Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

von Leben zu sein, so ist damit noch nicht bewiesen, daß die Bedingungen
welche den Lebenskeimen gestatten, sich zu entwickeln, und dem erwachten
Leben seinen Bestand sichern, wie der Erde so auch den andern Planeten zu¬
getheilt sind. Im Gegentheil sollte man meinen, daß hier beträchtliche Schwere
und Härte der Körper, dort übergroße Leichtigkeit und Lockerheit der Masse,
hier verheerende Gluth und blendendes Licht, dort eisige Kälte und ewige
Finsterniß dem Hervortreten des Lebens einen unbesiegbaren Widerstand ent¬
gegenstellen. Aber dieser Einwurf zerfällt in nichts, wenn man ihm entgegnet,
daß das Leben in Formen existiren kann, die mit den Formen des Lebens
auf der Erde nur wenig oder gar nichts gemein haben. Der Bewohner des
Merkur kann und muß nach der Gluth und der Lichtfülle, die dort herrschen,
der Bewohner des Neptun nach der Kälte und dem Halblicht dieses Gestirns
gestaltet sein und dennoch menschenartig empfinden und nach logischen Ge¬
setzen denken. Welch ein Unterschied schon zwischen den Wesen der Erde, dem
festgewurzelten Pflanzenthiere des Meeresbodens und dem Wandervogel, zwi¬
schen dem Rosse und dem Lurche! Welch eine Verschiedenheit selbst unter den
Stämmen und Racen der Menschheit nach Gestalt, Sitte und geistiger Macht!
Wie der Ort oder das Element, in dem die Erdenwesen leben, so sind diese
selbst, aber nirgends auf Erden, weder im Brande der Tropensonne, noch im
Eise der Polarregionen fehlt das Leben. Selbst in der Urzeit unseres Pla¬
neten, wo wegen der noch an dessen Oberfläche wirkenden innern Hitze keine
einzige der jetzt lebenden Thier- und Pflanzenarten existiren konnte, äußerte
sich auf ihm das Leben in verschiedenen den jeweiligen Entwickelungsperioden
desselben angemessenen, von Periode zu Periode anders und reicher werdenden
Gestalten. Die schöpferische Kraft der Natur weiß alle Hindernisse zu be¬
seitigen, indem sie sich in ihrem Schaffen denselben anbequemt. Zahllose Wasser¬
thiere erfreuen sich des Lebens in einem Elemente, wo andere Erdenwesen
ihren Tod finden würden. Amphibien gedeihen in einer Luft, wo höhere
Thiere und der Mensch nicht zu verweilen vermöchten. Der Adler, der über
den blendenden Gletschern der Alpen schwebt, richtet den Blick fest auf diese oder
auf die Sonne, ohne seine Sehkraft zu gefährden. Fische finden in den Ab¬
gründen des Oceans ihre Wege durch eine Nacht, wie wir sie auf der Ober¬
fläche der Erde nirgends so finster antreffen. Aus den Tiefen der See
hat das Senkblei Thierchen emporgehoben, die zweitausend Fuß unter dem
Meeresspiegel einem Wasserdruck von neun Centnern auf jeden Quadratzoll
Fläche ausgesetzt gewesen waren und sich doch in ihrer Art wohlbefunden
hatten. Wenn wir solche Beweise von der Unerschöpflichkeit und Unwider¬
stehlichkeit der schaffenden Naturkraft vor uns sehen, so dürfen wir auch über¬
zeugt sein, daß sich dem Hervortreten des Lebens auf den Planeten, deren
Bewohner unendlich verschieden sein können, nichts mit Erfolg entgegenstellen


von Leben zu sein, so ist damit noch nicht bewiesen, daß die Bedingungen
welche den Lebenskeimen gestatten, sich zu entwickeln, und dem erwachten
Leben seinen Bestand sichern, wie der Erde so auch den andern Planeten zu¬
getheilt sind. Im Gegentheil sollte man meinen, daß hier beträchtliche Schwere
und Härte der Körper, dort übergroße Leichtigkeit und Lockerheit der Masse,
hier verheerende Gluth und blendendes Licht, dort eisige Kälte und ewige
Finsterniß dem Hervortreten des Lebens einen unbesiegbaren Widerstand ent¬
gegenstellen. Aber dieser Einwurf zerfällt in nichts, wenn man ihm entgegnet,
daß das Leben in Formen existiren kann, die mit den Formen des Lebens
auf der Erde nur wenig oder gar nichts gemein haben. Der Bewohner des
Merkur kann und muß nach der Gluth und der Lichtfülle, die dort herrschen,
der Bewohner des Neptun nach der Kälte und dem Halblicht dieses Gestirns
gestaltet sein und dennoch menschenartig empfinden und nach logischen Ge¬
setzen denken. Welch ein Unterschied schon zwischen den Wesen der Erde, dem
festgewurzelten Pflanzenthiere des Meeresbodens und dem Wandervogel, zwi¬
schen dem Rosse und dem Lurche! Welch eine Verschiedenheit selbst unter den
Stämmen und Racen der Menschheit nach Gestalt, Sitte und geistiger Macht!
