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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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sein liebster Ohrenschmaus. Nur eine solche unerhörte Mordlust und Blutgier
konnte ihn fähig machen, bei einem Thiergefechte, wo keine zum Tode ver¬
dammten Missethäter mehr vorhanden waren, die ersten besten von den die
Schranken umstehenden Zuschauern ergreifen und den wilden Bestien vorwer¬
fen, vorher aber ihnen, damit sie nicht klagen und schelten könnten, die Zungen
ausschneiden zu lassen. Als einmal das Fleisch zur Fütterung der für den
Circus angeschafften Löwen und Tiger sehr im Preise gestiegen, bezeichnete er
unter den gefangen sitzenden Verbrechern diejenigen, mit welchen die Thiere
gefüttert werden sollten. Bei der Musterung, die er zu diesem Zwecke in
allen Gefängnissen vornahm, sonderte er diese Leute nicht nach der Schwere
ihrer Verschuldung aus, sondern stellte sich vor die in eine lange Reihe ge¬
ordneten Gefangnen hin und befahl, als einmal zufällig am obern und am
untern Ende derselben ein Kahlköpfiger stand, sie "von der einen Glatze bis
zur andern" nach den Thierzwingern abzuführen. Eine Menge achtbarer
Männer verurtheilte er zum Kampfe mit reißenden Bestien oder ließ sie zer¬
sägen oder auch den Hungertod sterben, nachdem er sie in Käfige gesperrt, die
so niedrig waren, daß sie darin nur auf allen Vieren herumkriegen konnten,
und häufig geschah dieß wegen keines schlimmeren Vergehens, als gering¬
schätziger Aeußerungen, die sie sich über ein von ihm veranstaltetes Fechterspiel
erlaubt, oder der Unterlassungssünde, daß sie niemals bei seinem Genius ge¬
schworen haben sollten. Väter zwang er, der Hinrichtung ihrer Söhne beizu¬
wohnen, und einem dieser Unglücklichen, der sich mit Krankheit entschuldigte,
schickte er eine Sänfte. Einen andern lud er unmittelbar von der Richtstätte,
wo sein Sohn vor seinen Augen verblutet, zu sich zur Tafel, um ihm Späße
vorzumachen. Dem Capito, welcher der Hinrichtung seines Sohnes Cassius
Betellinus beiwohnen mußte, kostete die Frage, ob er dabei die Augen zu¬
drücken dürfe, ebenfalls das Leben. Den Dichter eines Posfenspiels ließ er
wegen eines Verses, in welchem er eine Zweideutigkeit finden wollte, mitten
in der Arena verbrennen. Einmal fragte er einen Mann, der unter Tiberius
lange verbannt gewesen, was er im Exil gewöhnlich gethan habe. Die Ant¬
wort lautete schmeichlerisch: "Ich habe immer die Götter gebeten, Tiberius
sterben und Dich Kaiser werden zu lassen, und sie haben meine Gebete erhört."
Die Folge war, daß Caligula, in der Meinung, daß auch die von ihm Ver¬
bannten ihm den Tod wünschen würden, sofort nach allen Inseln Leute ab¬
schickte, um sie sammt und sonders niederzumachen.

Als er einmal auf den Einfall gerieth. einen Senator in Stücke gerissen
sehen zu wollen, stiftete er Menschen an, den Scribonius Proclus, als er in
die Curie trat, plötzlich mit dem Zurufe "Feind des Kaisers!" zu empfangen,
ihn mit ihren Schreibgriffeln zu durchstechen und ihn dann den Uebrigen zum
Zerreißen hinzustoßen. An diesen und ähnlichen gräßlichen Schauspielen


sein liebster Ohrenschmaus. Nur eine solche unerhörte Mordlust und Blutgier
konnte ihn fähig machen, bei einem Thiergefechte, wo keine zum Tode ver¬
dammten Missethäter mehr vorhanden waren, die ersten besten von den die
Schranken umstehenden Zuschauern ergreifen und den wilden Bestien vorwer¬
fen, vorher aber ihnen, damit sie nicht klagen und schelten könnten, die Zungen
ausschneiden zu lassen. Als einmal das Fleisch zur Fütterung der für den
Circus angeschafften Löwen und Tiger sehr im Preise gestiegen, bezeichnete er
unter den gefangen sitzenden Verbrechern diejenigen, mit welchen die Thiere
gefüttert werden sollten. Bei der Musterung, die er zu diesem Zwecke in
allen Gefängnissen vornahm, sonderte er diese Leute nicht nach der Schwere
ihrer Verschuldung aus, sondern stellte sich vor die in eine lange Reihe ge¬
ordneten Gefangnen hin und befahl, als einmal zufällig am obern und am
untern Ende derselben ein Kahlköpfiger stand, sie „von der einen Glatze bis
zur andern" nach den Thierzwingern abzuführen. Eine Menge achtbarer
Männer verurtheilte er zum Kampfe mit reißenden Bestien oder ließ sie zer¬
sägen oder auch den Hungertod sterben, nachdem er sie in Käfige gesperrt, die
so niedrig waren, daß sie darin nur auf allen Vieren herumkriegen konnten,
und häufig geschah dieß wegen keines schlimmeren Vergehens, als gering¬
schätziger Aeußerungen, die sie sich über ein von ihm veranstaltetes Fechterspiel
erlaubt, oder der Unterlassungssünde, daß sie niemals bei seinem Genius ge¬
schworen haben sollten. Väter zwang er, der Hinrichtung ihrer Söhne beizu¬
wohnen, und einem dieser Unglücklichen, der sich mit Krankheit entschuldigte,
schickte er eine Sänfte. Einen andern lud er unmittelbar von der Richtstätte,
wo sein Sohn vor seinen Augen verblutet, zu sich zur Tafel, um ihm Späße
vorzumachen. Dem Capito, welcher der Hinrichtung seines Sohnes Cassius
Betellinus beiwohnen mußte, kostete die Frage, ob er dabei die Augen zu¬
drücken dürfe, ebenfalls das Leben. Den Dichter eines Posfenspiels ließ er
wegen eines Verses, in welchem er eine Zweideutigkeit finden wollte, mitten
in der Arena verbrennen. Einmal fragte er einen Mann, der unter Tiberius
lange verbannt gewesen, was er im Exil gewöhnlich gethan habe. Die Ant¬
wort lautete schmeichlerisch: „Ich habe immer die Götter gebeten, Tiberius
sterben und Dich Kaiser werden zu lassen, und sie haben meine Gebete erhört."
Die Folge war, daß Caligula, in der Meinung, daß auch die von ihm Ver¬
bannten ihm den Tod wünschen würden, sofort nach allen Inseln Leute ab¬
schickte, um sie sammt und sonders niederzumachen.

Als er einmal auf den Einfall gerieth. einen Senator in Stücke gerissen
sehen zu wollen, stiftete er Menschen an, den Scribonius Proclus, als er in
die Curie trat, plötzlich mit dem Zurufe „Feind des Kaisers!" zu empfangen,
ihn mit ihren Schreibgriffeln zu durchstechen und ihn dann den Uebrigen zum
Zerreißen hinzustoßen. An diesen und ähnlichen gräßlichen Schauspielen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/250>, abgerufen am 25.08.2024.