Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

drei Monate zu früh in die Wochen gekommen, von der Conferenz des
Predigtamtes entsetzt, jetzt aber wieder zu Gnaden angenommen worden ist.

1. October. Heute in Kroll's "Protestantischen Zeitblättern" Folgendes
gelesen: "Aus Baltimore wird gemeldet, daß unter den Mitgliedern der
deutschen Lutheranerkirche eine offne Rebellion ausgebrochen ist. Es haben
sich zwei Parteien gebildet, und beide sprechen den Besitz der Kirche an. Eine
Partei hat von der Kirche Besitz genommen, und da die andere Miene macht,
ihre Feinde mit Gewalt aus dem Heiligthum zu treiben, so hat die erstere
den Stadtmayor um Hülfe angerufen, nämlich um eine Anzahl Polizeidiener,
welche sie im Besitz ihrer Kirche schützen soll." Also allenthalben Parteiung,
Streit und Gewaltthätigkeit! Werde ohne Verzug an Nothert schreiben,
daß -- nun meinetwegen, daß ich krank geworden bin und fürchte, -- was
fürchte? -- schreiben wir, erst in einigen Wochen nach der City zurückkehren
zu können. Nothlüge erlaubt -- vergleiche Schleiermacher.

2. October. Die Gegner des Pastors Hardorf lassen nicht nach. Ich
werde bewogen, Dr. Langstedt einen Besuch zu machen, und hier wurde nach
einigen Umschweifen rundheraus das Verlangen an mich gestellt, als Hebel
bei der Beseitigung des Verhaßten zu dienen. Ich solle, so schlug man vor,
in diesen Tagen bei dem Pfarrer vorsprechen, mich ihm als Theologen vor-'
stellen und um die Erlaubniß bitten, am nächsten Sonntag des Nachmittags
auf seiner Kanzel zu predigen. Gestatte er's, so werde man durch die Zeitung
zum Besuch meiner Predigt einladen und diese ihn ohne Zweifel zu Falle
bringen; lehne er's ab, fo gäbe das einen Grund mehr zur Klage über ihn,
und ich solle dann meinen Vortrag in der reformieren oder der Nosenmüller-
schen Kirche halten. Selbstverständlich hatte ich Mühe, auf die Zumuthung
nicht mit einer unhöflichen Weigerung zu antworten. Ich überwand indeß
meine Entrüstung, zwang mich, die Sache lediglich als weiteres Symptom
dessen anzusehen, woran die kirchlichen Verhältnisse im Westen kranken, und
erwiderte dem Herrn Doctor nur, ich werde mir seinen Vorschlag überlegen
-- was ich denn auch that und noch ein paar Dutzend Jahre thun zu kön¬
nen hoffe.

Vielleicht fände sich inzwischen zur Ausführung des Planes der junge
Prediger bereit, dessen Bekanntschaft ich auf der Fahrt von Cincinnati hierher
machte, und der mir mit größter Unbefangenheit gestand, daß er, wenn es
ihm an Zeit zur Vorbereitung auf den Sonntag fehle, am Sonnabend eine
Predigt von Röhr oder Bretschneider hernehme und als seine Arbeit vortrage.
"Was wissen diese Leute davon", sagte er. "Indeß benutze ich für gewöhn¬
lich nur Predigtentwürfe, von denen ich mir ein paar Sammlungen aus
Deutschland habe besorgen lassen."

3. October. Wenn ich nicht so voll von Zweifel und Verdruß wäre.


drei Monate zu früh in die Wochen gekommen, von der Conferenz des
Predigtamtes entsetzt, jetzt aber wieder zu Gnaden angenommen worden ist.

1. October. Heute in Kroll's „Protestantischen Zeitblättern" Folgendes
gelesen: „Aus Baltimore wird gemeldet, daß unter den Mitgliedern der
deutschen Lutheranerkirche eine offne Rebellion ausgebrochen ist. Es haben
sich zwei Parteien gebildet, und beide sprechen den Besitz der Kirche an. Eine
Partei hat von der Kirche Besitz genommen, und da die andere Miene macht,
ihre Feinde mit Gewalt aus dem Heiligthum zu treiben, so hat die erstere
den Stadtmayor um Hülfe angerufen, nämlich um eine Anzahl Polizeidiener,
welche sie im Besitz ihrer Kirche schützen soll." Also allenthalben Parteiung,
Streit und Gewaltthätigkeit! Werde ohne Verzug an Nothert schreiben,
daß — nun meinetwegen, daß ich krank geworden bin und fürchte, — was
fürchte? — schreiben wir, erst in einigen Wochen nach der City zurückkehren
zu können. Nothlüge erlaubt — vergleiche Schleiermacher.

