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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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deutsche Opernsänger ausstieß, bei ihnen die Begeisterung für die Kunst und
Eifer im Studium vermißte und sie der Selbstgenügsamkeit auf mittelmäßiger
Stufe der Ausbildung beschuldigte. Die Allgemeine musikalische Zeitung vom
Juni 1823 schreibt über die gleiche Darstellung von Rossini's "Barbier", der
Beethoven beigewohnt: "Ueberhaupt ist gerade dieses Zusammenwirken, dieses
Ineinandergreifen, diese engste Vereinigung aller einzelnen Theile zu einem
Gesammtkörper der erste allerwesentlichste Vorzug der Italiener, und was auch
deutsche Sänger, isolirt gestellt, bedeutendes zu leisten im Stande sind, -- wenn
es sich um die präcise Ausführung einer mehrstimmigen Periode bis in das
kleinste Detail abgerundet, mit allen Nuancen gleichsam von einer Seele
ausgehaucht handelt, -- wahrlich darin werden sie doch immer ihren Neben¬
buhlern das Feld räumen müssen. Ehre dem Ehre gebühret!"

Allerdings besaßen diese Italiener künstlerische Werke eines einheitlichen
nationalen Styls und wenn man dazu an Don Juan und Figaro's Hochzeit
denkt, Respect fordernde Werke. Ist es da begreiflich, daß auch Beethoven
sich mehr und mehr auf das Gebiet zurückzog, wo doch auch der Deutsche als
solcher Meister sein konnte? Seine instrumentale Kunst und die letzten
Quartette sind dem wahrhaft deutschen Styl denn auch selbst in der Oper im
Grunde mehr Anregung und Muster geworden als alle deutsche Opern jener
und späterer Zeit.

Aber auch hier hatte er stets mehr auf das Ausland zu schauen:
"Beethoven's herrliche Claviercompositionen kennen nur wenige unserer jungen
Claviervirtuosen", klagt ein Aufsatz "Wien im Jahr 1825" in der "Cäcilia"
die Schott in diesem Jahr 1824 mit Gottfried Weber an der Spitze gegründet
hatte. Die Theilnahme an Werken der "höheren Tonkunst", Oratorien
und Symphonien nehme bedeutend ab, der hohe Adel sei dem Auslän¬
dischen zugewendet und die "teutsche Oper" ausgelöst. Weiter heißt es dann'.
"Nach der Fodor verschwanden eine Grünbaum, eine Waldmüller, obwohl
im Auslande Lorbeeren sammelnd, gleichsam im Dunkel, -- nach Lablache
mochte Niemand Forel singen hören. Daher suchten die Meisten Anstellung
bei fremden Bühnen, und die Wiener, gleich schlechten Hauswirthen von
theuern Lekerbissen übersättigt, haben nun kaum Kartoffeln zu essen."

Das Kärthnerthor-Theater wie das an der Wien waren seit längerer
Zeit geschlossen! Die besten Italiener und ihre Opern hatten schließlich nicht
mehr angesprochen, und jetzt beklatschte man Dlle. Heckermann und andere
Mitglieder des Borstadttheaters. Daß "bei so bewandren Umständen" auch
die Kirchenmusik nicht blühe, könne Niemand wundern heißt es dann;
"Fabrikarbeit" bekomme man hier wohl genug zu hören, aber das wahrhaft
Kirchliche verschwinde immer mehr. Der Musikverein vegetire fort; Anarchie
und Unthätigkeit hatte ihn gelähmt. Was indessen den Wiener noch trösten


deutsche Opernsänger ausstieß, bei ihnen die Begeisterung für die Kunst und
Eifer im Studium vermißte und sie der Selbstgenügsamkeit auf mittelmäßiger
Stufe der Ausbildung beschuldigte. Die Allgemeine musikalische Zeitung vom
Juni 1823 schreibt über die gleiche Darstellung von Rossini's „Barbier", der
Beethoven beigewohnt: „Ueberhaupt ist gerade dieses Zusammenwirken, dieses
Ineinandergreifen, diese engste Vereinigung aller einzelnen Theile zu einem
Gesammtkörper der erste allerwesentlichste Vorzug der Italiener, und was auch
deutsche Sänger, isolirt gestellt, bedeutendes zu leisten im Stande sind, — wenn
es sich um die präcise Ausführung einer mehrstimmigen Periode bis in das
kleinste Detail abgerundet, mit allen Nuancen gleichsam von einer Seele
ausgehaucht handelt, — wahrlich darin werden sie doch immer ihren Neben¬
buhlern das Feld räumen müssen. Ehre dem Ehre gebühret!"

Allerdings besaßen diese Italiener künstlerische Werke eines einheitlichen
nationalen Styls und wenn man dazu an Don Juan und Figaro's Hochzeit
denkt, Respect fordernde Werke. Ist es da begreiflich, daß auch Beethoven
sich mehr und mehr auf das Gebiet zurückzog, wo doch auch der Deutsche als
solcher Meister sein konnte? Seine instrumentale Kunst und die letzten
Quartette sind dem wahrhaft deutschen Styl denn auch selbst in der Oper im
Grunde mehr Anregung und Muster geworden als alle deutsche Opern jener
und späterer Zeit.

