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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Man hat in vielen größeren Kirchenbauten beobachtet, daß sich Unge-
nauigkeiten in den Winkeln und Maßen findet und hat diese mit der Unzu¬
länglichkeit der Maßwerkzeuge zu erklären gesucht. Das mag in vielen Fällen
zutreffen; wo aber die Abweichungen z. B. des Chors aus der Längenaxe so deut¬
lich ist wie in der S ebaldkirche zu Nürnberg, dem Dom zu Erfurt, der
Stadtkirche zu Wittenberg u. a. müssen wir nach einer anderen Erklärung
suchen. Es kommt bei allen diesen Kirchen hinzu, daß das Chor einer an¬
deren Bauzeit angehört als das Schiff. Es ist wohl möglich, daß man mit
der alten Längenaxe nicht genau die östliche Richtung getroffen zu haben
glaubte und darum absichtlich die Hauptrichtung der Kirche änderte. Möglich
auch, daß locale Hindernisse dabei mitgewirkt haben. Jedenfalls dürfte sich
verlohnen zu untersuchen, ob nicht die von der ursprünglichen Längenachse
abweichenden Theile jüngerer Zeit als der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts,
in welche Zeit das Bekanntwerden der Magnetnadel fällt, angehören, und ob
die neuerdings beliebte Richtung nicht den Ostpunkt genauer trifft als die
ursprüngliche.

Den Bauhütten gegenüber stehen die zünftigen Steinmetzen unter ihrem
"Stadtmeister". Sie sind vielfach, wie wir das bei Tischlern. Malern und
Glasern schon früher einmal zeigten, mit anderen ihnen verwandten Hand¬
werkern, den Denkern, Maurern und anderen Bauhandwerkern zu einer Zunft
vereinigt. Ein solches Zunftstatut der Steinmetzen, Maurer und Decker 6o
anno 1514 (Verhandlungen des hist. Vereins von Oberpfalz und Regensburg
XVI. S. 193 f.) zeigt uns das Bild einer richtigen städtischen Zunft. Darum
nehmen in ihnen die Verpflichtungen, die der Theilhaber der Ordnung als
Bürger der Stadt zu erfüllen hat, eine hervorragende Stellung ein. Eheliche
Geburt und ehrliches Herkommen, Lehrjahre und Meisterstück sind Vorbedin¬
gungen zum Bürgerrechte. Auch soll der nicht verheirathete sich und andern
zum frommen eine wohlgeläumte Person heirathen. Als Bürger hat er sich
Wehr und Waffe anzuschaffen, einen Krebs, ein Krägel, ein Hirnhäubel und
zwei Harnasch-Handschuhe.

Die Zunft im Ganzen wiederum steht nach Sanctionirung ihrer Ord¬
nung durch den Kaiser unter dem Hansgrasen und den zwölf städtischen
Sitzern des Rathes. Es darf keine Versammlung gehalten werden ohne
Wissen des Rathes.

Aus der langen Reihe allgemein-zünftiger Bestimmungen, welche wie über¬
all die Gesellen-, Concurrenz- und Casfenfragen behandeln, heben wir nur
diejenigen heraus, welche sich aufs Meisterstück beziehen, da in der Ordnung
der Bauhütte von einem Meisterstücke nichts verlautete, und die Wahl des
Meisterstückes nicht ohne Interesse ist.


Man hat in vielen größeren Kirchenbauten beobachtet, daß sich Unge-
nauigkeiten in den Winkeln und Maßen findet und hat diese mit der Unzu¬
länglichkeit der Maßwerkzeuge zu erklären gesucht. Das mag in vielen Fällen
zutreffen; wo aber die Abweichungen z. B. des Chors aus der Längenaxe so deut¬
lich ist wie in der S ebaldkirche zu Nürnberg, dem Dom zu Erfurt, der
Stadtkirche zu Wittenberg u. a. müssen wir nach einer anderen Erklärung
suchen. Es kommt bei allen diesen Kirchen hinzu, daß das Chor einer an¬
deren Bauzeit angehört als das Schiff. Es ist wohl möglich, daß man mit
der alten Längenaxe nicht genau die östliche Richtung getroffen zu haben
glaubte und darum absichtlich die Hauptrichtung der Kirche änderte. Möglich
auch, daß locale Hindernisse dabei mitgewirkt haben. Jedenfalls dürfte sich
verlohnen zu untersuchen, ob nicht die von der ursprünglichen Längenachse
abweichenden Theile jüngerer Zeit als der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts,
in welche Zeit das Bekanntwerden der Magnetnadel fällt, angehören, und ob
die neuerdings beliebte Richtung nicht den Ostpunkt genauer trifft als die
ursprüngliche.

