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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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ehemaligen Kurhesseus ist allmählich ganz in die Hände des Adels gelangt,
welcher, wie von jeher in Hessen, vorwiegend egoistische Zwecke verfolgt und
gegenwärtig sogar mit den staatsfeindlichen hierarchischen Bestrebungen sym-
pathisirt. Dieser Adel hat an sich keine Bedeutung, denn wohl nirgends ist
derselbe so arm, namentlich an Grundbesitz, als hier zu Lande, aber er hat
verstanden, die Landbevölkerung für sich zu gewinnen. Ein ergiebiges Feld
hierfür bot ihm die Unzufriedenheit vieler Landwirthe, welche sich seit einigen
Jahren in den wunderbarsten Formen äußerte. Die Aufhetzung, welche demo¬
kratische und kurfürstliche Organe sich hatten zu Schulden kommen lassen, die
lange Zeit täglich laut gewordenen Rufe, daß lediglich unsere Nationallibe¬
ralen schuld an der Art der Annexion und damit an vielen kleinen Nach¬
theilen seien, welche Einzelne infolge derselben erlitten, hat eine gefährliche
Saat aufschießen lassen. Die Belehrungen über die Verkehrtheiten der länd¬
lichen Vorschläge zur Hebung der Landwirthschaft wurden mit Bosheit be¬
handelt und der größte Unverstand der sich zurückgesetzt fühlenden verschieden¬
artigen Elemente lechzte danach, sich in einer die liberalen und reichstreuen
Bestrebungen durchkreuzenden Weise geltend zu machen. Diese Stimmung ist
adliger Seits genährt und benutzt worden. Der Adel cultivirte die unselige
agrarische Richtung und entzog der liberalen Sache Elemente, welche derselben seit
langer Zeit gedient hatten. Dazu kam, daß die Organisation der national¬
liberalen Partei des Landes nicht wieder gelingen wollte, seit aus Anlaß der
Annexion die Führer sich in so bedenklicher Weise gespalten hatten. Nun
haben wir die Bescheerung: Der Adel im Landtag hat die Mehrzahl der Ab¬
geordneten bewogen, eine Adresse mit der Bitte um Ernennung des hiesigen
Regierungs-Präsidenten v. Hardenberg zum Oberpräsidenten an den König
zu erlassen. Es wird zu dieser Ernennung nicht kommen, denn die höchst be¬
denkliche Haltung des Genannten in der kirchenpolitischen Frage wird in
Berlin hinreichend bekannt sein und es handelt sich ja grade darum, an Stelle
Bodelschwingh's einen Mann zu setzen, der entschiedener in jener Frage das
Staatsinteresse wahrnimmt; allein der Adel hat gezeigt, wie weit seine Macht
schon gewachsen ist. Hardenberg, wie es immer hieß, einst blos deshalb hier¬
her versetzt, um an Stelle des damaligen Oberpräsidenten v. Möller mehr
für die Repräsentation zu sorgen, würde allerdings den Bestrebungen des
Adels sehr hold gewesen sein und ein kühnes Austreten in dieser Richtung
mochte diesem wohl als unschädlich erscheinen. Die Führer der Ritterschaft
sind Herr von Mibhling und Graf Berlepsch, daneben der Landesdirector v.
Bischofshausen. Herr v. d. Malsburg und Herr v. Wolff. Der erstere hat
als Präsident des Landtags noch manche besondere Mittel an der Hand, sich
die unselbständigen Abgeordneten dienstbar zu machen. So ist es, was wohl
vor nicht langer Zeit Niemand geahnt hätte, dahin gekommen, daß die früher


ehemaligen Kurhesseus ist allmählich ganz in die Hände des Adels gelangt,
welcher, wie von jeher in Hessen, vorwiegend egoistische Zwecke verfolgt und
gegenwärtig sogar mit den staatsfeindlichen hierarchischen Bestrebungen sym-
pathisirt. Dieser Adel hat an sich keine Bedeutung, denn wohl nirgends ist
derselbe so arm, namentlich an Grundbesitz, als hier zu Lande, aber er hat
verstanden, die Landbevölkerung für sich zu gewinnen. Ein ergiebiges Feld
hierfür bot ihm die Unzufriedenheit vieler Landwirthe, welche sich seit einigen
Jahren in den wunderbarsten Formen äußerte. Die Aufhetzung, welche demo¬
kratische und kurfürstliche Organe sich hatten zu Schulden kommen lassen, die
lange Zeit täglich laut gewordenen Rufe, daß lediglich unsere Nationallibe¬
ralen schuld an der Art der Annexion und damit an vielen kleinen Nach¬
theilen seien, welche Einzelne infolge derselben erlitten, hat eine gefährliche
Saat aufschießen lassen. Die Belehrungen über die Verkehrtheiten der länd¬
lichen Vorschläge zur Hebung der Landwirthschaft wurden mit Bosheit be¬
handelt und der größte Unverstand der sich zurückgesetzt fühlenden verschieden¬
artigen Elemente lechzte danach, sich in einer die liberalen und reichstreuen
Bestrebungen durchkreuzenden Weise geltend zu machen. Diese Stimmung ist
adliger Seits genährt und benutzt worden. Der Adel cultivirte die unselige
agrarische Richtung und entzog der liberalen Sache Elemente, welche derselben seit
langer Zeit gedient hatten. Dazu kam, daß die Organisation der national¬
liberalen Partei des Landes nicht wieder gelingen wollte, seit aus Anlaß der
Annexion die Führer sich in so bedenklicher Weise gespalten hatten. Nun
haben wir die Bescheerung: Der Adel im Landtag hat die Mehrzahl der Ab¬
geordneten bewogen, eine Adresse mit der Bitte um Ernennung des hiesigen
Regierungs-Präsidenten v. Hardenberg zum Oberpräsidenten an den König
zu erlassen. Es wird zu dieser Ernennung nicht kommen, denn die höchst be¬
denkliche Haltung des Genannten in der kirchenpolitischen Frage wird in
Berlin hinreichend bekannt sein und es handelt sich ja grade darum, an Stelle
Bodelschwingh's einen Mann zu setzen, der entschiedener in jener Frage das
Staatsinteresse wahrnimmt; allein der Adel hat gezeigt, wie weit seine Macht
schon gewachsen ist. Hardenberg, wie es immer hieß, einst blos deshalb hier¬
her versetzt, um an Stelle des damaligen Oberpräsidenten v. Möller mehr
für die Repräsentation zu sorgen, würde allerdings den Bestrebungen des
Adels sehr hold gewesen sein und ein kühnes Austreten in dieser Richtung
mochte diesem wohl als unschädlich erscheinen. Die Führer der Ritterschaft
sind Herr von Mibhling und Graf Berlepsch, daneben der Landesdirector v.
