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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Der Untergang zweier Dampfer, zu derselben Zeit, an derselben Stelle,
bietet einen neuen traurigen Beleg für die Wahrheit der in meinem früheren
Artikel ausgesprochenen Ansicht, daß nicht allein und in erster Linie die Fahr¬
lässigkeit des Capitain Thomas die Katastrophe des Schiller herbeiführte, sondern
vielmehr die zur Zeit aus See und an der Küste herrschenden Verhältnisse.
Auch in den letzten Tagen herrschte ein starker Nordwestwind vor; war die
englische Küste abermals durch Nebel verhüllt; der Nordwestwind erzeugte
wieder die bei Scilly nordwärts- und landeinwärts führende Strömung und
brachte zwei Handelsdampfer auf die Klippen. Sind die Führer beider wieder
zu vertrauenssicher gewesen? Kann man ihnen, den Leitern von Handels¬
dampfern ebenfalls den leeren Vorwurf machen, sie wären ohne Rücksicht auf
die ihnen anvertrauten Menschen und Güter in den Nebel hineingesteuert? Ge¬
rade dieser Untergang zweier Kauffarteifahrer beweist die Wahrheit der da¬
maligen Aussage der Lootsen vor dem Greenwicher Polizei-Gericht. Sie waren
Beide gleichzeitig, vielleicht ohne sich zu sehen, ohne mit einander verkehren
zu können, denselben heimtückischen Meeresströmungen ausgesetzt. In der
Sache selbst ist es wirklich ganz gleichgültig. ob das Scheitern der Dampfer
zehn Menschen das Leben kostete oder Hunderten; das Unglück ist im Cha-
rakter dasselbe. Doch erwägt man mit Grauen, daß die Schiffe ebenso gut
Dampfer und mit Hunderten von Menschen hätten besetzt sein können: dann
hätte der englische Geiz und Egoismus eben Hunderte in den Tod geschickt.

Die Scilly-Inseln sind, wie bekannt, eine Gruppe vieler felsiger Inseln
und Klippen, welche jäh und steil aus beträchtlicher Meerestiefe aufsteigen.
Jede felsige Insel-Gruppe ist der Schifffahrt gefährlich, doppelt gefährlich aber,
wenn an solcher Klippengruppe ein starker Verkehr vorbeizieht, bei den Seitlich
geradezu mindestens die Hälfte des ganzen europäischen Seehandels. Drei¬
fach gefährlich aber, wenn diese Küstenpunkte keilförmig und spitz meilenweit
in die See hinausreichen, wie es gerade bei den Seitlich der Fall ist und wenn
während wenigstens vier Monaten des Jahres dichter Nebel die Gefahren
dieser Inselgruppen verbirgt.

Wie schon früher entwickelt, ist der einzige, wirkliche Schutz gegen die Ge¬
fahren der Küste bei nebeligen Wetter das Nebelhorn mit Dampfbetrieb.
Die ersten Klippen der Seitlich. also die. welche den Schiffen am meisten Ge¬
fahr bringen, sind die Crim Rocks, die Felsen bei Bishop Rock und hinter
diesem letzteren die Retarrier Ledges. Alle diese sind entweder Klippen unter
Wasser. oder Klippen wovon nur wenige Felsen über Wasser steil aber
nicht hoch emporragen. Der Bishop-Rockfelsen, der westlichste Punkt der
ganzen englischen Küste, trägt einen Leuchtthurm, dessen Nebelglocke die Eigen¬
heit hat, wie die meisten Nebelglocken. wenigstens von Dampfern nicht gehört
zu werden. Zwischen diesen 3 Felsengruppen liegt der Meeresboden in einer


Grenjboten IV. 1875. 44

Der Untergang zweier Dampfer, zu derselben Zeit, an derselben Stelle,
bietet einen neuen traurigen Beleg für die Wahrheit der in meinem früheren
Artikel ausgesprochenen Ansicht, daß nicht allein und in erster Linie die Fahr¬
lässigkeit des Capitain Thomas die Katastrophe des Schiller herbeiführte, sondern
vielmehr die zur Zeit aus See und an der Küste herrschenden Verhältnisse.
Auch in den letzten Tagen herrschte ein starker Nordwestwind vor; war die
englische Küste abermals durch Nebel verhüllt; der Nordwestwind erzeugte
wieder die bei Scilly nordwärts- und landeinwärts führende Strömung und
brachte zwei Handelsdampfer auf die Klippen. Sind die Führer beider wieder
zu vertrauenssicher gewesen? Kann man ihnen, den Leitern von Handels¬
dampfern ebenfalls den leeren Vorwurf machen, sie wären ohne Rücksicht auf
die ihnen anvertrauten Menschen und Güter in den Nebel hineingesteuert? Ge¬
rade dieser Untergang zweier Kauffarteifahrer beweist die Wahrheit der da¬
maligen Aussage der Lootsen vor dem Greenwicher Polizei-Gericht. Sie waren
Beide gleichzeitig, vielleicht ohne sich zu sehen, ohne mit einander verkehren
zu können, denselben heimtückischen Meeresströmungen ausgesetzt. In der
Sache selbst ist es wirklich ganz gleichgültig. ob das Scheitern der Dampfer
zehn Menschen das Leben kostete oder Hunderten; das Unglück ist im Cha-
rakter dasselbe. Doch erwägt man mit Grauen, daß die Schiffe ebenso gut
Dampfer und mit Hunderten von Menschen hätten besetzt sein können: dann
hätte der englische Geiz und Egoismus eben Hunderte in den Tod geschickt.

