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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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fern und mischte'sich selbst gewiß nur selten in dieselben ein. Dabei getrö¬
stete er sich der unerschütterlichen Ueberzeugung, daß er im Besitz des wahren
Christenthums und Anhänger der wahren Kirche sei. da es doch nur eine
Wahrheit geben könne. Dieses starke Bewußtsein von der Zugehörigkeit zu
der einen und alleinigen Kirche, stützte und stärkte er durch die in jahre¬
langem Studium erworbene Erkenntnis, die Lehre der heil. Schrift aus seiner
Seite zu haben. Auch andere Parteien freilich beriefen sich auf dieselbe, aber
nicht mit solcher Entschiedenheit und Ehrlichkeit. Wie hätte sonst der Streit
über das Wesen Gottes, dessen Gegenstand von manchen Seiten schon damals
als unbiblisch erkannt wurde, solche Ausdehnung gewinnen können! Fern
von menschlicher Spitzfindigkeit und philosophischer Voreingenommenheit
stellte Ulfilas das Schriftwort in den Vordergrund. Um aber diesen Hort
des Heils seinen Anhängern zu erhalten, kam er mit naturgemäßer Noth¬
wendigkeit zu dem Entschluß, die Bibel in seine heimische Sprache zu über¬
setzen. Mit dem Plane dazu mag er sich schon als Lector in Constantinopel
getragen haben, aber die Ausführung wurde nicht so rasch bewerkstelligt und
wohl erst in Moslem begonnen. Die gothische Sprache mit ihren volltö¬
nenden, klangreichen Worten besaß zwar einen seltenen Reichthum an Formen
für die verschiedensten Schätzungen der Begriffe zutreffende Bezeichnungen
und eine wunderbare Geschmeidigkeit des Satzbaues, so daß man schwer be¬
greift, wie römische Zeitgenossen den Klang deutscher Rede und deutschen Ge¬
sanges mit dem rauhen Gekrächze wilder Vögel vergleichen konnten. Sie gab
an Fülle, Beweglichkeit und Schönheit der römischen nichts, der griechischen
wenig nach. Aber etwas anderes ist es, ob sich die Sprache eines Volkes in
altgewohnten heimischen Geleisen ohne Zwang dahinbewegt, oder ob sie eine
Menge neuer Ideen in sich aufnehmen und fremder Weise sich anschmiegen
soll. Ehe das dem Ulfilas gelang und so vortrefflich gelang, war manche
Uebung und Erfahrung nöthig, und ohne schöpferisches Talent wäre es ihm
nicht möglich gewesen, sein Volk mit der gelungenen Uebersetzung eines Bu¬
ches zu beschenken, das alles Hohe und Tiefe des Menschengemüthes in
Worte faßt und in der Färbung des Stiles alle Stufen vom einfachen
Ausdrucke bis zum begeisterten Schwunge durchmißt. Hieronymus erklärt sich
einmal über die Weise, wie man übersetzen müsse. Es gebe einen Uebereifer
der Auslegung, bei dem die Anmuth der Rede verloren gehe, und dieser bestehe
in allzu wörtlicher Wiedergabe. Wir beabsichtigen deshalb, sagt er, überall,
wo ein Streit über den Sinn nicht möglich ist, die Eleganz unserer Sprache
zu bewahren. Während aber seine Uebersetzung der Bibel, die Vulgata, sich
einer übermäßigen Feinheit des Lateins nicht rühmen kann, ist bei unserem
gothischen Uebersetzer in völliger Beherrschung seiner Aufgabe eine edele Frei¬
heit vom Buchstaben mit der treuesten Wiedergabe des Sinnes verbunden.


fern und mischte'sich selbst gewiß nur selten in dieselben ein. Dabei getrö¬
stete er sich der unerschütterlichen Ueberzeugung, daß er im Besitz des wahren
Christenthums und Anhänger der wahren Kirche sei. da es doch nur eine
Wahrheit geben könne. Dieses starke Bewußtsein von der Zugehörigkeit zu
der einen und alleinigen Kirche, stützte und stärkte er durch die in jahre¬
langem Studium erworbene Erkenntnis, die Lehre der heil. Schrift aus seiner
Seite zu haben. Auch andere Parteien freilich beriefen sich auf dieselbe, aber
nicht mit solcher Entschiedenheit und Ehrlichkeit. Wie hätte sonst der Streit
über das Wesen Gottes, dessen Gegenstand von manchen Seiten schon damals
als unbiblisch erkannt wurde, solche Ausdehnung gewinnen können! Fern
von menschlicher Spitzfindigkeit und philosophischer Voreingenommenheit
stellte Ulfilas das Schriftwort in den Vordergrund. Um aber diesen Hort
des Heils seinen Anhängern zu erhalten, kam er mit naturgemäßer Noth¬
wendigkeit zu dem Entschluß, die Bibel in seine heimische Sprache zu über¬
setzen. Mit dem Plane dazu mag er sich schon als Lector in Constantinopel
getragen haben, aber die Ausführung wurde nicht so rasch bewerkstelligt und
wohl erst in Moslem begonnen. Die gothische Sprache mit ihren volltö¬
nenden, klangreichen Worten besaß zwar einen seltenen Reichthum an Formen
für die verschiedensten Schätzungen der Begriffe zutreffende Bezeichnungen
und eine wunderbare Geschmeidigkeit des Satzbaues, so daß man schwer be¬
