Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zugleich das erhabenste und anmuthigste Schauspiel gewähren. Man denke
sich die Gletscher der Schweiz mit ihren Gießbächen. Seen. Matten und Fichten
mitten in das Südmeer, man stelle ihnen an die Seite die mit Weinstöcken
und allerlei Fruchtbäumen bekränzten Hügel am Ufer der Loire, man versetze
an ihren Fuß die Gestade der Molukken mit ihren Hainen geschmückt mit
Bananen. Muskatbäumen und Nelkensträuchern, deren süßen Duft die Winde
weithin tragen, man bevölkere dieselben mit Colibris. Turteltauben und pracht¬
vollen Vögeln von Java, deren Gesang und liebliches Flüstern vom Echo
zurückgegeben wird. Man vergegenwärtige sich die von Kokospalmen be¬
schatteten, mit Perlenmuscheln und Bernstein bedeckten Ufer, die Sternkoralle
des indischen Oceans, die Korallen des Mittelmeeres in ununterbrochenem
Sommer bis zur Höhe der höchsten Bäume wachsend, inmitten der sie be¬
spülenden Meere und während einer vierundzwanzigtägiger Ebbe und Fluth
sich erhebend und senkend und ihre Scharlach- und Purpurfarben mit dem
Grün der Palmen mischend, endlich Ströme klaren Wassers, welche jene Berge,
Wälder und Vögel wiederspiegeln und während der zwölftägigen Ebbe und
zwölftägigen Fluth von Insel zu Insel gehen und kommen -- und man wird
nur ein schwaches Bild von den Landschaften der Venus haben. Da die
Sonne zur Zeit der Sommerwende sich mehr als 71 Grad über ihren Aequator
erhebt, so muß der Pol, den dieselbe erhellt, eine weit angenehmere Tem¬
peratur haben, als unsere mildesten Frühlinge gewähren. Die langen Nächte
dieses Planeten werden zwar nicht durch Monde erhellt, aber Merkur durch
seinen Glanz bei seiner Nähe und die Erde durch ihre Größe ersetzen der
Venus die strahlenden Monde. Die Bewohner der Venus, von einem dem
unsern ähnlichen Wuchse, da sie einen Planeten bewohnen, welcher der Erde
an Größe fast gleich steht, aber in einer beglückteren Himmelsgegend wandelt,
müssen ihre ganze Zeit der Liebe widmen. Die Einen, auf den Bergen Heer-
den weidend, führen ein Schäferleben, die Andern ergötzen sich an den Ge¬
staden ihrer fruchtbaren Inseln durch Tanz. Festmahle und Gesänge oder
kämpfen um Preise des Schwimmens gleich den glücklichen Inselbewohnern
von Tahiti."

Im Gegensatze hierzu ist Saturn übel weggekommen. Schon der Pater
Athanastus Kircher, der ein Jahrhundert nach Copernicus seine "Verzückte
Himmelsretse" schrieb, in welcher er beiläufig Fragen erörtert, wie die. ob das
Wasser auf der Venus sich zur Kindertaufe eigne oder ob der Wein, der in
den Weinbergen des Jupiter geerntet werde. beim Sacrament der Eucharistie
sich verwenden lasse, weiß nur Düsteres von ihm zu berichten. Er gewahrt
auf ihm "finsterblickende Greise, welche, in Trauergewänder gehüllt, langsam
dahin schreiten und Leichenfackeln schwingen. Ihre hohlen tiefliegenden Augen,
ihr bleiches Antlitz und ihre gefurchte Stirn bekunden, daß sie Diener der Rache


Grenzboten IV. 1875. 39

zugleich das erhabenste und anmuthigste Schauspiel gewähren. Man denke
sich die Gletscher der Schweiz mit ihren Gießbächen. Seen. Matten und Fichten
mitten in das Südmeer, man stelle ihnen an die Seite die mit Weinstöcken
und allerlei Fruchtbäumen bekränzten Hügel am Ufer der Loire, man versetze
an ihren Fuß die Gestade der Molukken mit ihren Hainen geschmückt mit
Bananen. Muskatbäumen und Nelkensträuchern, deren süßen Duft die Winde
weithin tragen, man bevölkere dieselben mit Colibris. Turteltauben und pracht¬
vollen Vögeln von Java, deren Gesang und liebliches Flüstern vom Echo
zurückgegeben wird. Man vergegenwärtige sich die von Kokospalmen be¬
schatteten, mit Perlenmuscheln und Bernstein bedeckten Ufer, die Sternkoralle
des indischen Oceans, die Korallen des Mittelmeeres in ununterbrochenem
Sommer bis zur Höhe der höchsten Bäume wachsend, inmitten der sie be¬
spülenden Meere und während einer vierundzwanzigtägiger Ebbe und Fluth
sich erhebend und senkend und ihre Scharlach- und Purpurfarben mit dem
Grün der Palmen mischend, endlich Ströme klaren Wassers, welche jene Berge,
Wälder und Vögel wiederspiegeln und während der zwölftägigen Ebbe und
zwölftägigen Fluth von Insel zu Insel gehen und kommen — und man wird
nur ein schwaches Bild von den Landschaften der Venus haben. Da die
Sonne zur Zeit der Sommerwende sich mehr als 71 Grad über ihren Aequator
erhebt, so muß der Pol, den dieselbe erhellt, eine weit angenehmere Tem¬
peratur haben, als unsere mildesten Frühlinge gewähren. Die langen Nächte
dieses Planeten werden zwar nicht durch Monde erhellt, aber Merkur durch
seinen Glanz bei seiner Nähe und die Erde durch ihre Größe ersetzen der
Venus die strahlenden Monde. Die Bewohner der Venus, von einem dem
unsern ähnlichen Wuchse, da sie einen Planeten bewohnen, welcher der Erde
an Größe fast gleich steht, aber in einer beglückteren Himmelsgegend wandelt,
müssen ihre ganze Zeit der Liebe widmen. Die Einen, auf den Bergen Heer-
den weidend, führen ein Schäferleben, die Andern ergötzen sich an den Ge¬
staden ihrer fruchtbaren Inseln durch Tanz. Festmahle und Gesänge oder
kämpfen um Preise des Schwimmens gleich den glücklichen Inselbewohnern
von Tahiti."

