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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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kalt zurückgewiesenen Bewerber ohne ihr Zuthun und gegen seinen eignen
Willen immer wieder in ihre Netze zieht. Das war wenigstens meine Em¬
pfindung, als ich mich Mitte September eines schönen Morgens wieder ein¬
mal auf dem Umwege nach Straßburg ertappte.

Im wonnigsten Frühsonnenschein stand die Münsterpyramide da, als ich
aus dem Bahnhof heraustrat. Wie oft hatte ich andachtstrunken zu ihr
hinausgeschaut, wenn in herbstlichen Tagen leichte Nebel sie mit gespenstischem
Schleier umwoben, wenn an klarem Wintermorgen es in der reifbedeckten Or¬
namentik blitzte und glühte, wie im Krystallpalast der Feenwelt, wenn in
lauer Sommernacht das Sternbild der Plejaden in feierlicher Pracht über
dem dunkeln Koloß emporstieg! Und dennoch mußt' ich mir jetzt die Augen
reiben bei dem plötzlichen Anblick und ich war auf dem besten Wege, mich
den poetischsten Empfindungen hinzugeben, wenn nicht das kauderwälsche Ge¬
schrei von ,Mg.i30n rouge", "II6W1 Ä'^riFltitorro", "VigmMo" u. s. w. -- ab
und zu auch in deutscher Uebersetzung -- noch allzusehr an des Lebens rauhe
Wirklichkeit errinnert hätte.

Im "Rothen Haus" war Alles beim Alten. Daß der nach dem Kriege
ganz außerordentlich gestiegene Touristenverkehr noch nicht wesentlich abge¬
nommen hat, kann man gleich beim Eintreten merken. Es scheint den Leuten,
zumal dem Oberkellner und dem Portier, schlechterdings unfaßbar zu sein,
daß das Wirthshaus eigentlich des Gastes wegen und nicht der Gast des
Wirthshauses wegen auf der Welt ist. Und in den meisten anderen Stra߬
burger Gasthöfen ist es nicht besser. Jene entgegenkommende Aufmerksamkeit,
welche man in einem guten Hotel erwartet, habe ich nur in dem größten,
der "Stadt Parks", gefunden. Dies ist auch das einzige, welches auf den
Namen eines Hauses ersten Ranges Anspruch machen kann; die anderen
haben von ihren Pariser Vorbildern nur die Preise angenommen, im Uebrt-
gen sind sie leider gut deutsch-reichsstädtisch geblieben, und zwar in schlimmeren?
Grade, als irgendwo anders. Ich erinnere mich, vor langen Jahren einmal
in Nürnberg in dem bescheidenen, aber eine gute Verpflegung spendenden
"Rothen Hahn" gewohnt zu haben; der wäre seinem reichsstädtischen Her¬
kommen nach ungefähr ein Seitenstück zum "Rebstöckl" und "Rothen Haus,"
nur daß er, trotz seiner dunkeln Gänge, im Vergleich zu diesen holperigen
Labyrinthen ein wahres Juwel von Comfort genannt werden kann. --

Am meisten hat sich in Straßburg während der letzten Jahre die PIM
siognomie der Stadt geändert. Neue Straßen und neue Menschen! Leider
hat sich an letzteren nur gar zu häufig die triviale Klage bewahrheitet, daß
das Neue nicht viel werth sei. Wer die eingewanderte deutsche Gesellschaft ^
vom Beamtenthum abgesehen -- kennen gelernt hat, wie sie vor 2--3 Jahren
war, wird bei einem heutigen Besuche nicht wenig erstaunt sein, so manche


kalt zurückgewiesenen Bewerber ohne ihr Zuthun und gegen seinen eignen
Willen immer wieder in ihre Netze zieht. Das war wenigstens meine Em¬
pfindung, als ich mich Mitte September eines schönen Morgens wieder ein¬
mal auf dem Umwege nach Straßburg ertappte.

Im wonnigsten Frühsonnenschein stand die Münsterpyramide da, als ich
aus dem Bahnhof heraustrat. Wie oft hatte ich andachtstrunken zu ihr
hinausgeschaut, wenn in herbstlichen Tagen leichte Nebel sie mit gespenstischem
Schleier umwoben, wenn an klarem Wintermorgen es in der reifbedeckten Or¬
namentik blitzte und glühte, wie im Krystallpalast der Feenwelt, wenn in
lauer Sommernacht das Sternbild der Plejaden in feierlicher Pracht über
dem dunkeln Koloß emporstieg! Und dennoch mußt' ich mir jetzt die Augen
reiben bei dem plötzlichen Anblick und ich war auf dem besten Wege, mich
den poetischsten Empfindungen hinzugeben, wenn nicht das kauderwälsche Ge¬
schrei von ,Mg.i30n rouge", „II6W1 Ä'^riFltitorro", „VigmMo" u. s. w. — ab
und zu auch in deutscher Uebersetzung — noch allzusehr an des Lebens rauhe
Wirklichkeit errinnert hätte.