Die Scilly-Inseln sind, wie bekannt, eine Gruppe vieler felsiger Inseln
und Klippen, welche jäh und steil aus beträchtlicher Meerestiefe aufsteigen.
Jede felsige Insel-Gruppe ist der Schifffahrt gefährlich, doppelt gefährlich aber,
wenn an solcher Klippengruppe ein starker Verkehr vorbeizieht, bei den Seitlich
geradezu mindestens die Hälfte des ganzen europäischen Seehandels. Drei¬
fach gefährlich aber, wenn diese Küstenpunkte keilförmig und spitz meilenweit
in die See hinausreichen, wie es gerade bei den Seitlich der Fall ist und wenn
während wenigstens vier Monaten des Jahres dichter Nebel die Gefahren
dieser Inselgruppen verbirgt.

Wie schon früher entwickelt, ist der einzige, wirkliche Schutz gegen die Ge¬
fahren der Küste bei nebeligen Wetter das Nebelhorn mit Dampfbetrieb.
Die ersten Klippen der Seitlich. also die. welche den Schiffen am meisten Ge¬
fahr bringen, sind die Crim Rocks, die Felsen bei Bishop Rock und hinter
diesem letzteren die Retarrier Ledges. Alle diese sind entweder Klippen unter
Wasser. oder Klippen wovon nur wenige Felsen über Wasser steil aber
nicht hoch emporragen. Der Bishop-Rockfelsen, der westlichste Punkt der
ganzen englischen Küste, trägt einen Leuchtthurm, dessen Nebelglocke die Eigen¬
heit hat, wie die meisten Nebelglocken. wenigstens von Dampfern nicht gehört
zu werden. Zwischen diesen 3 Felsengruppen liegt der Meeresboden in einer


Grenjboten IV. 1875. 44
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[0349] Der Untergang zweier Dampfer, zu derselben Zeit, an derselben Stelle, bietet einen neuen traurigen Beleg für die Wahrheit der in meinem früheren Artikel ausgesprochenen Ansicht, daß nicht allein und in erster Linie die Fahr¬ lässigkeit des Capitain Thomas die Katastrophe des Schiller herbeiführte, sondern vielmehr die zur Zeit aus See und an der Küste herrschenden Verhältnisse. Auch in den letzten Tagen herrschte ein starker Nordwestwind vor; war die englische Küste abermals durch Nebel verhüllt; der Nordwestwind erzeugte wieder die bei Scilly nordwärts- und landeinwärts führende Strömung und brachte zwei Handelsdampfer auf die Klippen. Sind die Führer beider wieder zu vertrauenssicher gewesen? Kann man ihnen, den Leitern von Handels¬ dampfern ebenfalls den leeren Vorwurf machen, sie wären ohne Rücksicht auf die ihnen anvertrauten Menschen und Güter in den Nebel hineingesteuert? Ge¬ rade dieser Untergang zweier Kauffarteifahrer beweist die Wahrheit der da¬ maligen Aussage der Lootsen vor dem Greenwicher Polizei-Gericht. Sie waren Beide gleichzeitig, vielleicht ohne sich zu sehen, ohne mit einander verkehren zu können, denselben heimtückischen Meeresströmungen ausgesetzt. In der Sache selbst ist es wirklich ganz gleichgültig. ob das Scheitern der Dampfer zehn Menschen das Leben kostete oder Hunderten; das Unglück ist im Cha- rakter dasselbe. Doch erwägt man mit Grauen, daß die Schiffe ebenso gut Dampfer und mit Hunderten von Menschen hätten besetzt sein können: dann hätte der englische Geiz und Egoismus eben Hunderte in den Tod geschickt. Die Scilly-Inseln sind, wie bekannt, eine Gruppe vieler felsiger Inseln und Klippen, welche jäh und steil aus beträchtlicher Meerestiefe aufsteigen. Jede felsige Insel-Gruppe ist der Schifffahrt gefährlich, doppelt gefährlich aber, wenn an solcher Klippengruppe ein starker Verkehr vorbeizieht, bei den Seitlich geradezu mindestens die Hälfte des ganzen europäischen Seehandels. Drei¬ fach gefährlich aber, wenn diese Küstenpunkte keilförmig und spitz meilenweit in die See hinausreichen, wie es gerade bei den Seitlich der Fall ist und wenn während wenigstens vier Monaten des Jahres dichter Nebel die Gefahren dieser Inselgruppen verbirgt. Wie schon früher entwickelt, ist der einzige, wirkliche Schutz gegen die Ge¬ fahren der Küste bei nebeligen Wetter das Nebelhorn mit Dampfbetrieb. Die ersten Klippen der Seitlich. also die. welche den Schiffen am meisten Ge¬ fahr bringen, sind die Crim Rocks, die Felsen bei Bishop Rock und hinter diesem letzteren die Retarrier Ledges. Alle diese sind entweder Klippen unter Wasser. oder Klippen wovon nur wenige Felsen über Wasser steil aber nicht hoch emporragen. Der Bishop-Rockfelsen, der westlichste Punkt der ganzen englischen Küste, trägt einen Leuchtthurm, dessen Nebelglocke die Eigen¬ heit hat, wie die meisten Nebelglocken. wenigstens von Dampfern nicht gehört zu werden. Zwischen diesen 3 Felsengruppen liegt der Meeresboden in einer Grenjboten IV. 1875. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/349>, abgerufen am 22.07.2024.