Bischofshausen. Herr v. d. Malsburg und Herr v. Wolff. Der erstere hat
als Präsident des Landtags noch manche besondere Mittel an der Hand, sich
die unselbständigen Abgeordneten dienstbar zu machen. So ist es, was wohl
vor nicht langer Zeit Niemand geahnt hätte, dahin gekommen, daß die früher


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[0276] ehemaligen Kurhesseus ist allmählich ganz in die Hände des Adels gelangt, welcher, wie von jeher in Hessen, vorwiegend egoistische Zwecke verfolgt und gegenwärtig sogar mit den staatsfeindlichen hierarchischen Bestrebungen sym- pathisirt. Dieser Adel hat an sich keine Bedeutung, denn wohl nirgends ist derselbe so arm, namentlich an Grundbesitz, als hier zu Lande, aber er hat verstanden, die Landbevölkerung für sich zu gewinnen. Ein ergiebiges Feld hierfür bot ihm die Unzufriedenheit vieler Landwirthe, welche sich seit einigen Jahren in den wunderbarsten Formen äußerte. Die Aufhetzung, welche demo¬ kratische und kurfürstliche Organe sich hatten zu Schulden kommen lassen, die lange Zeit täglich laut gewordenen Rufe, daß lediglich unsere Nationallibe¬ ralen schuld an der Art der Annexion und damit an vielen kleinen Nach¬ theilen seien, welche Einzelne infolge derselben erlitten, hat eine gefährliche Saat aufschießen lassen. Die Belehrungen über die Verkehrtheiten der länd¬ lichen Vorschläge zur Hebung der Landwirthschaft wurden mit Bosheit be¬ handelt und der größte Unverstand der sich zurückgesetzt fühlenden verschieden¬ artigen Elemente lechzte danach, sich in einer die liberalen und reichstreuen Bestrebungen durchkreuzenden Weise geltend zu machen. Diese Stimmung ist adliger Seits genährt und benutzt worden. Der Adel cultivirte die unselige agrarische Richtung und entzog der liberalen Sache Elemente, welche derselben seit langer Zeit gedient hatten. Dazu kam, daß die Organisation der national¬ liberalen Partei des Landes nicht wieder gelingen wollte, seit aus Anlaß der Annexion die Führer sich in so bedenklicher Weise gespalten hatten. Nun haben wir die Bescheerung: Der Adel im Landtag hat die Mehrzahl der Ab¬ geordneten bewogen, eine Adresse mit der Bitte um Ernennung des hiesigen Regierungs-Präsidenten v. Hardenberg zum Oberpräsidenten an den König zu erlassen. Es wird zu dieser Ernennung nicht kommen, denn die höchst be¬ denkliche Haltung des Genannten in der kirchenpolitischen Frage wird in Berlin hinreichend bekannt sein und es handelt sich ja grade darum, an Stelle Bodelschwingh's einen Mann zu setzen, der entschiedener in jener Frage das Staatsinteresse wahrnimmt; allein der Adel hat gezeigt, wie weit seine Macht schon gewachsen ist. Hardenberg, wie es immer hieß, einst blos deshalb hier¬ her versetzt, um an Stelle des damaligen Oberpräsidenten v. Möller mehr für die Repräsentation zu sorgen, würde allerdings den Bestrebungen des Adels sehr hold gewesen sein und ein kühnes Austreten in dieser Richtung mochte diesem wohl als unschädlich erscheinen. Die Führer der Ritterschaft sind Herr von Mibhling und Graf Berlepsch, daneben der Landesdirector v. Bischofshausen. Herr v. d. Malsburg und Herr v. Wolff. Der erstere hat als Präsident des Landtags noch manche besondere Mittel an der Hand, sich die unselbständigen Abgeordneten dienstbar zu machen. So ist es, was wohl vor nicht langer Zeit Niemand geahnt hätte, dahin gekommen, daß die früher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/276>, abgerufen am 22.07.2024.