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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Stellung ergiebt, hat er Anspruch auf die intellectuelle Urheberschaft mancher
politischen Maßregel, welcher der Herr Reichskanzler großen Ruhm verdankt.
Von Vielen wurde er als Nachfolger des Reichskanzlers bezeichnet." Gott,
welch ein Mann, welch ein Kleinod!

Als eine dritte bei dem Verfasser' unsrer Broschüre in ungewöhnlichem
Grade ausgebildete Gabe ist die Kunst hervorzuheben, die Dinge zu ver¬
schieben, auf den Kops zu stellen und nach seinen Zwecken zu färben. Er ist
mit dieser Eigenschaft ein Escamoteur ersten Ranges und ein Meister der
Schön - und zugleich Schwarzfärberei. Aber mit aller seiner Kunst bringt er
uns doch nicht dazu, zu glauben, was wir ihm glauben sollen. Einige nicht
sehr bedeutsame Nebendinge mögen durch die Beleuchtung, die ihnen hier zu
Theil wird, eine etwas andere Farbe und Gestalt annehmen, als sie bisher
zu haben schienen. Unser Urtheil über das, was die Hauptsache ist, wird
durch die Schrift nicht um ein Titelchen geändert oder doch nur insofern, als
es durch neue Gründe verstärkt und noch ungünstiger für den beseitigten Bot¬
schafter gemacht wird. "Mancher Erblasser", sagt der bilderfreundliche Ver¬
fasser, "haßt seinen Erben, zumal wenn er Ungeduld in ihm argwöhnt. Von
dem Augenblicke an, wo der Reichskanzler in dem Grafen Arnim einen Erben
vermuthen konnte, haßte er ihn" -- "trat die Versuchung an ihn heran, den
Erben zu beschädigen, zu vernichten und bei Seite zu schaffen." Eifersucht
also auf einen ihm gewachsenen oder, wie die Schrift an verschiedenen Stellen
nachzuweisen sich bemüht, ihm sogar überlegnen Nachfolger im Amte hätte
den Fürsten Bismarck veranlaßt, den pariser Vertreter der preußischen und
deutschen Politik von seinem Posten wegzumanövriren und ihn schließlich wegen
einer durch die Pflicht der Selbstvertheidigung gebotenen Beiseiteschaffung und
theilweisen Benutzung geheimer Urkunden, die eigentlich keine solchen gewesen,
vor Gericht gebracht? -- Das Gericht aber hätte "denjenigen verurtheilt,
welcher dieselben Schriftstücke einige Zeit dem Auswärtigen Amte absichtslos
vorenthalten, welche das Auswärtige Amt ohnehin schon besessen habe. Es
habe denjenigen freigesprochen, der dem Vaterlande einen Mann entzogen,
welcher (Gott behüte uns in Gnaden vor Ansteckung durch die Pest solchen
Selbstlobes!) befähigt und berufen war, dem Lande die größten Dienste zu
leisten."

Stolzes Bewußtsein, schöne stattliche Antithesen! Den Inhalt aber
glaube, wer ihn nach dem Buche noch zu glauben vermag. Für uns geht
aus demselben nur deutlicher und unwidersprechlicher hervor, was wir bereits
wußten, daß nämlich der Reichskanzler es in seinem Botschafter bei Thiers
und Mac Mahon mit einem eingebildeten, ungehorsamen Untergebnen zu thun
hatte, der seinen eignen Kopf haben wollte, der neben, nicht unter ihm Politik
treiben zu dürfen wähnte, der gegen ihn mit gleichgestnnten Freunden in


Stellung ergiebt, hat er Anspruch auf die intellectuelle Urheberschaft mancher
politischen Maßregel, welcher der Herr Reichskanzler großen Ruhm verdankt.
Von Vielen wurde er als Nachfolger des Reichskanzlers bezeichnet." Gott,
welch ein Mann, welch ein Kleinod!

Als eine dritte bei dem Verfasser' unsrer Broschüre in ungewöhnlichem
Grade ausgebildete Gabe ist die Kunst hervorzuheben, die Dinge zu ver¬
schieben, auf den Kops zu stellen und nach seinen Zwecken zu färben. Er ist
mit dieser Eigenschaft ein Escamoteur ersten Ranges und ein Meister der
Schön - und zugleich Schwarzfärberei. Aber mit aller seiner Kunst bringt er
uns doch nicht dazu, zu glauben, was wir ihm glauben sollen. Einige nicht
sehr bedeutsame Nebendinge mögen durch die Beleuchtung, die ihnen hier zu
Theil wird, eine etwas andere Farbe und Gestalt annehmen, als sie bisher
zu haben schienen. Unser Urtheil über das, was die Hauptsache ist, wird
durch die Schrift nicht um ein Titelchen geändert oder doch nur insofern, als
es durch neue Gründe verstärkt und noch ungünstiger für den beseitigten Bot¬
schafter gemacht wird. „Mancher Erblasser", sagt der bilderfreundliche Ver¬
fasser, „haßt seinen Erben, zumal wenn er Ungeduld in ihm argwöhnt. Von
dem Augenblicke an, wo der Reichskanzler in dem Grafen Arnim einen Erben
vermuthen konnte, haßte er ihn" — „trat die Versuchung an ihn heran, den
Erben zu beschädigen, zu vernichten und bei Seite zu schaffen." Eifersucht
also auf einen ihm gewachsenen oder, wie die Schrift an verschiedenen Stellen
nachzuweisen sich bemüht, ihm sogar überlegnen Nachfolger im Amte hätte
den Fürsten Bismarck veranlaßt, den pariser Vertreter der preußischen und
deutschen Politik von seinem Posten wegzumanövriren und ihn schließlich wegen
einer durch die Pflicht der Selbstvertheidigung gebotenen Beiseiteschaffung und
theilweisen Benutzung geheimer Urkunden, die eigentlich keine solchen gewesen,
vor Gericht gebracht? — Das Gericht aber hätte „denjenigen verurtheilt,
welcher dieselben Schriftstücke einige Zeit dem Auswärtigen Amte absichtslos
vorenthalten, welche das Auswärtige Amt ohnehin schon besessen habe. Es
habe denjenigen freigesprochen, der dem Vaterlande einen Mann entzogen,
welcher (Gott behüte uns in Gnaden vor Ansteckung durch die Pest solchen
Selbstlobes!) befähigt und berufen war, dem Lande die größten Dienste zu
leisten."

Stolzes Bewußtsein, schöne stattliche Antithesen! Den Inhalt aber
glaube, wer ihn nach dem Buche noch zu glauben vermag. Für uns geht
aus demselben nur deutlicher und unwidersprechlicher hervor, was wir bereits
wußten, daß nämlich der Reichskanzler es in seinem Botschafter bei Thiers
und Mac Mahon mit einem eingebildeten, ungehorsamen Untergebnen zu thun
hatte, der seinen eignen Kopf haben wollte, der neben, nicht unter ihm Politik
treiben zu dürfen wähnte, der gegen ihn mit gleichgestnnten Freunden in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/316>, abgerufen am 04.07.2024.