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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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gentes Raisonnement: "Die Bestimmung, die ihm die Natur übertragen, sei
die Aufsicht über die Menschen, aber wie der Ziegenhirt nicht ein Bock, der
Rinderhirt nicht ein Stier und der Schäfer nicht ein Widder sei, so stehe der
Herr der Welt auch seiner Natur nach über der Menschheit." Bevor sich das
Bewußtsein solcher Göttlichkeit bei ihm klar entwickelt hatte, nannte er sich
,,tius" oder ^?ater exereiwum" oder "vaesar optimus maximus". aber schon
behandelte er sein Volk wie eine Mehheerde, und namentlich befleißigte er sich,
die Bornehmen durch erniedrigende Zumuthung tief unter sich hinabzudrücken.
Senatoren ließ er in der Toga mehrere tausend Schritte neben seinem Wagen
herlaufen oder, wenn er tafelte, hinter seinem Polster wie Sklaven in Lein-
wandschürzen Aufwärterdienste verrichten. Bei Theatervorstellungen theilte er
die Freimarken ganz in der Frühe aus, damit die Ritterplätze von möglichst
gemeinem Volke besetzt würden. Den Adligen nahm er die alten Abzeichen
ihrer Familien: einem Torquatus die Halskette, einem Cincinnatus die Haar¬
locke u. d. in. Seinen Vetter Ptolomäus ließ er einfach deshalb ermorden,
weil er im Amphitheater die Augen der Zuschauer durch einen prächtigen
Mantel auf sich gelenkt hatte. Leuten mit reichem Haarwuchs wurde, wenn
sie ihm in den Weg kamen, auf seinen Befehl der Hinterkopf rasirt. Die
Bildsäulen berühmter Männer gebot er umzustürzen und bis zur Unkenntlich¬
keit zu verstümmeln. Er dachte sogar daran, die homerischen Gesänge zu
vernichten; "denn warum," sagte er, "soll mir nicht gestattet sein, was Plato
sich erlaubt hat, als er den Homer aus seinem Staate hinauswarf?" In
Betreff der Rechtsgelehrten vermaß er sich: "Ich werde es, beim Hercules!
dahin bringen, daß es keinem Juristen, an den man sich wenden könnte, mehr
giebt, als mich selber."

"Vom besten und größten Cäsar" führte ihn die nächste Stufe seines
Größenwahnes zu den Halbgöttern. Zuerst hielt er sich für den Trophonius,
dann für den Amphiaraus, darauf für den Hercules, zuletzt für Castor und
Pollux. Dann verwandelte ihn seine Phantasie in verschiedene wahre und
volle Götter, und er wurde bald zum Mereur, bald zum Bacchus, bald zum
Apollo, bald zum Neptun, selbst zum Götterkönig Jupiter, ja er erschien sich
sogar als Göttin, als Juno, Diana oder Venus. Als er Hercules war, ging
er mit einer Löwenhaut und einer Keule herum,, die beide vergoldet waren.
Castor und Pollux in einer Person stellte er dar, indem er zwei Hüte aufsetzte.
Als Bacchus erschien er mit Epheu geschmückt, den Thyrsusstab in der Hand.
Felle von Hirschkälbern um die Schultern gelegt. War er Mercur. so trug
er einen Hut und band sich Flügel an die lahmen Beine. Verwandelte ihn
sein Wahnsinn in Apollo, so umgab er seinen widerwärtigen Kops mit einer
Strahlenkrone, hielt in der linken Hand Bogen und Pfeile, in der rechten die
drei Grazien und ließ sich von eigens dazu bestellten Sängern mit Lodge-


gentes Raisonnement: „Die Bestimmung, die ihm die Natur übertragen, sei
die Aufsicht über die Menschen, aber wie der Ziegenhirt nicht ein Bock, der
Rinderhirt nicht ein Stier und der Schäfer nicht ein Widder sei, so stehe der
Herr der Welt auch seiner Natur nach über der Menschheit." Bevor sich das
Bewußtsein solcher Göttlichkeit bei ihm klar entwickelt hatte, nannte er sich
,,tius" oder ^?ater exereiwum" oder «vaesar optimus maximus". aber schon
behandelte er sein Volk wie eine Mehheerde, und namentlich befleißigte er sich,
die Bornehmen durch erniedrigende Zumuthung tief unter sich hinabzudrücken.
Senatoren ließ er in der Toga mehrere tausend Schritte neben seinem Wagen
herlaufen oder, wenn er tafelte, hinter seinem Polster wie Sklaven in Lein-
wandschürzen Aufwärterdienste verrichten. Bei Theatervorstellungen theilte er
die Freimarken ganz in der Frühe aus, damit die Ritterplätze von möglichst
gemeinem Volke besetzt würden. Den Adligen nahm er die alten Abzeichen
ihrer Familien: einem Torquatus die Halskette, einem Cincinnatus die Haar¬
locke u. d. in. Seinen Vetter Ptolomäus ließ er einfach deshalb ermorden,
weil er im Amphitheater die Augen der Zuschauer durch einen prächtigen
Mantel auf sich gelenkt hatte. Leuten mit reichem Haarwuchs wurde, wenn
sie ihm in den Weg kamen, auf seinen Befehl der Hinterkopf rasirt. Die
Bildsäulen berühmter Männer gebot er umzustürzen und bis zur Unkenntlich¬
keit zu verstümmeln. Er dachte sogar daran, die homerischen Gesänge zu
vernichten; „denn warum," sagte er, „soll mir nicht gestattet sein, was Plato
sich erlaubt hat, als er den Homer aus seinem Staate hinauswarf?" In
Betreff der Rechtsgelehrten vermaß er sich: „Ich werde es, beim Hercules!
dahin bringen, daß es keinem Juristen, an den man sich wenden könnte, mehr
giebt, als mich selber."