Im Gegensatze hierzu ist Saturn übel weggekommen. Schon der Pater
Athanastus Kircher, der ein Jahrhundert nach Copernicus seine „Verzückte
Himmelsretse" schrieb, in welcher er beiläufig Fragen erörtert, wie die. ob das
Wasser auf der Venus sich zur Kindertaufe eigne oder ob der Wein, der in
den Weinbergen des Jupiter geerntet werde. beim Sacrament der Eucharistie
sich verwenden lasse, weiß nur Düsteres von ihm zu berichten. Er gewahrt
auf ihm „finsterblickende Greise, welche, in Trauergewänder gehüllt, langsam
dahin schreiten und Leichenfackeln schwingen. Ihre hohlen tiefliegenden Augen,
ihr bleiches Antlitz und ihre gefurchte Stirn bekunden, daß sie Diener der Rache


Grenzboten IV. 1875. 39
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0309" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134655"/>
          <p xml:id="ID_939" prev="#ID_938"> zugleich das erhabenste und anmuthigste Schauspiel gewähren. Man denke<lb/>
sich die Gletscher der Schweiz mit ihren Gießbächen. Seen. Matten und Fichten<lb/>
mitten in das Südmeer, man stelle ihnen an die Seite die mit Weinstöcken<lb/>
und allerlei Fruchtbäumen bekränzten Hügel am Ufer der Loire, man versetze<lb/>
an ihren Fuß die Gestade der Molukken mit ihren Hainen geschmückt mit<lb/>
Bananen. Muskatbäumen und Nelkensträuchern, deren süßen Duft die Winde<lb/>
weithin tragen, man bevölkere dieselben mit Colibris. Turteltauben und pracht¬<lb/>
vollen Vögeln von Java, deren Gesang und liebliches Flüstern vom Echo<lb/>
zurückgegeben wird. Man vergegenwärtige sich die von Kokospalmen be¬<lb/>
schatteten, mit Perlenmuscheln und Bernstein bedeckten Ufer, die Sternkoralle<lb/>
des indischen Oceans, die Korallen des Mittelmeeres in ununterbrochenem<lb/>
Sommer bis zur Höhe der höchsten Bäume wachsend, inmitten der sie be¬<lb/>
spülenden Meere und während einer vierundzwanzigtägiger Ebbe und Fluth<lb/>
sich erhebend und senkend und ihre Scharlach- und Purpurfarben mit dem<lb/>
Grün der Palmen mischend, endlich Ströme klaren Wassers, welche jene Berge,<lb/>
Wälder und Vögel wiederspiegeln und während der zwölftägigen Ebbe und<lb/>
zwölftägigen Fluth von Insel zu Insel gehen und kommen &#x2014; und man wird<lb/>
nur ein schwaches Bild von den Landschaften der Venus haben. Da die<lb/>
Sonne zur Zeit der Sommerwende sich mehr als 71 Grad über ihren Aequator<lb/>
erhebt, so muß der Pol, den dieselbe erhellt, eine weit angenehmere Tem¬<lb/>
peratur haben, als unsere mildesten Frühlinge gewähren. Die langen Nächte<lb/>
dieses Planeten werden zwar nicht durch Monde erhellt, aber Merkur durch<lb/>
seinen Glanz bei seiner Nähe und die Erde durch ihre Größe ersetzen der<lb/>
Venus die strahlenden Monde. Die Bewohner der Venus, von einem dem<lb/>
unsern ähnlichen Wuchse, da sie einen Planeten bewohnen, welcher der Erde<lb/>
an Größe fast gleich steht, aber in einer beglückteren Himmelsgegend wandelt,<lb/>
müssen ihre ganze Zeit der Liebe widmen. Die Einen, auf den Bergen Heer-<lb/>
den weidend, führen ein Schäferleben, die Andern ergötzen sich an den Ge¬<lb/>
staden ihrer fruchtbaren Inseln durch Tanz. Festmahle und Gesänge oder<lb/>
kämpfen um Preise des Schwimmens gleich den glücklichen Inselbewohnern<lb/>
von Tahiti."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_940" next="#ID_941"> Im Gegensatze hierzu ist Saturn übel weggekommen. Schon der Pater<lb/>
Athanastus Kircher, der ein Jahrhundert nach Copernicus seine &#x201E;Verzückte<lb/>
Himmelsretse" schrieb, in welcher er beiläufig Fragen erörtert, wie die. ob das<lb/>
Wasser auf der Venus sich zur Kindertaufe eigne oder ob der Wein, der in<lb/>