2. October. Die Gegner des Pastors Hardorf lassen nicht nach. Ich
werde bewogen, Dr. Langstedt einen Besuch zu machen, und hier wurde nach
einigen Umschweifen rundheraus das Verlangen an mich gestellt, als Hebel
bei der Beseitigung des Verhaßten zu dienen. Ich solle, so schlug man vor,
in diesen Tagen bei dem Pfarrer vorsprechen, mich ihm als Theologen vor-'
stellen und um die Erlaubniß bitten, am nächsten Sonntag des Nachmittags
auf seiner Kanzel zu predigen. Gestatte er's, so werde man durch die Zeitung
zum Besuch meiner Predigt einladen und diese ihn ohne Zweifel zu Falle
bringen; lehne er's ab, fo gäbe das einen Grund mehr zur Klage über ihn,
und ich solle dann meinen Vortrag in der reformieren oder der Nosenmüller-
schen Kirche halten. Selbstverständlich hatte ich Mühe, auf die Zumuthung
nicht mit einer unhöflichen Weigerung zu antworten. Ich überwand indeß
meine Entrüstung, zwang mich, die Sache lediglich als weiteres Symptom
dessen anzusehen, woran die kirchlichen Verhältnisse im Westen kranken, und
erwiderte dem Herrn Doctor nur, ich werde mir seinen Vorschlag überlegen
— was ich denn auch that und noch ein paar Dutzend Jahre thun zu kön¬
nen hoffe.

Vielleicht fände sich inzwischen zur Ausführung des Planes der junge
Prediger bereit, dessen Bekanntschaft ich auf der Fahrt von Cincinnati hierher
machte, und der mir mit größter Unbefangenheit gestand, daß er, wenn es
ihm an Zeit zur Vorbereitung auf den Sonntag fehle, am Sonnabend eine
Predigt von Röhr oder Bretschneider hernehme und als seine Arbeit vortrage.
„Was wissen diese Leute davon", sagte er. „Indeß benutze ich für gewöhn¬
lich nur Predigtentwürfe, von denen ich mir ein paar Sammlungen aus
Deutschland habe besorgen lassen."

