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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Zeichen. Die Ouvertüre wurde sozusagen mit militärischer Strammheit durch¬
geführt; dann hob sich der Vorhang. Der wenig angenehme Eindruck der
unnatürlichen und meistens recht lächerlichen Ungethümsscene, mit welcher die
Zauberflöte beginnt, wird gewöhnlich durch das Erscheinen der drei Damen
der Königin der Nacht rasch verwischt; hier wurde er bedeutend gesteigert:
wie mit einem Zauberschlage sah man sich in die Hexenscene in Macbeth ver-
etzt. Nun, man läßt sich zur Noth auch diese Auffassung gefallen. Nur
machte sich von diesem Standpunkte aus ein gewisser Mangel an Homo¬
genität in dem Terzett bemerkbar. Und richtig, nachher stellte sich heraus, daß
die eine der Damen demselben nur leihweise eingefügt war, sintemalen sie
die Pamina zu singen hatte. Erst nach ihrem Ausscheiden hatte das schwarze
Trifolium seine volle Höhe erreicht, auf welcher es nur noch durch das lichte
Dreigestirn der Genien in Sarastro's Palast übertroffen wurde. In der
That erinnere ich mich nicht, jemals eine so vollendete Kindlichkeit des Ge¬
sanges mit einer solchen Reife an Jahren gepaart gesehen zu haben. --

Man könnte auf diese Weise ein ganzes Kaleidoskop der lustigsten Bilder
zusammenstellen. Ich verzichte darauf und begnüge mich mit der Bemerkung,
daß ich -- und wie mir, ist es Allen ergangen, die ich darüber gesprochen --
das Theater noch nie mit größerer Niedergeschlagenheit verlassen habe -- eine
Wirkung eines Mozartabends, die wahrhaftig ans Unglaubliche grenzt. Man
wird mir entgegenhalten, daß sich von einer einzelnen Aufführung nicht auf
die ganze Saison schließen lasse; aber die Bezeichnung als "Festvorstellung"
giebt ein mehr als ausreichendes Recht, diesen Abend als typisch zu betrachten.
Auch auf die außerordentlichen Schwierigkeiten, mit welchen ein deutsches Theater
im Elsaß zu kämpfen hat, wird man hinweisen; aber dem gegenüber cri nnere
ich an die hohe Subvention. Mit dieser letzteren hat es ohnehin schon seine
Bedenken. Die Vertreter Elsaß-Lothringens im Reichstage erklären: "Wir
wollen kein Theater von euch; wie kommt ihr dazu, uns zur Unterstützung
eines solchen zu zwingen?" Und Thatsache ist, daß das Straßburger Theater
von Eingebornen bisher nur in sehr seltenen Fällen, d. h. fast gar nicht be¬
sucht wird. Wir unsererseits erwidern aber: "Das Theater ist eine noth¬
wendige Bildungsanstalt; deshalb müßt ihr zu seiner Unterhaltung bei¬
tragen." Ueber diese Controverse läßt sich viel hin und her discutiren; nach¬
dem sie aber einmal zu Gunsten unseres Standpunktes entschieden ist, haben
wir auch darauf zu halten, daß das Theater wirklich eine Bildungsanstalt,
wirklich eine Stätte edeln und erhebenden Kunstgenusses sei. Nur unter dieser
Bedingung hat die Subvention überhaupt eine Berechtigung. Die Oper ge¬
nügt jedoch dieser Bedingung ganz entschieden nicht. Wenn die Direktion
etwa behauptet, sie könne bei ihren Einnahmen nichts Besseres leisten, so bin
ich selbstverständlich nicht in der Lage, darüber ein Urtheil abzugeben; aber


Zeichen. Die Ouvertüre wurde sozusagen mit militärischer Strammheit durch¬
geführt; dann hob sich der Vorhang. Der wenig angenehme Eindruck der
unnatürlichen und meistens recht lächerlichen Ungethümsscene, mit welcher die
Zauberflöte beginnt, wird gewöhnlich durch das Erscheinen der drei Damen
der Königin der Nacht rasch verwischt; hier wurde er bedeutend gesteigert:
wie mit einem Zauberschlage sah man sich in die Hexenscene in Macbeth ver-
etzt. Nun, man läßt sich zur Noth auch diese Auffassung gefallen. Nur
machte sich von diesem Standpunkte aus ein gewisser Mangel an Homo¬
genität in dem Terzett bemerkbar. Und richtig, nachher stellte sich heraus, daß
die eine der Damen demselben nur leihweise eingefügt war, sintemalen sie
die Pamina zu singen hatte. Erst nach ihrem Ausscheiden hatte das schwarze
Trifolium seine volle Höhe erreicht, auf welcher es nur noch durch das lichte
Dreigestirn der Genien in Sarastro's Palast übertroffen wurde. In der
That erinnere ich mich nicht, jemals eine so vollendete Kindlichkeit des Ge¬
sanges mit einer solchen Reife an Jahren gepaart gesehen zu haben. —

