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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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neuen Militärgesetzes zum ersten Mal erfolgten Einberufung der Reserve zu
vierwöchigen Uebungen überzeugt. Was diese Maßregel doppelt hart machte,
war der Umstand, daß die betreffenden Mannschaften bei weitem nicht zur
Hälfte der activen Armee, sondern höchstens während des Krieges eine Zeit¬
lang der Mobilgarde angehört hatten, also des wirklichen Militärdienstes gar
nicht kundig waren. Man konnte denn auch in den Wirthshäusern, namentlich
in der ländlichen Umgebung der Hauptstadt, allerlei Klagen über die schwere
Bürde hören, aber bis zum einfachsten Bauer und Arbeiter hinunter tröstete
man sich mit der "patriotischen Nothwendigkeit". In den leitenden Kreisen legt
man auf die Entwickelung und Kräftigung des Instituts der "Territorial¬
armee" den größten Werth. Unter dem Titel "I/a,rin(;e territoriale" erscheint
in Paris ein eigenes Blatt, welches, von einer tüchtigen Redaction geleitet,
diesen Zweck nach besten Kräften zu fördern bestrebt ist. Vereine zu gegen¬
seitiger Unterstützung, welche die unter die Waffen gerufenen Familienväter
für den entfallenden Verdienst nach Möglichkeit entschädigen sollen, sind
überall im Entstehen begriffen. Desgleichen werden, unter den Auspicien einer
Anzahl höherer Offiziere der activen Armee, Schützengesellschaften nach dem
Muster der schweizerischen und belgischen gebildet, um die Angehörigen der
Landwehr unausgesetzt in der Uebung des Waffenhandwerks zu erhalten. Wie
andrerseits die Sorgfalt in der Ausbildung der regulären Truppen sich im
Vergleich zur Vergangenheit gesteigert hat, kann man tagtäglich auf den
Exercierplätzen, besonders in Bincennes, beobachten.

Alle diese kriegerischen Anstrengungen machen auf die erregbare franzö¬
sische Phantasie einen solchen Eindruck, daß die ganze Nation fast auf dem
Punkte angelangt ist, das erstrebte Ziel für bereits erreichte Wirklichkeit zu
halten. Daß man die Ueberzeugung von einer im Jahre 1870 erlittenen
wahrhaften Niederlage, wenn sie überhaupt jemals vorhanden war, längst zum
alten Eisen geworfen hat, läßt sich aus den Kriegsbildern schließen, mit
welchen die Schaufenster und Trödelbuden überschwemmt sind. Die Deutschen
sind auf diesen Darstellungen entweder gar nicht oder nur in sehr bedenklicher
Lage zu sehen. Daß es nicht mit rechten Dingen zugeht, wenn die Franzosen
nicht überall Sieger bleiben, muß auch der Blödeste erkennen. Zum mindesten
aber werden solche sujets gewählt, auf welchen die Franzosen als Helden
untergehen. Dies Motiv wird auch in dem berühmten Panorama der Champs
Elise'es verfolgt, wo dermalen in vortrefflicher Ausführung die Vertheidigung
des Forts Jsfy zu sehen ist. In demselben Panorama wird noch eine schau¬
rige Scene aus der Belagerung gezeigt, die in ihrer künstlerischen Vollen¬
dung und packenden Lebenswahrheit dem Zwecke der Erregung und Er¬
haltung der Leidenschaft meisterhaft dient.

Kurz, es kann nicht geleugnet werden - wie harmlos vielleicht unsere Nach-


neuen Militärgesetzes zum ersten Mal erfolgten Einberufung der Reserve zu
vierwöchigen Uebungen überzeugt. Was diese Maßregel doppelt hart machte,
war der Umstand, daß die betreffenden Mannschaften bei weitem nicht zur
Hälfte der activen Armee, sondern höchstens während des Krieges eine Zeit¬
lang der Mobilgarde angehört hatten, also des wirklichen Militärdienstes gar
nicht kundig waren. Man konnte denn auch in den Wirthshäusern, namentlich
in der ländlichen Umgebung der Hauptstadt, allerlei Klagen über die schwere
Bürde hören, aber bis zum einfachsten Bauer und Arbeiter hinunter tröstete
man sich mit der „patriotischen Nothwendigkeit". In den leitenden Kreisen legt
man auf die Entwickelung und Kräftigung des Instituts der „Territorial¬
armee" den größten Werth. Unter dem Titel „I/a,rin(;e territoriale" erscheint
in Paris ein eigenes Blatt, welches, von einer tüchtigen Redaction geleitet,
diesen Zweck nach besten Kräften zu fördern bestrebt ist. Vereine zu gegen¬
seitiger Unterstützung, welche die unter die Waffen gerufenen Familienväter
für den entfallenden Verdienst nach Möglichkeit entschädigen sollen, sind
überall im Entstehen begriffen. Desgleichen werden, unter den Auspicien einer
Anzahl höherer Offiziere der activen Armee, Schützengesellschaften nach dem
Muster der schweizerischen und belgischen gebildet, um die Angehörigen der
Landwehr unausgesetzt in der Uebung des Waffenhandwerks zu erhalten. Wie
andrerseits die Sorgfalt in der Ausbildung der regulären Truppen sich im
Vergleich zur Vergangenheit gesteigert hat, kann man tagtäglich auf den
Exercierplätzen, besonders in Bincennes, beobachten.