3. October. Wenn ich nicht so voll von Zweifel und Verdruß wäre.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0064" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133352"/>
          <p xml:id="ID_181" prev="#ID_180"> drei Monate zu früh in die Wochen gekommen, von der Conferenz des<lb/>
Predigtamtes entsetzt, jetzt aber wieder zu Gnaden angenommen worden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_182"> 1. October. Heute in Kroll's &#x201E;Protestantischen Zeitblättern" Folgendes<lb/>
gelesen: &#x201E;Aus Baltimore wird gemeldet, daß unter den Mitgliedern der<lb/>
deutschen Lutheranerkirche eine offne Rebellion ausgebrochen ist. Es haben<lb/>
sich zwei Parteien gebildet, und beide sprechen den Besitz der Kirche an. Eine<lb/>
Partei hat von der Kirche Besitz genommen, und da die andere Miene macht,<lb/>
ihre Feinde mit Gewalt aus dem Heiligthum zu treiben, so hat die erstere<lb/>
den Stadtmayor um Hülfe angerufen, nämlich um eine Anzahl Polizeidiener,<lb/>
welche sie im Besitz ihrer Kirche schützen soll." Also allenthalben Parteiung,<lb/>
Streit und Gewaltthätigkeit! Werde ohne Verzug an Nothert schreiben,<lb/>
daß &#x2014; nun meinetwegen, daß ich krank geworden bin und fürchte, &#x2014; was<lb/>
fürchte? &#x2014; schreiben wir, erst in einigen Wochen nach der City zurückkehren<lb/>
zu können.  Nothlüge erlaubt &#x2014; vergleiche Schleiermacher.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_183"> 2. October. Die Gegner des Pastors Hardorf lassen nicht nach. Ich<lb/>
werde bewogen, Dr. Langstedt einen Besuch zu machen, und hier wurde nach<lb/>
einigen Umschweifen rundheraus das Verlangen an mich gestellt, als Hebel<lb/>
bei der Beseitigung des Verhaßten zu dienen. Ich solle, so schlug man vor,<lb/>
in diesen Tagen bei dem Pfarrer vorsprechen, mich ihm als Theologen vor-'<lb/>
stellen und um die Erlaubniß bitten, am nächsten Sonntag des Nachmittags<lb/>
auf seiner Kanzel zu predigen. Gestatte er's, so werde man durch die Zeitung<lb/>
zum Besuch meiner Predigt einladen und diese ihn ohne Zweifel zu Falle<lb/>
bringen; lehne er's ab, fo gäbe das einen Grund mehr zur Klage über ihn,<lb/>
und ich solle dann meinen Vortrag in der reformieren oder der Nosenmüller-<lb/>
schen Kirche halten. Selbstverständlich hatte ich Mühe, auf die Zumuthung<lb/>
nicht mit einer unhöflichen Weigerung zu antworten. Ich überwand indeß<lb/>
meine Entrüstung, zwang mich, die Sache lediglich als weiteres Symptom<lb/>
dessen anzusehen, woran die kirchlichen Verhältnisse im Westen kranken, und<lb/>
erwiderte dem Herrn Doctor nur, ich werde mir seinen Vorschlag überlegen<lb/>
&#x2014; was ich denn auch that und noch ein paar Dutzend Jahre thun zu kön¬<lb/>
nen hoffe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_184"> Vielleicht fände sich inzwischen zur Ausführung des Planes der junge<lb/>
Prediger bereit, dessen Bekanntschaft ich auf der Fahrt von Cincinnati hierher<lb/>
machte, und der mir mit größter Unbefangenheit gestand, daß er, wenn es<lb/>
ihm an Zeit zur Vorbereitung auf den Sonntag fehle, am Sonnabend eine<lb/>
Predigt von Röhr oder Bretschneider hernehme und als seine Arbeit vortrage.<lb/>
&#x201E;Was wissen diese Leute davon", sagte er. &#x201E;Indeß benutze ich für gewöhn¬<lb/>
lich nur Predigtentwürfe, von denen ich mir ein paar Sammlungen aus<lb/>
Deutschland habe besorgen lassen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_185" next="#ID_186"> 3. October.  Wenn ich nicht so voll von Zweifel und Verdruß wäre.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0064] drei Monate zu früh in die Wochen gekommen, von der Conferenz des Predigtamtes entsetzt, jetzt aber wieder zu Gnaden angenommen worden ist. 1. October. Heute in Kroll's „Protestantischen Zeitblättern" Folgendes gelesen: „Aus Baltimore wird gemeldet, daß unter den Mitgliedern der deutschen Lutheranerkirche eine offne Rebellion ausgebrochen ist. Es haben sich zwei Parteien gebildet, und beide sprechen den Besitz der Kirche an. Eine Partei hat von der Kirche Besitz genommen, und da die andere Miene macht, ihre Feinde mit Gewalt aus dem Heiligthum zu treiben, so hat die erstere den Stadtmayor um Hülfe angerufen, nämlich um eine Anzahl Polizeidiener, welche sie im Besitz ihrer Kirche schützen soll." Also allenthalben Parteiung, Streit und Gewaltthätigkeit! Werde ohne Verzug an Nothert schreiben, daß — nun meinetwegen, daß ich krank geworden bin und fürchte, — was fürchte? — schreiben wir, erst in einigen Wochen nach der City zurückkehren zu können. Nothlüge erlaubt — vergleiche Schleiermacher. 2. October. Die Gegner des Pastors Hardorf lassen nicht nach. Ich werde bewogen, Dr. Langstedt einen Besuch zu machen, und hier wurde nach einigen Umschweifen rundheraus das Verlangen an mich gestellt, als Hebel bei der Beseitigung des Verhaßten zu dienen. Ich solle, so schlug man vor, in diesen Tagen bei dem Pfarrer vorsprechen, mich ihm als Theologen vor-' stellen und um die Erlaubniß bitten, am nächsten Sonntag des Nachmittags auf seiner Kanzel zu predigen. Gestatte er's, so werde man durch die Zeitung zum Besuch meiner Predigt einladen und diese ihn ohne Zweifel zu Falle bringen; lehne er's ab, fo gäbe das einen Grund mehr zur Klage über ihn, und ich solle dann meinen Vortrag in der reformieren oder der Nosenmüller- schen Kirche halten. Selbstverständlich hatte ich Mühe, auf die Zumuthung nicht mit einer unhöflichen Weigerung zu antworten. Ich überwand indeß meine Entrüstung, zwang mich, die Sache lediglich als weiteres Symptom dessen anzusehen, woran die kirchlichen Verhältnisse im Westen kranken, und erwiderte dem Herrn Doctor nur, ich werde mir seinen Vorschlag überlegen — was ich denn auch that und noch ein paar Dutzend Jahre thun zu kön¬ nen hoffe. Vielleicht fände sich inzwischen zur Ausführung des Planes der junge Prediger bereit, dessen Bekanntschaft ich auf der Fahrt von Cincinnati hierher machte, und der mir mit größter Unbefangenheit gestand, daß er, wenn es ihm an Zeit zur Vorbereitung auf den Sonntag fehle, am Sonnabend eine Predigt von Röhr oder Bretschneider hernehme und als seine Arbeit vortrage. „Was wissen diese Leute davon", sagte er. „Indeß benutze ich für gewöhn¬ lich nur Predigtentwürfe, von denen ich mir ein paar Sammlungen aus Deutschland habe besorgen lassen." 3. October. Wenn ich nicht so voll von Zweifel und Verdruß wäre.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/64
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/64>, abgerufen am 06.02.2025.