Wie der Ort oder das Element, in dem die Erdenwesen leben, so sind diese
selbst, aber nirgends auf Erden, weder im Brande der Tropensonne, noch im
Eise der Polarregionen fehlt das Leben. Selbst in der Urzeit unseres Pla¬
neten, wo wegen der noch an dessen Oberfläche wirkenden innern Hitze keine
einzige der jetzt lebenden Thier- und Pflanzenarten existiren konnte, äußerte
sich auf ihm das Leben in verschiedenen den jeweiligen Entwickelungsperioden
desselben angemessenen, von Periode zu Periode anders und reicher werdenden
Gestalten. Die schöpferische Kraft der Natur weiß alle Hindernisse zu be¬
seitigen, indem sie sich in ihrem Schaffen denselben anbequemt. Zahllose Wasser¬
thiere erfreuen sich des Lebens in einem Elemente, wo andere Erdenwesen
ihren Tod finden würden. Amphibien gedeihen in einer Luft, wo höhere
Thiere und der Mensch nicht zu verweilen vermöchten. Der Adler, der über
den blendenden Gletschern der Alpen schwebt, richtet den Blick fest auf diese oder
auf die Sonne, ohne seine Sehkraft zu gefährden. Fische finden in den Ab¬
gründen des Oceans ihre Wege durch eine Nacht, wie wir sie auf der Ober¬
fläche der Erde nirgends so finster antreffen. Aus den Tiefen der See
hat das Senkblei Thierchen emporgehoben, die zweitausend Fuß unter dem
Meeresspiegel einem Wasserdruck von neun Centnern auf jeden Quadratzoll
Fläche ausgesetzt gewesen waren und sich doch in ihrer Art wohlbefunden
hatten. Wenn wir solche Beweise von der Unerschöpflichkeit und Unwider¬
stehlichkeit der schaffenden Naturkraft vor uns sehen, so dürfen wir auch über¬
zeugt sein, daß sich dem Hervortreten des Lebens auf den Planeten, deren
Bewohner unendlich verschieden sein können, nichts mit Erfolg entgegenstellen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0338" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134684"/>
          <p xml:id="ID_1016" prev="#ID_1015" next="#ID_1017"> von Leben zu sein, so ist damit noch nicht bewiesen, daß die Bedingungen<lb/>
welche den Lebenskeimen gestatten, sich zu entwickeln, und dem erwachten<lb/>
Leben seinen Bestand sichern, wie der Erde so auch den andern Planeten zu¬<lb/>
getheilt sind. Im Gegentheil sollte man meinen, daß hier beträchtliche Schwere<lb/>
und Härte der Körper, dort übergroße Leichtigkeit und Lockerheit der Masse,<lb/>
hier verheerende Gluth und blendendes Licht, dort eisige Kälte und ewige<lb/>
Finsterniß dem Hervortreten des Lebens einen unbesiegbaren Widerstand ent¬<lb/>
gegenstellen. Aber dieser Einwurf zerfällt in nichts, wenn man ihm entgegnet,<lb/>
daß das Leben in Formen existiren kann, die mit den Formen des Lebens<lb/>
auf der Erde nur wenig oder gar nichts gemein haben. Der Bewohner des<lb/>
Merkur kann und muß nach der Gluth und der Lichtfülle, die dort herrschen,<lb/>
der Bewohner des Neptun nach der Kälte und dem Halblicht dieses Gestirns<lb/>
gestaltet sein und dennoch menschenartig empfinden und nach logischen Ge¬<lb/>
setzen denken. Welch ein Unterschied schon zwischen den Wesen der Erde, dem<lb/>
festgewurzelten Pflanzenthiere des Meeresbodens und dem Wandervogel, zwi¬<lb/>
schen dem Rosse und dem Lurche! Welch eine Verschiedenheit selbst unter den<lb/>
Stämmen und Racen der Menschheit nach Gestalt, Sitte und geistiger Macht!<lb/>
Wie der Ort oder das Element, in dem die Erdenwesen leben, so sind diese<lb/>
selbst, aber nirgends auf Erden, weder im Brande der Tropensonne, noch im<lb/>
Eise der Polarregionen fehlt das Leben. Selbst in der Urzeit unseres Pla¬<lb/>
neten, wo wegen der noch an dessen Oberfläche wirkenden innern Hitze keine<lb/>
einzige der jetzt lebenden Thier- und Pflanzenarten existiren konnte, äußerte<lb/>
sich auf ihm das Leben in verschiedenen den jeweiligen Entwickelungsperioden<lb/>
desselben angemessenen, von Periode zu Periode anders und reicher werdenden<lb/>
Gestalten. Die schöpferische Kraft der Natur weiß alle Hindernisse zu be¬<lb/>
seitigen, indem sie sich in ihrem Schaffen denselben anbequemt. Zahllose Wasser¬<lb/>
thiere erfreuen sich des Lebens in einem Elemente, wo andere Erdenwesen<lb/>
ihren Tod finden würden. Amphibien gedeihen in einer Luft, wo höhere<lb/>
