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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Indern nicht wie anderwärts unveränderlich ihren boshaften Charakter bei¬
behalten, sondern die Beweglichkeit der Götter theilen und mit diesen häufig
die Rollen tauschen. Wie es anfangs noch keinen deutlich unterschiedenen
Gott gab, so existirte ursprünglich auch noch kein besonderer Teufel, sondern
nur Dämone, welche als Kinder eines und desselben Vaters sich gleich an
Macht und Ansetzn waren, und sich auch äußerlich nicht von einander unter¬
schieden. In der ersten Zeit waren sie sogar den Göttern nicht unähnlich,
bis sie durch Anmaßung und Selbstüberhebung ihre frühere Ueberlegenheit
einbüßten und im Kampfe mit den Göttern unterlagen.

In der vierzehnten Vorlesung wird Pragü,pati und Purusha be¬
sprochen, der "Herr der Schöpfung" und das "Allgemein-Männliche", zwei
Figuren der späteren Veden, während sich die drei folgenden Vorlesungen mit
Brahman, Vishnu und Rudra-Civa, den Gottheiten der indischen
Dreifaltigkeit, beschäftigen

Brahman, der "Weite", welcher "sich ausdehnt", steht an der Spitze der
Trias, obwohl manche Sekten Vishnu oder Civa über ihn stellen. Er ist
der Gott des Gebets und der Andacht, ohne den kein menschliches oder gött¬
liches Werk Fortgang hat, und der besondere Gott der Brahmanen, mit
deren Beistand man Alles erreichen kann. Nach ihm heißt der höchste Himmel
das Paradies der Seligen, Brahmaloka, und das El des Weltalls, welches
auf dem Wasser schwamm und den Herrn der Schöpfung in sich barg. Brah-
mllnda. Da er als kolossal groß dargestellt wurde, hielt man ihn nicht nur
für den Träger der Welt, sondern übertrug auch auf ihn die Herrschaft des
Himmels und setzte ihn allmählich an Indra's Stelle.

Unter Vishnu und Civa dagegen dachte man sich anfangs die Sonne
und den Mond, und wie von der Sonne, haben die Inder auch von Vishnu
tausend Namen. In der späteren Zeit jedoch mußten beide Gottheiten soviel
mythische Wandlungen durchmachen, daß ihr ursprünglicher Charakter schon
zu erkennen ist. Dem Wortlaut nach ist Vishnu der "Durchdringende", und
die Erklärer der Veden identificiren ihn bald mit Agni dem Feuer, bald mit
VKyu, dem Wind. Eben so häufig ist er eins mit Brahman, Civa und Indra
oder tritt als himmlischer Koch auf. Immer aber hat er Züge an sich, die
der Sonne angehören, und wenn er gewissermaßen, namentlich in brahma-
nischer Zeit, der eigentliche Universalgott ist, so wird Rudra-Civa, der sich vor¬
zugsweise als phallische Gottheit zeigt, zwar ebenfalls dazu erhoben, indessen
als allgemeiner Zerstörer mehr gefürchtet, als geliebt. In frühester Zeit stellte
er gleich Jama die untergehende Sonne dar, und hatte viel Aehnlichkeit mit
dem Gott der Todten. Später vermengt sich sein Bild mit dem des Mondes;
er ward der Herr aller Heilmittel und der Bogenschütze des Himmels, und
trat mehr und mehr an Stelle Indra's und der andern Götter.


Indern nicht wie anderwärts unveränderlich ihren boshaften Charakter bei¬
behalten, sondern die Beweglichkeit der Götter theilen und mit diesen häufig
die Rollen tauschen. Wie es anfangs noch keinen deutlich unterschiedenen
Gott gab, so existirte ursprünglich auch noch kein besonderer Teufel, sondern
nur Dämone, welche als Kinder eines und desselben Vaters sich gleich an
Macht und Ansetzn waren, und sich auch äußerlich nicht von einander unter¬
schieden. In der ersten Zeit waren sie sogar den Göttern nicht unähnlich,
bis sie durch Anmaßung und Selbstüberhebung ihre frühere Ueberlegenheit
einbüßten und im Kampfe mit den Göttern unterlagen.

In der vierzehnten Vorlesung wird Pragü,pati und Purusha be¬
sprochen, der „Herr der Schöpfung" und das „Allgemein-Männliche", zwei
Figuren der späteren Veden, während sich die drei folgenden Vorlesungen mit
Brahman, Vishnu und Rudra-Civa, den Gottheiten der indischen
Dreifaltigkeit, beschäftigen

Brahman, der „Weite", welcher „sich ausdehnt", steht an der Spitze der
Trias, obwohl manche Sekten Vishnu oder Civa über ihn stellen. Er ist
der Gott des Gebets und der Andacht, ohne den kein menschliches oder gött¬
liches Werk Fortgang hat, und der besondere Gott der Brahmanen, mit
deren Beistand man Alles erreichen kann. Nach ihm heißt der höchste Himmel
das Paradies der Seligen, Brahmaloka, und das El des Weltalls, welches
auf dem Wasser schwamm und den Herrn der Schöpfung in sich barg. Brah-
mllnda. Da er als kolossal groß dargestellt wurde, hielt man ihn nicht nur
für den Träger der Welt, sondern übertrug auch auf ihn die Herrschaft des
Himmels und setzte ihn allmählich an Indra's Stelle.