greift, wie römische Zeitgenossen den Klang deutscher Rede und deutschen Ge¬
sanges mit dem rauhen Gekrächze wilder Vögel vergleichen konnten. Sie gab
an Fülle, Beweglichkeit und Schönheit der römischen nichts, der griechischen
wenig nach. Aber etwas anderes ist es, ob sich die Sprache eines Volkes in
altgewohnten heimischen Geleisen ohne Zwang dahinbewegt, oder ob sie eine
Menge neuer Ideen in sich aufnehmen und fremder Weise sich anschmiegen
soll. Ehe das dem Ulfilas gelang und so vortrefflich gelang, war manche
Uebung und Erfahrung nöthig, und ohne schöpferisches Talent wäre es ihm
nicht möglich gewesen, sein Volk mit der gelungenen Uebersetzung eines Bu¬
ches zu beschenken, das alles Hohe und Tiefe des Menschengemüthes in
Worte faßt und in der Färbung des Stiles alle Stufen vom einfachen
Ausdrucke bis zum begeisterten Schwunge durchmißt. Hieronymus erklärt sich
einmal über die Weise, wie man übersetzen müsse. Es gebe einen Uebereifer
der Auslegung, bei dem die Anmuth der Rede verloren gehe, und dieser bestehe
in allzu wörtlicher Wiedergabe. Wir beabsichtigen deshalb, sagt er, überall,
wo ein Streit über den Sinn nicht möglich ist, die Eleganz unserer Sprache
zu bewahren. Während aber seine Uebersetzung der Bibel, die Vulgata, sich
einer übermäßigen Feinheit des Lateins nicht rühmen kann, ist bei unserem
gothischen Uebersetzer in völliger Beherrschung seiner Aufgabe eine edele Frei¬
heit vom Buchstaben mit der treuesten Wiedergabe des Sinnes verbunden.


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[0014] fern und mischte'sich selbst gewiß nur selten in dieselben ein. Dabei getrö¬ stete er sich der unerschütterlichen Ueberzeugung, daß er im Besitz des wahren Christenthums und Anhänger der wahren Kirche sei. da es doch nur eine Wahrheit geben könne. Dieses starke Bewußtsein von der Zugehörigkeit zu der einen und alleinigen Kirche, stützte und stärkte er durch die in jahre¬ langem Studium erworbene Erkenntnis, die Lehre der heil. Schrift aus seiner Seite zu haben. Auch andere Parteien freilich beriefen sich auf dieselbe, aber nicht mit solcher Entschiedenheit und Ehrlichkeit. Wie hätte sonst der Streit über das Wesen Gottes, dessen Gegenstand von manchen Seiten schon damals als unbiblisch erkannt wurde, solche Ausdehnung gewinnen können! Fern von menschlicher Spitzfindigkeit und philosophischer Voreingenommenheit stellte Ulfilas das Schriftwort in den Vordergrund. Um aber diesen Hort des Heils seinen Anhängern zu erhalten, kam er mit naturgemäßer Noth¬ wendigkeit zu dem Entschluß, die Bibel in seine heimische Sprache zu über¬ setzen. Mit dem Plane dazu mag er sich schon als Lector in Constantinopel getragen haben, aber die Ausführung wurde nicht so rasch bewerkstelligt und wohl erst in Moslem begonnen. Die gothische Sprache mit ihren volltö¬ nenden, klangreichen Worten besaß zwar einen seltenen Reichthum an Formen für die verschiedensten Schätzungen der Begriffe zutreffende Bezeichnungen und eine wunderbare Geschmeidigkeit des Satzbaues, so daß man schwer be¬ greift, wie römische Zeitgenossen den Klang deutscher Rede und deutschen Ge¬ sanges mit dem rauhen Gekrächze wilder Vögel vergleichen konnten. Sie gab an Fülle, Beweglichkeit und Schönheit der römischen nichts, der griechischen wenig nach. Aber etwas anderes ist es, ob sich die Sprache eines Volkes in altgewohnten heimischen Geleisen ohne Zwang dahinbewegt, oder ob sie eine Menge neuer Ideen in sich aufnehmen und fremder Weise sich anschmiegen soll. Ehe das dem Ulfilas gelang und so vortrefflich gelang, war manche Uebung und Erfahrung nöthig, und ohne schöpferisches Talent wäre es ihm nicht möglich gewesen, sein Volk mit der gelungenen Uebersetzung eines Bu¬ ches zu beschenken, das alles Hohe und Tiefe des Menschengemüthes in Worte faßt und in der Färbung des Stiles alle Stufen vom einfachen Ausdrucke bis zum begeisterten Schwunge durchmißt. Hieronymus erklärt sich einmal über die Weise, wie man übersetzen müsse. Es gebe einen Uebereifer der Auslegung, bei dem die Anmuth der Rede verloren gehe, und dieser bestehe in allzu wörtlicher Wiedergabe. Wir beabsichtigen deshalb, sagt er, überall, wo ein Streit über den Sinn nicht möglich ist, die Eleganz unserer Sprache zu bewahren. Während aber seine Uebersetzung der Bibel, die Vulgata, sich einer übermäßigen Feinheit des Lateins nicht rühmen kann, ist bei unserem gothischen Uebersetzer in völliger Beherrschung seiner Aufgabe eine edele Frei¬ heit vom Buchstaben mit der treuesten Wiedergabe des Sinnes verbunden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/14>, abgerufen am 26.06.2024.