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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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tischer Begeisterung. Und dann, als sie endlich kamen, die heißersehnten
Preußen -- wer beschreibt den grenzenlosen Jubel, wer die Freudenthränen
und die aufrichtigen Dankgebete! Aus Dorf und Stadt schleppte man von
dem guten Weine des Landes herbei, soviel, daß der des edeln Trankes un¬
gewohnte norddeutsche Krieger schier niedersank unter der Fülle der Liebe.
Zu einem ansehnlichen Berge lagen in Neustadt auf dem Bahnhof die Fässer
aufgespeichert und mit jener genialen Intuition, welche der echten Volks¬
bewegung eigen zu sein pflegt, den Ereignissen vorgreifend, unbekümmert darum
daß in der eigenen Landeshauptstadt die Staatsgelehrten soeben noch sich die Köpfe
zerbrochen hatten über den "en>suL toeäsris" und die "bewaffnete Neutralität",
gab man diesen Fässern die Inschrift: "Für das deutsche Heer!"
Nein, wer diese Scenen nicht mit erlebte, der lasse davon ab, über das pfäl¬
zische Gemüth ein Urtheil fällen zu wollen!

Man bestreitet den Pfälzern das tiefere geistige Interesse. Allerdings
sie sind in ihren Cirkeln nicht gewohnt, die höchsten Probleme der Weltweis¬
heit zu discutiren, aber soviel ist doch über allen Zweifel erhaben, daß sie
eher an der Spitze als am Schwänze der Civilisation marschiren. Eine Pro¬
vinz, die allen Anstrengungen der Haneberg, Molitor und Becker zum Trotz
in indirecten wie in directen Wahlen ausschließlich liberale Abgeordnete er¬
nennt, kann höchstens von einem Ultramontanen wegen geistiger Verwahr¬
losung beklagt werden. Die Köpse sind hell und rasch im Erfassen vernünf¬
tiger Gedanken; kaum irgendwo in deutschen Landen wird der Obscurantis-
mus jeder Art sich mehr Feinde gegenübecsehen, als dort in der Pfalz. Aber
man glaube nicht, daß es bei dem gewöhnlichen Niveau einer freisinnigen
Bildung sein Bewenden habe. Mit welchem Selbstbewußtsein sieht wohl so
mancher Reisende, besonders, wenn er an der Spree zu Hause ist, aus seinem
Coupe auf die winzigen Städtchen hinab, an denen die Eisenbahn in der
Unterpfalz vorüberführt. Ich erlaube mir, ihm zu versichern, daß er in einem
dieser Städtchen noch vor wenigen Jahren, ehe der dunkle Schoß der Erde
sie barg, das Urbild einer geistvollen und feingebildeten Frau hätte kennen
und verehren lernen können. Und in einem andern möchte ich ihn zu einem
Hause führen, das unter dem Walten einer trefflichen Dame sich zu einem
mit seinem Kunstsinn geordneten wahren Mikrokosmos gestaltet hat. "Aber
wenigstens die weibliche Jugend," so betheuerte mir noch auf dem Wege
nach der Pfalz ein in psychischen Dingen wohlerfahrener Mann, "ist entsetzlich
nüchtern und seicht." Lieber Freund, wie würdest Du Dich gewundert haben,
hättest Du zwei Tage später ein halb Stündchen mit meiner Tischnachbarin
plaudern können! Allerdings, für Blaustrümpfe ist unter den fröhlichen
Pfälzerinnen verzweifelt wenig Material, auch nicht für mordsüchtige Senti¬
mentalität, aber an tüchtiger Bildung des Geistes uno des Herzens, an guten


tischer Begeisterung. Und dann, als sie endlich kamen, die heißersehnten
Preußen — wer beschreibt den grenzenlosen Jubel, wer die Freudenthränen
und die aufrichtigen Dankgebete! Aus Dorf und Stadt schleppte man von
dem guten Weine des Landes herbei, soviel, daß der des edeln Trankes un¬
gewohnte norddeutsche Krieger schier niedersank unter der Fülle der Liebe.
Zu einem ansehnlichen Berge lagen in Neustadt auf dem Bahnhof die Fässer
aufgespeichert und mit jener genialen Intuition, welche der echten Volks¬
bewegung eigen zu sein pflegt, den Ereignissen vorgreifend, unbekümmert darum
daß in der eigenen Landeshauptstadt die Staatsgelehrten soeben noch sich die Köpfe
zerbrochen hatten über den „en>suL toeäsris" und die „bewaffnete Neutralität",
gab man diesen Fässern die Inschrift: „Für das deutsche Heer!"
Nein, wer diese Scenen nicht mit erlebte, der lasse davon ab, über das pfäl¬
zische Gemüth ein Urtheil fällen zu wollen!

Man bestreitet den Pfälzern das tiefere geistige Interesse. Allerdings
sie sind in ihren Cirkeln nicht gewohnt, die höchsten Probleme der Weltweis¬
heit zu discutiren, aber soviel ist doch über allen Zweifel erhaben, daß sie
eher an der Spitze als am Schwänze der Civilisation marschiren. Eine Pro¬
vinz, die allen Anstrengungen der Haneberg, Molitor und Becker zum Trotz
in indirecten wie in directen Wahlen ausschließlich liberale Abgeordnete er¬
nennt, kann höchstens von einem Ultramontanen wegen geistiger Verwahr¬
losung beklagt werden. Die Köpse sind hell und rasch im Erfassen vernünf¬
tiger Gedanken; kaum irgendwo in deutschen Landen wird der Obscurantis-
mus jeder Art sich mehr Feinde gegenübecsehen, als dort in der Pfalz. Aber
man glaube nicht, daß es bei dem gewöhnlichen Niveau einer freisinnigen
Bildung sein Bewenden habe. Mit welchem Selbstbewußtsein sieht wohl so
mancher Reisende, besonders, wenn er an der Spree zu Hause ist, aus seinem
Coupe auf die winzigen Städtchen hinab, an denen die Eisenbahn in der
Unterpfalz vorüberführt. Ich erlaube mir, ihm zu versichern, daß er in einem
dieser Städtchen noch vor wenigen Jahren, ehe der dunkle Schoß der Erde
sie barg, das Urbild einer geistvollen und feingebildeten Frau hätte kennen
und verehren lernen können. Und in einem andern möchte ich ihn zu einem
Hause führen, das unter dem Walten einer trefflichen Dame sich zu einem
mit seinem Kunstsinn geordneten wahren Mikrokosmos gestaltet hat. „Aber
wenigstens die weibliche Jugend," so betheuerte mir noch auf dem Wege
nach der Pfalz ein in psychischen Dingen wohlerfahrener Mann, „ist entsetzlich
nüchtern und seicht." Lieber Freund, wie würdest Du Dich gewundert haben,
hättest Du zwei Tage später ein halb Stündchen mit meiner Tischnachbarin
plaudern können! Allerdings, für Blaustrümpfe ist unter den fröhlichen
Pfälzerinnen verzweifelt wenig Material, auch nicht für mordsüchtige Senti¬
mentalität, aber an tüchtiger Bildung des Geistes uno des Herzens, an guten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/232>, abgerufen am 22.07.2024.