„Vom besten und größten Cäsar" führte ihn die nächste Stufe seines
Größenwahnes zu den Halbgöttern. Zuerst hielt er sich für den Trophonius,
dann für den Amphiaraus, darauf für den Hercules, zuletzt für Castor und
Pollux. Dann verwandelte ihn seine Phantasie in verschiedene wahre und
volle Götter, und er wurde bald zum Mereur, bald zum Bacchus, bald zum
Apollo, bald zum Neptun, selbst zum Götterkönig Jupiter, ja er erschien sich
sogar als Göttin, als Juno, Diana oder Venus. Als er Hercules war, ging
er mit einer Löwenhaut und einer Keule herum,, die beide vergoldet waren.
Castor und Pollux in einer Person stellte er dar, indem er zwei Hüte aufsetzte.
Als Bacchus erschien er mit Epheu geschmückt, den Thyrsusstab in der Hand.
Felle von Hirschkälbern um die Schultern gelegt. War er Mercur. so trug
er einen Hut und band sich Flügel an die lahmen Beine. Verwandelte ihn
sein Wahnsinn in Apollo, so umgab er seinen widerwärtigen Kops mit einer
Strahlenkrone, hielt in der linken Hand Bogen und Pfeile, in der rechten die
drei Grazien und ließ sich von eigens dazu bestellten Sängern mit Lodge-


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[0247] gentes Raisonnement: „Die Bestimmung, die ihm die Natur übertragen, sei die Aufsicht über die Menschen, aber wie der Ziegenhirt nicht ein Bock, der Rinderhirt nicht ein Stier und der Schäfer nicht ein Widder sei, so stehe der Herr der Welt auch seiner Natur nach über der Menschheit." Bevor sich das Bewußtsein solcher Göttlichkeit bei ihm klar entwickelt hatte, nannte er sich ,,tius" oder ^?ater exereiwum" oder «vaesar optimus maximus". aber schon behandelte er sein Volk wie eine Mehheerde, und namentlich befleißigte er sich, die Bornehmen durch erniedrigende Zumuthung tief unter sich hinabzudrücken. Senatoren ließ er in der Toga mehrere tausend Schritte neben seinem Wagen herlaufen oder, wenn er tafelte, hinter seinem Polster wie Sklaven in Lein- wandschürzen Aufwärterdienste verrichten. Bei Theatervorstellungen theilte er die Freimarken ganz in der Frühe aus, damit die Ritterplätze von möglichst gemeinem Volke besetzt würden. Den Adligen nahm er die alten Abzeichen ihrer Familien: einem Torquatus die Halskette, einem Cincinnatus die Haar¬ locke u. d. in. Seinen Vetter Ptolomäus ließ er einfach deshalb ermorden, weil er im Amphitheater die Augen der Zuschauer durch einen prächtigen Mantel auf sich gelenkt hatte. Leuten mit reichem Haarwuchs wurde, wenn sie ihm in den Weg kamen, auf seinen Befehl der Hinterkopf rasirt. Die Bildsäulen berühmter Männer gebot er umzustürzen und bis zur Unkenntlich¬ keit zu verstümmeln. Er dachte sogar daran, die homerischen Gesänge zu vernichten; „denn warum," sagte er, „soll mir nicht gestattet sein, was Plato sich erlaubt hat, als er den Homer aus seinem Staate hinauswarf?" In Betreff der Rechtsgelehrten vermaß er sich: „Ich werde es, beim Hercules! dahin bringen, daß es keinem Juristen, an den man sich wenden könnte, mehr giebt, als mich selber." „Vom besten und größten Cäsar" führte ihn die nächste Stufe seines Größenwahnes zu den Halbgöttern. Zuerst hielt er sich für den Trophonius, dann für den Amphiaraus, darauf für den Hercules, zuletzt für Castor und Pollux. Dann verwandelte ihn seine Phantasie in verschiedene wahre und volle Götter, und er wurde bald zum Mereur, bald zum Bacchus, bald zum Apollo, bald zum Neptun, selbst zum Götterkönig Jupiter, ja er erschien sich sogar als Göttin, als Juno, Diana oder Venus. Als er Hercules war, ging er mit einer Löwenhaut und einer Keule herum,, die beide vergoldet waren. Castor und Pollux in einer Person stellte er dar, indem er zwei Hüte aufsetzte. Als Bacchus erschien er mit Epheu geschmückt, den Thyrsusstab in der Hand. Felle von Hirschkälbern um die Schultern gelegt. War er Mercur. so trug er einen Hut und band sich Flügel an die lahmen Beine. Verwandelte ihn sein Wahnsinn in Apollo, so umgab er seinen widerwärtigen Kops mit einer Strahlenkrone, hielt in der linken Hand Bogen und Pfeile, in der rechten die drei Grazien und ließ sich von eigens dazu bestellten Sängern mit Lodge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/247>, abgerufen am 22.07.2024.