, vielmehr sich darauf gefaßt machen, manchen kategori¬
schen Imperativ aufbieten zu müssen, bevor er sich in seinen zeitweiligen
Räumlichkeiten etwas minder slavisch installirt sieht. Im nordböhmischen Ge¬
birge sind dergleichen tschechische Anklänge indeß immer nur Ausnahmen von
der Regel.


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[0043] dergleichen gastliches Etablissement stößt - ein Beweis von Bevölkerungs¬ dichtigkeit und Verkehr der Gegend. Wandelt man doch von Reichenberg ins Land hinein viele Stunden lang zwischen fast ununterbrochenen Gebäude¬ zeilen, während rundum über alle Vorhügel bis zu den Bergkuppen hinan Colonien von kleinen Wohnstätten ausgestreut sind, vorwiegend Holzhäuser oder doch zum Theil aus Brettern und Bohlen erbaut. Sauber finden wir es in den meisten dieser Anwesen. Reinlichkeit ist ja ein Charakterzug der nordböhmischen Gebirgsbevölkerung, in vielen Wohn- und Wirthshäusern streifen Sauberkeit und Nettigkeit der innern Anordnung. Reinheit an Geräth und Geschirr selbst an die berühmten holländischen Leist¬ ungen dieser Art. Die holzgetäfelten Stuben sind in der Regel hell gestr- niht und immer blank gescheuert, die finsteren Tische von tadelloser Weihe und die klaren kleinen, häufig miniaturmäßig winzigen Fenster gewöhnlich mit lichten Gardinen umhängen; von sonstigem Comfort dagegen kennt man wenig genug, auch darf das landübliche Getränk, ein leichtes, hellgelbes Bier, nicht groß gerühmt werden. Nur in den Dörfern, die eine Reihe unzähliger Fabrikanlagen und demzufolge eine beträchtlichere Anzahl von „Honeratioren", Glashütten- und Glasschleisen-, Spinnerei- und Webereibesitzer sammt ihren mannigfaltigen Angestellten, umschließen, wo die Berg und Thal massenhaft abgrasenden „Reiseonkels" Quartier zu nehmen pflegen, die Stellwagen Sta¬ tion machen und allabendlich jene feinere Männerwelt sich am Stammtische versammelt — nur da trifft man wol Gasthöfe von etwas vornehmeren Schlage, die den Ruf der böhmischen Küche bethätigen und uns köstliches Pilsener — „bürgerlichen" Ursprungs — und Reichenberg - Maffersdorfer Gebräu vorsetzen, das mit dem erstgenannten erfolgreich wetteifert, auch mit österreichischen. böhmischen und ungarischen Weinen in schönster Aus¬ wahl aufwarten können. Mit den wohnlichen Bequemlichkeiten ist es vor der Hand freilich selbst in diesen besseren Häusern nicht sonderlich bestellt, zumal wenn, was gelegentlich der Fall, eine tschechische Wirthin das Regi¬ ment führt oder dasselbe doch dem fast durchgängig dem edlen Tschechien entstammenden Dienstpersonale überläßt. Denn die stolzen Söhne und Töchter des heiligen Wenzelreiches haben bekanntlich Besseres und Höheres zu thun. °is sich gemeiner Ordnung und Reinlichkeit zu befleißigen, und wer die eigen¬ thümlich lotterigen und schlampigen Gestalten gesehen hat. die in dergleichen böhmischen Herbergen umherspuken, der wird keine übermäßige Zimmer¬ behaglichkeit erwarten, vielmehr sich darauf gefaßt machen, manchen kategori¬ schen Imperativ aufbieten zu müssen, bevor er sich in seinen zeitweiligen Räumlichkeiten etwas minder slavisch installirt sieht. Im nordböhmischen Ge¬ birge sind dergleichen tschechische Anklänge indeß immer nur Ausnahmen von der Regel.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/43>, abgerufen am 24.08.2024.