Im „Rothen Haus" war Alles beim Alten. Daß der nach dem Kriege
ganz außerordentlich gestiegene Touristenverkehr noch nicht wesentlich abge¬
nommen hat, kann man gleich beim Eintreten merken. Es scheint den Leuten,
zumal dem Oberkellner und dem Portier, schlechterdings unfaßbar zu sein,
daß das Wirthshaus eigentlich des Gastes wegen und nicht der Gast des
Wirthshauses wegen auf der Welt ist. Und in den meisten anderen Stra߬
burger Gasthöfen ist es nicht besser. Jene entgegenkommende Aufmerksamkeit,
welche man in einem guten Hotel erwartet, habe ich nur in dem größten,
der „Stadt Parks", gefunden. Dies ist auch das einzige, welches auf den
Namen eines Hauses ersten Ranges Anspruch machen kann; die anderen
haben von ihren Pariser Vorbildern nur die Preise angenommen, im Uebrt-
gen sind sie leider gut deutsch-reichsstädtisch geblieben, und zwar in schlimmeren?
Grade, als irgendwo anders. Ich erinnere mich, vor langen Jahren einmal
in Nürnberg in dem bescheidenen, aber eine gute Verpflegung spendenden
„Rothen Hahn" gewohnt zu haben; der wäre seinem reichsstädtischen Her¬
kommen nach ungefähr ein Seitenstück zum „Rebstöckl" und „Rothen Haus,"
nur daß er, trotz seiner dunkeln Gänge, im Vergleich zu diesen holperigen
Labyrinthen ein wahres Juwel von Comfort genannt werden kann. —

Am meisten hat sich in Straßburg während der letzten Jahre die PIM
siognomie der Stadt geändert. Neue Straßen und neue Menschen! Leider
hat sich an letzteren nur gar zu häufig die triviale Klage bewahrheitet, daß
das Neue nicht viel werth sei. Wer die eingewanderte deutsche Gesellschaft ^
vom Beamtenthum abgesehen — kennen gelernt hat, wie sie vor 2—3 Jahren
war, wird bei einem heutigen Besuche nicht wenig erstaunt sein, so manche


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[0156] kalt zurückgewiesenen Bewerber ohne ihr Zuthun und gegen seinen eignen Willen immer wieder in ihre Netze zieht. Das war wenigstens meine Em¬ pfindung, als ich mich Mitte September eines schönen Morgens wieder ein¬ mal auf dem Umwege nach Straßburg ertappte. Im wonnigsten Frühsonnenschein stand die Münsterpyramide da, als ich aus dem Bahnhof heraustrat. Wie oft hatte ich andachtstrunken zu ihr hinausgeschaut, wenn in herbstlichen Tagen leichte Nebel sie mit gespenstischem Schleier umwoben, wenn an klarem Wintermorgen es in der reifbedeckten Or¬ namentik blitzte und glühte, wie im Krystallpalast der Feenwelt, wenn in lauer Sommernacht das Sternbild der Plejaden in feierlicher Pracht über dem dunkeln Koloß emporstieg! Und dennoch mußt' ich mir jetzt die Augen reiben bei dem plötzlichen Anblick und ich war auf dem besten Wege, mich den poetischsten Empfindungen hinzugeben, wenn nicht das kauderwälsche Ge¬ schrei von ,Mg.i30n rouge", „II6W1 Ä'^riFltitorro", „VigmMo" u. s. w. — ab und zu auch in deutscher Uebersetzung — noch allzusehr an des Lebens rauhe Wirklichkeit errinnert hätte. Im „Rothen Haus" war Alles beim Alten. Daß der nach dem Kriege ganz außerordentlich gestiegene Touristenverkehr noch nicht wesentlich abge¬ nommen hat, kann man gleich beim Eintreten merken. Es scheint den Leuten, zumal dem Oberkellner und dem Portier, schlechterdings unfaßbar zu sein, daß das Wirthshaus eigentlich des Gastes wegen und nicht der Gast des Wirthshauses wegen auf der Welt ist. Und in den meisten anderen Stra߬ burger Gasthöfen ist es nicht besser. Jene entgegenkommende Aufmerksamkeit, welche man in einem guten Hotel erwartet, habe ich nur in dem größten, der „Stadt Parks", gefunden. Dies ist auch das einzige, welches auf den Namen eines Hauses ersten Ranges Anspruch machen kann; die anderen haben von ihren Pariser Vorbildern nur die Preise angenommen, im Uebrt- gen sind sie leider gut deutsch-reichsstädtisch geblieben, und zwar in schlimmeren? Grade, als irgendwo anders. Ich erinnere mich, vor langen Jahren einmal in Nürnberg in dem bescheidenen, aber eine gute Verpflegung spendenden „Rothen Hahn" gewohnt zu haben; der wäre seinem reichsstädtischen Her¬ kommen nach ungefähr ein Seitenstück zum „Rebstöckl" und „Rothen Haus," nur daß er, trotz seiner dunkeln Gänge, im Vergleich zu diesen holperigen Labyrinthen ein wahres Juwel von Comfort genannt werden kann. — Am meisten hat sich in Straßburg während der letzten Jahre die PIM siognomie der Stadt geändert. Neue Straßen und neue Menschen! Leider hat sich an letzteren nur gar zu häufig die triviale Klage bewahrheitet, daß das Neue nicht viel werth sei. Wer die eingewanderte deutsche Gesellschaft ^ vom Beamtenthum abgesehen — kennen gelernt hat, wie sie vor 2—3 Jahren war, wird bei einem heutigen Besuche nicht wenig erstaunt sein, so manche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/156>, abgerufen am 22.07.2024.