Unter Vishnu und Civa dagegen dachte man sich anfangs die Sonne
und den Mond, und wie von der Sonne, haben die Inder auch von Vishnu
tausend Namen. In der späteren Zeit jedoch mußten beide Gottheiten soviel
mythische Wandlungen durchmachen, daß ihr ursprünglicher Charakter schon
zu erkennen ist. Dem Wortlaut nach ist Vishnu der „Durchdringende", und
die Erklärer der Veden identificiren ihn bald mit Agni dem Feuer, bald mit
VKyu, dem Wind. Eben so häufig ist er eins mit Brahman, Civa und Indra
oder tritt als himmlischer Koch auf. Immer aber hat er Züge an sich, die
der Sonne angehören, und wenn er gewissermaßen, namentlich in brahma-
nischer Zeit, der eigentliche Universalgott ist, so wird Rudra-Civa, der sich vor¬
zugsweise als phallische Gottheit zeigt, zwar ebenfalls dazu erhoben, indessen
als allgemeiner Zerstörer mehr gefürchtet, als geliebt. In frühester Zeit stellte
er gleich Jama die untergehende Sonne dar, und hatte viel Aehnlichkeit mit
dem Gott der Todten. Später vermengt sich sein Bild mit dem des Mondes;
er ward der Herr aller Heilmittel und der Bogenschütze des Himmels, und
trat mehr und mehr an Stelle Indra's und der andern Götter.


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[0270] Indern nicht wie anderwärts unveränderlich ihren boshaften Charakter bei¬ behalten, sondern die Beweglichkeit der Götter theilen und mit diesen häufig die Rollen tauschen. Wie es anfangs noch keinen deutlich unterschiedenen Gott gab, so existirte ursprünglich auch noch kein besonderer Teufel, sondern nur Dämone, welche als Kinder eines und desselben Vaters sich gleich an Macht und Ansetzn waren, und sich auch äußerlich nicht von einander unter¬ schieden. In der ersten Zeit waren sie sogar den Göttern nicht unähnlich, bis sie durch Anmaßung und Selbstüberhebung ihre frühere Ueberlegenheit einbüßten und im Kampfe mit den Göttern unterlagen. In der vierzehnten Vorlesung wird Pragü,pati und Purusha be¬ sprochen, der „Herr der Schöpfung" und das „Allgemein-Männliche", zwei Figuren der späteren Veden, während sich die drei folgenden Vorlesungen mit Brahman, Vishnu und Rudra-Civa, den Gottheiten der indischen Dreifaltigkeit, beschäftigen Brahman, der „Weite", welcher „sich ausdehnt", steht an der Spitze der Trias, obwohl manche Sekten Vishnu oder Civa über ihn stellen. Er ist der Gott des Gebets und der Andacht, ohne den kein menschliches oder gött¬ liches Werk Fortgang hat, und der besondere Gott der Brahmanen, mit deren Beistand man Alles erreichen kann. Nach ihm heißt der höchste Himmel das Paradies der Seligen, Brahmaloka, und das El des Weltalls, welches auf dem Wasser schwamm und den Herrn der Schöpfung in sich barg. Brah- mllnda. Da er als kolossal groß dargestellt wurde, hielt man ihn nicht nur für den Träger der Welt, sondern übertrug auch auf ihn die Herrschaft des Himmels und setzte ihn allmählich an Indra's Stelle. Unter Vishnu und Civa dagegen dachte man sich anfangs die Sonne und den Mond, und wie von der Sonne, haben die Inder auch von Vishnu tausend Namen. In der späteren Zeit jedoch mußten beide Gottheiten soviel mythische Wandlungen durchmachen, daß ihr ursprünglicher Charakter schon zu erkennen ist. Dem Wortlaut nach ist Vishnu der „Durchdringende", und die Erklärer der Veden identificiren ihn bald mit Agni dem Feuer, bald mit VKyu, dem Wind. Eben so häufig ist er eins mit Brahman, Civa und Indra oder tritt als himmlischer Koch auf. Immer aber hat er Züge an sich, die der Sonne angehören, und wenn er gewissermaßen, namentlich in brahma- nischer Zeit, der eigentliche Universalgott ist, so wird Rudra-Civa, der sich vor¬ zugsweise als phallische Gottheit zeigt, zwar ebenfalls dazu erhoben, indessen als allgemeiner Zerstörer mehr gefürchtet, als geliebt. In frühester Zeit stellte er gleich Jama die untergehende Sonne dar, und hatte viel Aehnlichkeit mit dem Gott der Todten. Später vermengt sich sein Bild mit dem des Mondes; er ward der Herr aller Heilmittel und der Bogenschütze des Himmels, und trat mehr und mehr an Stelle Indra's und der andern Götter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/270>, abgerufen am 22.07.2024.