Man könnte auf diese Weise ein ganzes Kaleidoskop der lustigsten Bilder
zusammenstellen. Ich verzichte darauf und begnüge mich mit der Bemerkung,
daß ich — und wie mir, ist es Allen ergangen, die ich darüber gesprochen —
das Theater noch nie mit größerer Niedergeschlagenheit verlassen habe — eine
Wirkung eines Mozartabends, die wahrhaftig ans Unglaubliche grenzt. Man
wird mir entgegenhalten, daß sich von einer einzelnen Aufführung nicht auf
die ganze Saison schließen lasse; aber die Bezeichnung als „Festvorstellung"
giebt ein mehr als ausreichendes Recht, diesen Abend als typisch zu betrachten.
Auch auf die außerordentlichen Schwierigkeiten, mit welchen ein deutsches Theater
im Elsaß zu kämpfen hat, wird man hinweisen; aber dem gegenüber cri nnere
ich an die hohe Subvention. Mit dieser letzteren hat es ohnehin schon seine
Bedenken. Die Vertreter Elsaß-Lothringens im Reichstage erklären: „Wir
wollen kein Theater von euch; wie kommt ihr dazu, uns zur Unterstützung
eines solchen zu zwingen?" Und Thatsache ist, daß das Straßburger Theater
von Eingebornen bisher nur in sehr seltenen Fällen, d. h. fast gar nicht be¬
sucht wird. Wir unsererseits erwidern aber: „Das Theater ist eine noth¬
wendige Bildungsanstalt; deshalb müßt ihr zu seiner Unterhaltung bei¬
tragen." Ueber diese Controverse läßt sich viel hin und her discutiren; nach¬
dem sie aber einmal zu Gunsten unseres Standpunktes entschieden ist, haben
wir auch darauf zu halten, daß das Theater wirklich eine Bildungsanstalt,
wirklich eine Stätte edeln und erhebenden Kunstgenusses sei. Nur unter dieser
Bedingung hat die Subvention überhaupt eine Berechtigung. Die Oper ge¬
nügt jedoch dieser Bedingung ganz entschieden nicht. Wenn die Direktion
etwa behauptet, sie könne bei ihren Einnahmen nichts Besseres leisten, so bin
ich selbstverständlich nicht in der Lage, darüber ein Urtheil abzugeben; aber


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[0158] Zeichen. Die Ouvertüre wurde sozusagen mit militärischer Strammheit durch¬ geführt; dann hob sich der Vorhang. Der wenig angenehme Eindruck der unnatürlichen und meistens recht lächerlichen Ungethümsscene, mit welcher die Zauberflöte beginnt, wird gewöhnlich durch das Erscheinen der drei Damen der Königin der Nacht rasch verwischt; hier wurde er bedeutend gesteigert: wie mit einem Zauberschlage sah man sich in die Hexenscene in Macbeth ver- etzt. Nun, man läßt sich zur Noth auch diese Auffassung gefallen. Nur machte sich von diesem Standpunkte aus ein gewisser Mangel an Homo¬ genität in dem Terzett bemerkbar. Und richtig, nachher stellte sich heraus, daß die eine der Damen demselben nur leihweise eingefügt war, sintemalen sie die Pamina zu singen hatte. Erst nach ihrem Ausscheiden hatte das schwarze Trifolium seine volle Höhe erreicht, auf welcher es nur noch durch das lichte Dreigestirn der Genien in Sarastro's Palast übertroffen wurde. In der That erinnere ich mich nicht, jemals eine so vollendete Kindlichkeit des Ge¬ sanges mit einer solchen Reife an Jahren gepaart gesehen zu haben. — Man könnte auf diese Weise ein ganzes Kaleidoskop der lustigsten Bilder zusammenstellen. Ich verzichte darauf und begnüge mich mit der Bemerkung, daß ich — und wie mir, ist es Allen ergangen, die ich darüber gesprochen — das Theater noch nie mit größerer Niedergeschlagenheit verlassen habe — eine Wirkung eines Mozartabends, die wahrhaftig ans Unglaubliche grenzt. Man wird mir entgegenhalten, daß sich von einer einzelnen Aufführung nicht auf die ganze Saison schließen lasse; aber die Bezeichnung als „Festvorstellung" giebt ein mehr als ausreichendes Recht, diesen Abend als typisch zu betrachten. Auch auf die außerordentlichen Schwierigkeiten, mit welchen ein deutsches Theater im Elsaß zu kämpfen hat, wird man hinweisen; aber dem gegenüber cri nnere ich an die hohe Subvention. Mit dieser letzteren hat es ohnehin schon seine Bedenken. Die Vertreter Elsaß-Lothringens im Reichstage erklären: „Wir wollen kein Theater von euch; wie kommt ihr dazu, uns zur Unterstützung eines solchen zu zwingen?" Und Thatsache ist, daß das Straßburger Theater von Eingebornen bisher nur in sehr seltenen Fällen, d. h. fast gar nicht be¬ sucht wird. Wir unsererseits erwidern aber: „Das Theater ist eine noth¬ wendige Bildungsanstalt; deshalb müßt ihr zu seiner Unterhaltung bei¬ tragen." Ueber diese Controverse läßt sich viel hin und her discutiren; nach¬ dem sie aber einmal zu Gunsten unseres Standpunktes entschieden ist, haben wir auch darauf zu halten, daß das Theater wirklich eine Bildungsanstalt, wirklich eine Stätte edeln und erhebenden Kunstgenusses sei. Nur unter dieser Bedingung hat die Subvention überhaupt eine Berechtigung. Die Oper ge¬ nügt jedoch dieser Bedingung ganz entschieden nicht. Wenn die Direktion etwa behauptet, sie könne bei ihren Einnahmen nichts Besseres leisten, so bin ich selbstverständlich nicht in der Lage, darüber ein Urtheil abzugeben; aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/158>, abgerufen am 22.07.2024.