Den Bauhütten gegenüber stehen die zünftigen Steinmetzen unter ihrem
„Stadtmeister". Sie sind vielfach, wie wir das bei Tischlern. Malern und
Glasern schon früher einmal zeigten, mit anderen ihnen verwandten Hand¬
werkern, den Denkern, Maurern und anderen Bauhandwerkern zu einer Zunft
vereinigt. Ein solches Zunftstatut der Steinmetzen, Maurer und Decker 6o
anno 1514 (Verhandlungen des hist. Vereins von Oberpfalz und Regensburg
XVI. S. 193 f.) zeigt uns das Bild einer richtigen städtischen Zunft. Darum
nehmen in ihnen die Verpflichtungen, die der Theilhaber der Ordnung als
Bürger der Stadt zu erfüllen hat, eine hervorragende Stellung ein. Eheliche
Geburt und ehrliches Herkommen, Lehrjahre und Meisterstück sind Vorbedin¬
gungen zum Bürgerrechte. Auch soll der nicht verheirathete sich und andern
zum frommen eine wohlgeläumte Person heirathen. Als Bürger hat er sich
Wehr und Waffe anzuschaffen, einen Krebs, ein Krägel, ein Hirnhäubel und
zwei Harnasch-Handschuhe.

Die Zunft im Ganzen wiederum steht nach Sanctionirung ihrer Ord¬
nung durch den Kaiser unter dem Hansgrasen und den zwölf städtischen
Sitzern des Rathes. Es darf keine Versammlung gehalten werden ohne
Wissen des Rathes.

Aus der langen Reihe allgemein-zünftiger Bestimmungen, welche wie über¬
all die Gesellen-, Concurrenz- und Casfenfragen behandeln, heben wir nur
diejenigen heraus, welche sich aufs Meisterstück beziehen, da in der Ordnung
der Bauhütte von einem Meisterstücke nichts verlautete, und die Wahl des
Meisterstückes nicht ohne Interesse ist.


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[0192] Man hat in vielen größeren Kirchenbauten beobachtet, daß sich Unge- nauigkeiten in den Winkeln und Maßen findet und hat diese mit der Unzu¬ länglichkeit der Maßwerkzeuge zu erklären gesucht. Das mag in vielen Fällen zutreffen; wo aber die Abweichungen z. B. des Chors aus der Längenaxe so deut¬ lich ist wie in der S ebaldkirche zu Nürnberg, dem Dom zu Erfurt, der Stadtkirche zu Wittenberg u. a. müssen wir nach einer anderen Erklärung suchen. Es kommt bei allen diesen Kirchen hinzu, daß das Chor einer an¬ deren Bauzeit angehört als das Schiff. Es ist wohl möglich, daß man mit der alten Längenaxe nicht genau die östliche Richtung getroffen zu haben glaubte und darum absichtlich die Hauptrichtung der Kirche änderte. Möglich auch, daß locale Hindernisse dabei mitgewirkt haben. Jedenfalls dürfte sich verlohnen zu untersuchen, ob nicht die von der ursprünglichen Längenachse abweichenden Theile jüngerer Zeit als der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, in welche Zeit das Bekanntwerden der Magnetnadel fällt, angehören, und ob die neuerdings beliebte Richtung nicht den Ostpunkt genauer trifft als die ursprüngliche. Den Bauhütten gegenüber stehen die zünftigen Steinmetzen unter ihrem „Stadtmeister". Sie sind vielfach, wie wir das bei Tischlern. Malern und Glasern schon früher einmal zeigten, mit anderen ihnen verwandten Hand¬ werkern, den Denkern, Maurern und anderen Bauhandwerkern zu einer Zunft vereinigt. Ein solches Zunftstatut der Steinmetzen, Maurer und Decker 6o anno 1514 (Verhandlungen des hist. Vereins von Oberpfalz und Regensburg XVI. S. 193 f.) zeigt uns das Bild einer richtigen städtischen Zunft. Darum nehmen in ihnen die Verpflichtungen, die der Theilhaber der Ordnung als Bürger der Stadt zu erfüllen hat, eine hervorragende Stellung ein. Eheliche Geburt und ehrliches Herkommen, Lehrjahre und Meisterstück sind Vorbedin¬ gungen zum Bürgerrechte. Auch soll der nicht verheirathete sich und andern zum frommen eine wohlgeläumte Person heirathen. Als Bürger hat er sich Wehr und Waffe anzuschaffen, einen Krebs, ein Krägel, ein Hirnhäubel und zwei Harnasch-Handschuhe. Die Zunft im Ganzen wiederum steht nach Sanctionirung ihrer Ord¬ nung durch den Kaiser unter dem Hansgrasen und den zwölf städtischen Sitzern des Rathes. Es darf keine Versammlung gehalten werden ohne Wissen des Rathes. Aus der langen Reihe allgemein-zünftiger Bestimmungen, welche wie über¬ all die Gesellen-, Concurrenz- und Casfenfragen behandeln, heben wir nur diejenigen heraus, welche sich aufs Meisterstück beziehen, da in der Ordnung der Bauhütte von einem Meisterstücke nichts verlautete, und die Wahl des Meisterstückes nicht ohne Interesse ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/192>, abgerufen am 22.07.2024.