den Weinbergen des Jupiter geerntet werde. beim Sacrament der Eucharistie<lb/>
sich verwenden lasse, weiß nur Düsteres von ihm zu berichten. Er gewahrt<lb/>
auf ihm &#x201E;finsterblickende Greise, welche, in Trauergewänder gehüllt, langsam<lb/>
dahin schreiten und Leichenfackeln schwingen. Ihre hohlen tiefliegenden Augen,<lb/>
ihr bleiches Antlitz und ihre gefurchte Stirn bekunden, daß sie Diener der Rache</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1875. 39</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0309] zugleich das erhabenste und anmuthigste Schauspiel gewähren. Man denke sich die Gletscher der Schweiz mit ihren Gießbächen. Seen. Matten und Fichten mitten in das Südmeer, man stelle ihnen an die Seite die mit Weinstöcken und allerlei Fruchtbäumen bekränzten Hügel am Ufer der Loire, man versetze an ihren Fuß die Gestade der Molukken mit ihren Hainen geschmückt mit Bananen. Muskatbäumen und Nelkensträuchern, deren süßen Duft die Winde weithin tragen, man bevölkere dieselben mit Colibris. Turteltauben und pracht¬ vollen Vögeln von Java, deren Gesang und liebliches Flüstern vom Echo zurückgegeben wird. Man vergegenwärtige sich die von Kokospalmen be¬ schatteten, mit Perlenmuscheln und Bernstein bedeckten Ufer, die Sternkoralle des indischen Oceans, die Korallen des Mittelmeeres in ununterbrochenem Sommer bis zur Höhe der höchsten Bäume wachsend, inmitten der sie be¬ spülenden Meere und während einer vierundzwanzigtägiger Ebbe und Fluth sich erhebend und senkend und ihre Scharlach- und Purpurfarben mit dem Grün der Palmen mischend, endlich Ströme klaren Wassers, welche jene Berge, Wälder und Vögel wiederspiegeln und während der zwölftägigen Ebbe und zwölftägigen Fluth von Insel zu Insel gehen und kommen — und man wird nur ein schwaches Bild von den Landschaften der Venus haben. Da die Sonne zur Zeit der Sommerwende sich mehr als 71 Grad über ihren Aequator erhebt, so muß der Pol, den dieselbe erhellt, eine weit angenehmere Tem¬ peratur haben, als unsere mildesten Frühlinge gewähren. Die langen Nächte dieses Planeten werden zwar nicht durch Monde erhellt, aber Merkur durch seinen Glanz bei seiner Nähe und die Erde durch ihre Größe ersetzen der Venus die strahlenden Monde. Die Bewohner der Venus, von einem dem unsern ähnlichen Wuchse, da sie einen Planeten bewohnen, welcher der Erde an Größe fast gleich steht, aber in einer beglückteren Himmelsgegend wandelt, müssen ihre ganze Zeit der Liebe widmen. Die Einen, auf den Bergen Heer- den weidend, führen ein Schäferleben, die Andern ergötzen sich an den Ge¬ staden ihrer fruchtbaren Inseln durch Tanz. Festmahle und Gesänge oder kämpfen um Preise des Schwimmens gleich den glücklichen Inselbewohnern von Tahiti." Im Gegensatze hierzu ist Saturn übel weggekommen. Schon der Pater Athanastus Kircher, der ein Jahrhundert nach Copernicus seine „Verzückte Himmelsretse" schrieb, in welcher er beiläufig Fragen erörtert, wie die. ob das Wasser auf der Venus sich zur Kindertaufe eigne oder ob der Wein, der in den Weinbergen des Jupiter geerntet werde. beim Sacrament der Eucharistie sich verwenden lasse, weiß nur Düsteres von ihm zu berichten. Er gewahrt auf ihm „finsterblickende Greise, welche, in Trauergewänder gehüllt, langsam dahin schreiten und Leichenfackeln schwingen. Ihre hohlen tiefliegenden Augen, ihr bleiches Antlitz und ihre gefurchte Stirn bekunden, daß sie Diener der Rache Grenzboten IV. 1875. 39

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/309
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/309>, abgerufen am 25.08.2024.