Thiere und der Mensch nicht zu verweilen vermöchten. Der Adler, der über<lb/>
den blendenden Gletschern der Alpen schwebt, richtet den Blick fest auf diese oder<lb/>
auf die Sonne, ohne seine Sehkraft zu gefährden. Fische finden in den Ab¬<lb/>
gründen des Oceans ihre Wege durch eine Nacht, wie wir sie auf der Ober¬<lb/>
fläche der Erde nirgends so finster antreffen. Aus den Tiefen der See<lb/>
hat das Senkblei Thierchen emporgehoben, die zweitausend Fuß unter dem<lb/>
Meeresspiegel einem Wasserdruck von neun Centnern auf jeden Quadratzoll<lb/>
Fläche ausgesetzt gewesen waren und sich doch in ihrer Art wohlbefunden<lb/>
hatten. Wenn wir solche Beweise von der Unerschöpflichkeit und Unwider¬<lb/>
stehlichkeit der schaffenden Naturkraft vor uns sehen, so dürfen wir auch über¬<lb/>
zeugt sein, daß sich dem Hervortreten des Lebens auf den Planeten, deren<lb/>
Bewohner unendlich verschieden sein können, nichts mit Erfolg entgegenstellen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0338] von Leben zu sein, so ist damit noch nicht bewiesen, daß die Bedingungen welche den Lebenskeimen gestatten, sich zu entwickeln, und dem erwachten Leben seinen Bestand sichern, wie der Erde so auch den andern Planeten zu¬ getheilt sind. Im Gegentheil sollte man meinen, daß hier beträchtliche Schwere und Härte der Körper, dort übergroße Leichtigkeit und Lockerheit der Masse, hier verheerende Gluth und blendendes Licht, dort eisige Kälte und ewige Finsterniß dem Hervortreten des Lebens einen unbesiegbaren Widerstand ent¬ gegenstellen. Aber dieser Einwurf zerfällt in nichts, wenn man ihm entgegnet, daß das Leben in Formen existiren kann, die mit den Formen des Lebens auf der Erde nur wenig oder gar nichts gemein haben. Der Bewohner des Merkur kann und muß nach der Gluth und der Lichtfülle, die dort herrschen, der Bewohner des Neptun nach der Kälte und dem Halblicht dieses Gestirns gestaltet sein und dennoch menschenartig empfinden und nach logischen Ge¬ setzen denken. Welch ein Unterschied schon zwischen den Wesen der Erde, dem festgewurzelten Pflanzenthiere des Meeresbodens und dem Wandervogel, zwi¬ schen dem Rosse und dem Lurche! Welch eine Verschiedenheit selbst unter den Stämmen und Racen der Menschheit nach Gestalt, Sitte und geistiger Macht! Wie der Ort oder das Element, in dem die Erdenwesen leben, so sind diese selbst, aber nirgends auf Erden, weder im Brande der Tropensonne, noch im Eise der Polarregionen fehlt das Leben. Selbst in der Urzeit unseres Pla¬ neten, wo wegen der noch an dessen Oberfläche wirkenden innern Hitze keine einzige der jetzt lebenden Thier- und Pflanzenarten existiren konnte, äußerte sich auf ihm das Leben in verschiedenen den jeweiligen Entwickelungsperioden desselben angemessenen, von Periode zu Periode anders und reicher werdenden Gestalten. Die schöpferische Kraft der Natur weiß alle Hindernisse zu be¬ seitigen, indem sie sich in ihrem Schaffen denselben anbequemt. Zahllose Wasser¬ thiere erfreuen sich des Lebens in einem Elemente, wo andere Erdenwesen ihren Tod finden würden. Amphibien gedeihen in einer Luft, wo höhere Thiere und der Mensch nicht zu verweilen vermöchten. Der Adler, der über den blendenden Gletschern der Alpen schwebt, richtet den Blick fest auf diese oder auf die Sonne, ohne seine Sehkraft zu gefährden. Fische finden in den Ab¬ gründen des Oceans ihre Wege durch eine Nacht, wie wir sie auf der Ober¬ fläche der Erde nirgends so finster antreffen. Aus den Tiefen der See hat das Senkblei Thierchen emporgehoben, die zweitausend Fuß unter dem Meeresspiegel einem Wasserdruck von neun Centnern auf jeden Quadratzoll Fläche ausgesetzt gewesen waren und sich doch in ihrer Art wohlbefunden hatten. Wenn wir solche Beweise von der Unerschöpflichkeit und Unwider¬ stehlichkeit der schaffenden Naturkraft vor uns sehen, so dürfen wir auch über¬ zeugt sein, daß sich dem Hervortreten des Lebens auf den Planeten, deren Bewohner unendlich verschieden sein können, nichts mit Erfolg entgegenstellen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/338
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/338>, abgerufen am 22.07.2024.