Aber auch hier hatte er stets mehr auf das Ausland zu schauen:
„Beethoven's herrliche Claviercompositionen kennen nur wenige unserer jungen
Claviervirtuosen", klagt ein Aufsatz „Wien im Jahr 1825" in der „Cäcilia"
die Schott in diesem Jahr 1824 mit Gottfried Weber an der Spitze gegründet
hatte. Die Theilnahme an Werken der „höheren Tonkunst", Oratorien
und Symphonien nehme bedeutend ab, der hohe Adel sei dem Auslän¬
dischen zugewendet und die „teutsche Oper" ausgelöst. Weiter heißt es dann'.
„Nach der Fodor verschwanden eine Grünbaum, eine Waldmüller, obwohl
im Auslande Lorbeeren sammelnd, gleichsam im Dunkel, — nach Lablache
mochte Niemand Forel singen hören. Daher suchten die Meisten Anstellung
bei fremden Bühnen, und die Wiener, gleich schlechten Hauswirthen von
theuern Lekerbissen übersättigt, haben nun kaum Kartoffeln zu essen."

Das Kärthnerthor-Theater wie das an der Wien waren seit längerer
Zeit geschlossen! Die besten Italiener und ihre Opern hatten schließlich nicht
mehr angesprochen, und jetzt beklatschte man Dlle. Heckermann und andere
Mitglieder des Borstadttheaters. Daß „bei so bewandren Umständen" auch
die Kirchenmusik nicht blühe, könne Niemand wundern heißt es dann;
„Fabrikarbeit" bekomme man hier wohl genug zu hören, aber das wahrhaft
Kirchliche verschwinde immer mehr. Der Musikverein vegetire fort; Anarchie
und Unthätigkeit hatte ihn gelähmt. Was indessen den Wiener noch trösten


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[0206] deutsche Opernsänger ausstieß, bei ihnen die Begeisterung für die Kunst und Eifer im Studium vermißte und sie der Selbstgenügsamkeit auf mittelmäßiger Stufe der Ausbildung beschuldigte. Die Allgemeine musikalische Zeitung vom Juni 1823 schreibt über die gleiche Darstellung von Rossini's „Barbier", der Beethoven beigewohnt: „Ueberhaupt ist gerade dieses Zusammenwirken, dieses Ineinandergreifen, diese engste Vereinigung aller einzelnen Theile zu einem Gesammtkörper der erste allerwesentlichste Vorzug der Italiener, und was auch deutsche Sänger, isolirt gestellt, bedeutendes zu leisten im Stande sind, — wenn es sich um die präcise Ausführung einer mehrstimmigen Periode bis in das kleinste Detail abgerundet, mit allen Nuancen gleichsam von einer Seele ausgehaucht handelt, — wahrlich darin werden sie doch immer ihren Neben¬ buhlern das Feld räumen müssen. Ehre dem Ehre gebühret!" Allerdings besaßen diese Italiener künstlerische Werke eines einheitlichen nationalen Styls und wenn man dazu an Don Juan und Figaro's Hochzeit denkt, Respect fordernde Werke. Ist es da begreiflich, daß auch Beethoven sich mehr und mehr auf das Gebiet zurückzog, wo doch auch der Deutsche als solcher Meister sein konnte? Seine instrumentale Kunst und die letzten Quartette sind dem wahrhaft deutschen Styl denn auch selbst in der Oper im Grunde mehr Anregung und Muster geworden als alle deutsche Opern jener und späterer Zeit. Aber auch hier hatte er stets mehr auf das Ausland zu schauen: „Beethoven's herrliche Claviercompositionen kennen nur wenige unserer jungen Claviervirtuosen", klagt ein Aufsatz „Wien im Jahr 1825" in der „Cäcilia" die Schott in diesem Jahr 1824 mit Gottfried Weber an der Spitze gegründet hatte. Die Theilnahme an Werken der „höheren Tonkunst", Oratorien und Symphonien nehme bedeutend ab, der hohe Adel sei dem Auslän¬ dischen zugewendet und die „teutsche Oper" ausgelöst. Weiter heißt es dann'. „Nach der Fodor verschwanden eine Grünbaum, eine Waldmüller, obwohl im Auslande Lorbeeren sammelnd, gleichsam im Dunkel, — nach Lablache mochte Niemand Forel singen hören. Daher suchten die Meisten Anstellung bei fremden Bühnen, und die Wiener, gleich schlechten Hauswirthen von theuern Lekerbissen übersättigt, haben nun kaum Kartoffeln zu essen." Das Kärthnerthor-Theater wie das an der Wien waren seit längerer Zeit geschlossen! Die besten Italiener und ihre Opern hatten schließlich nicht mehr angesprochen, und jetzt beklatschte man Dlle. Heckermann und andere Mitglieder des Borstadttheaters. Daß „bei so bewandren Umständen" auch die Kirchenmusik nicht blühe, könne Niemand wundern heißt es dann; „Fabrikarbeit" bekomme man hier wohl genug zu hören, aber das wahrhaft Kirchliche verschwinde immer mehr. Der Musikverein vegetire fort; Anarchie und Unthätigkeit hatte ihn gelähmt. Was indessen den Wiener noch trösten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/206>, abgerufen am 25.08.2024.