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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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seits auch die Größe und Endlosigkeit des Baues. So wird der Meister be¬
soldet, wie irgend einer der Gesellen; er garantirt nur die Qualität der Aus¬
führung. Geschieht durch seine Schuld an dem Werke ein Schaden, so hat
er dafür auszukommen. Aus der Absicht ein möglichst solides und meister¬
liches Werk zu liefern geht auch die Bestimmung hervor, daß kein Meister
an seinem Werke irgend etwas in Accord geben darf, was gehauenes Stein¬
werk betrifft. Doch Steine- und Kalkbrechen und Sandgräber darf im Tage¬
lohn geschehen oder verdungen werden.

Geht ein Meister mit dem Tode ab, so ist freie Concurrenz aller be¬
fähigten Werkleute gegeben. Wenn aber der neue Meister eintritt und findet
gehauenes Steinwerk vor, es sei versetzt oder noch nicht versetzt, so darf der¬
selbe solch Steinwerk nicht verwerfen oder wieder abheben lassen, damit nicht
unnöthige Kosten entstehen und der Meister, der solch Werk hinterlassen hat,
nicht im Grabe geschmäht werde. -- Das trifft den Punkt, den wir bereits
Eingangs erwähnten, daß nämlich das Mittelalter wenig Verständniß hat für
die einheitliche Durchführung eines Werkes nach einem Style, wenn er auch
durch neue und nicht immer bessere Manieren überholt worden wäre. Da¬
gegen ist der Baumeister gehalten nicht von der von ihm vorgelegten Zeich¬
nung abzugehen -- offenbar in der Absicht verhüten zu wollen, daß die ein¬
gegangenen Contrakte verdunkelt werden und Differenzen entstehen.

Es schließt sich hierin der allgemeine Schutzparagraph gegen unordent¬
liche Concurrenz -- wie er wohl in allen Zunftstatuten gefunden wird. Wer
es ist, er sei Meister oder Geselle, der einem andern Meister, der in dieser
Ordnung der Werkleute ist, und ein Werk inne hat, seinem Werke nachstellt
heimlich oder öffentlich, ohne desselben Meisters Wissen und Willen, derselbe
soll vorgenommen werden, und soll auch kein Meister oder Geselle mit ihm
Gemeinschaft haben, und soll auch kein Geselle in der Ordnung in seine För¬
derung ziehen, solange er das Werk inne hat oder dem eigentlichen Meister
Genugthuung geschieht, dazu auch die verordnete Strafe nicht gezahlt ist. --
Also wie überall Selbsthülfe durch eine Art von Strike. -- Der Meister hat
das Recht Buße aufzuerlegen, die Gesellen dürfen den Meister nicht strafen,
es steht ihnen jedoch frei die Arbeit einzustellen. Auf gleiche Weise werden
unkundige Meister vom Baue entfernt. Höhnte oder schändete ein Meister
den andern mit Worten oder Werken, ohne den Beweis der Wahrheit führen
zu können, der soll vom Bau verwiesen werden. Letztere Bestimmungen kehren
in vielen Variationen wieder, ein Beweis, daß sie nicht überflüssig waren.
Die Hütte ist gleichsam geweihter oder neutraler Boden, auf dem Streit und
Fehde nicht vorkommen dürfen. "Ein jeglicher Meister soll seine Hütte frei
halten, daß darinnen keine Zwietracht geschehe und soll die Hütte frei halten
wie eine Gerichtsstätte."


seits auch die Größe und Endlosigkeit des Baues. So wird der Meister be¬
soldet, wie irgend einer der Gesellen; er garantirt nur die Qualität der Aus¬
führung. Geschieht durch seine Schuld an dem Werke ein Schaden, so hat
er dafür auszukommen. Aus der Absicht ein möglichst solides und meister¬
liches Werk zu liefern geht auch die Bestimmung hervor, daß kein Meister
an seinem Werke irgend etwas in Accord geben darf, was gehauenes Stein¬
werk betrifft. Doch Steine- und Kalkbrechen und Sandgräber darf im Tage¬
lohn geschehen oder verdungen werden.

Geht ein Meister mit dem Tode ab, so ist freie Concurrenz aller be¬
fähigten Werkleute gegeben. Wenn aber der neue Meister eintritt und findet
gehauenes Steinwerk vor, es sei versetzt oder noch nicht versetzt, so darf der¬
selbe solch Steinwerk nicht verwerfen oder wieder abheben lassen, damit nicht
unnöthige Kosten entstehen und der Meister, der solch Werk hinterlassen hat,
nicht im Grabe geschmäht werde. — Das trifft den Punkt, den wir bereits
Eingangs erwähnten, daß nämlich das Mittelalter wenig Verständniß hat für
die einheitliche Durchführung eines Werkes nach einem Style, wenn er auch
durch neue und nicht immer bessere Manieren überholt worden wäre. Da¬
gegen ist der Baumeister gehalten nicht von der von ihm vorgelegten Zeich¬
nung abzugehen — offenbar in der Absicht verhüten zu wollen, daß die ein¬
gegangenen Contrakte verdunkelt werden und Differenzen entstehen.

Es schließt sich hierin der allgemeine Schutzparagraph gegen unordent¬
liche Concurrenz — wie er wohl in allen Zunftstatuten gefunden wird. Wer
es ist, er sei Meister oder Geselle, der einem andern Meister, der in dieser
Ordnung der Werkleute ist, und ein Werk inne hat, seinem Werke nachstellt
heimlich oder öffentlich, ohne desselben Meisters Wissen und Willen, derselbe
soll vorgenommen werden, und soll auch kein Meister oder Geselle mit ihm
Gemeinschaft haben, und soll auch kein Geselle in der Ordnung in seine För¬
derung ziehen, solange er das Werk inne hat oder dem eigentlichen Meister
Genugthuung geschieht, dazu auch die verordnete Strafe nicht gezahlt ist. —
Also wie überall Selbsthülfe durch eine Art von Strike. — Der Meister hat
das Recht Buße aufzuerlegen, die Gesellen dürfen den Meister nicht strafen,
es steht ihnen jedoch frei die Arbeit einzustellen. Auf gleiche Weise werden
unkundige Meister vom Baue entfernt. Höhnte oder schändete ein Meister
den andern mit Worten oder Werken, ohne den Beweis der Wahrheit führen
zu können, der soll vom Bau verwiesen werden. Letztere Bestimmungen kehren
in vielen Variationen wieder, ein Beweis, daß sie nicht überflüssig waren.
Die Hütte ist gleichsam geweihter oder neutraler Boden, auf dem Streit und
Fehde nicht vorkommen dürfen. „Ein jeglicher Meister soll seine Hütte frei
halten, daß darinnen keine Zwietracht geschehe und soll die Hütte frei halten
wie eine Gerichtsstätte."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/154>, abgerufen am 23.07.2024.