Alle diese kriegerischen Anstrengungen machen auf die erregbare franzö¬
sische Phantasie einen solchen Eindruck, daß die ganze Nation fast auf dem
Punkte angelangt ist, das erstrebte Ziel für bereits erreichte Wirklichkeit zu
halten. Daß man die Ueberzeugung von einer im Jahre 1870 erlittenen
wahrhaften Niederlage, wenn sie überhaupt jemals vorhanden war, längst zum
alten Eisen geworfen hat, läßt sich aus den Kriegsbildern schließen, mit
welchen die Schaufenster und Trödelbuden überschwemmt sind. Die Deutschen
sind auf diesen Darstellungen entweder gar nicht oder nur in sehr bedenklicher
Lage zu sehen. Daß es nicht mit rechten Dingen zugeht, wenn die Franzosen
nicht überall Sieger bleiben, muß auch der Blödeste erkennen. Zum mindesten
aber werden solche sujets gewählt, auf welchen die Franzosen als Helden
untergehen. Dies Motiv wird auch in dem berühmten Panorama der Champs
Elise'es verfolgt, wo dermalen in vortrefflicher Ausführung die Vertheidigung
des Forts Jsfy zu sehen ist. In demselben Panorama wird noch eine schau¬
rige Scene aus der Belagerung gezeigt, die in ihrer künstlerischen Vollen¬
dung und packenden Lebenswahrheit dem Zwecke der Erregung und Er¬
haltung der Leidenschaft meisterhaft dient.

Kurz, es kann nicht geleugnet werden - wie harmlos vielleicht unsere Nach-


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[0355] neuen Militärgesetzes zum ersten Mal erfolgten Einberufung der Reserve zu vierwöchigen Uebungen überzeugt. Was diese Maßregel doppelt hart machte, war der Umstand, daß die betreffenden Mannschaften bei weitem nicht zur Hälfte der activen Armee, sondern höchstens während des Krieges eine Zeit¬ lang der Mobilgarde angehört hatten, also des wirklichen Militärdienstes gar nicht kundig waren. Man konnte denn auch in den Wirthshäusern, namentlich in der ländlichen Umgebung der Hauptstadt, allerlei Klagen über die schwere Bürde hören, aber bis zum einfachsten Bauer und Arbeiter hinunter tröstete man sich mit der „patriotischen Nothwendigkeit". In den leitenden Kreisen legt man auf die Entwickelung und Kräftigung des Instituts der „Territorial¬ armee" den größten Werth. Unter dem Titel „I/a,rin(;e territoriale" erscheint in Paris ein eigenes Blatt, welches, von einer tüchtigen Redaction geleitet, diesen Zweck nach besten Kräften zu fördern bestrebt ist. Vereine zu gegen¬ seitiger Unterstützung, welche die unter die Waffen gerufenen Familienväter für den entfallenden Verdienst nach Möglichkeit entschädigen sollen, sind überall im Entstehen begriffen. Desgleichen werden, unter den Auspicien einer Anzahl höherer Offiziere der activen Armee, Schützengesellschaften nach dem Muster der schweizerischen und belgischen gebildet, um die Angehörigen der Landwehr unausgesetzt in der Uebung des Waffenhandwerks zu erhalten. Wie andrerseits die Sorgfalt in der Ausbildung der regulären Truppen sich im Vergleich zur Vergangenheit gesteigert hat, kann man tagtäglich auf den Exercierplätzen, besonders in Bincennes, beobachten. Alle diese kriegerischen Anstrengungen machen auf die erregbare franzö¬ sische Phantasie einen solchen Eindruck, daß die ganze Nation fast auf dem Punkte angelangt ist, das erstrebte Ziel für bereits erreichte Wirklichkeit zu halten. Daß man die Ueberzeugung von einer im Jahre 1870 erlittenen wahrhaften Niederlage, wenn sie überhaupt jemals vorhanden war, längst zum alten Eisen geworfen hat, läßt sich aus den Kriegsbildern schließen, mit welchen die Schaufenster und Trödelbuden überschwemmt sind. Die Deutschen sind auf diesen Darstellungen entweder gar nicht oder nur in sehr bedenklicher Lage zu sehen. Daß es nicht mit rechten Dingen zugeht, wenn die Franzosen nicht überall Sieger bleiben, muß auch der Blödeste erkennen. Zum mindesten aber werden solche sujets gewählt, auf welchen die Franzosen als Helden untergehen. Dies Motiv wird auch in dem berühmten Panorama der Champs Elise'es verfolgt, wo dermalen in vortrefflicher Ausführung die Vertheidigung des Forts Jsfy zu sehen ist. In demselben Panorama wird noch eine schau¬ rige Scene aus der Belagerung gezeigt, die in ihrer künstlerischen Vollen¬ dung und packenden Lebenswahrheit dem Zwecke der Erregung und Er¬ haltung der Leidenschaft meisterhaft dient. Kurz, es kann nicht geleugnet werden - wie harmlos vielleicht unsere Nach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/355>, abgerufen am 22.07.2024.