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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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fort mit Rothwein "getreatet" wurde, den man mit der Mittheilung zu
würzen glaubte, daß Pastor Göbel wegen Störung des Gottesdienstes vom
Friedensrichter um zehn Dollars gestraft und seine Appellation vom Court zu¬
rückgewiesen worden ist.

28. September. Früh halb zehn Uhr wurde ich von Präsident Rie-
meyer zur Kirche abgeholt, um dießmal in ruhiger Luft zu predigen. Die
Versammlung war trotz des Regens, der vom Himmel goß, zahlreich, und
ich scheine gefallen zu haben -- wie Rothert behauptet, allgemein, jedenfalls
aber der von ihm geführten Partei. Wieder macht man mir den Antrag,
von Dayton hierher überzusiedeln und die Obliegenheiten des Pfarrers --
zunächst soll es eine Trauung geben -- bis zur Beendigung der Probepredig¬
ten zu versehen, von denen auch ich noch eine und zwar aus dem Stegreife
zu halten habe. Der Polyp will mich nicht fahren lassen, und ich mußte --
er sah mich dazu mit gar so wohlmeinenden, vertrauensvollen Augen an, der
böse Polyp -- zuletzt einwilligen, schon nächsten Donnerstag nach Cincinnati
zurückzukehren.

29. September. Heute Morgen bei Freund Kroll, der mich zu der
gestrigen Predigt beglückwünscht, und von dem ich höre, daß sich zu der Stelle
nicht weniger als dreizehn Bewerber gemeldet haben, darunter ein gewisser
Gerwig, der im Badenschen Pastor und später Präsident der revolutionären
Ständeversammlung gewesen sein will, ein Doctor Bieler aus Louisville,
der dort als Pfarrer die geistlichen und als Arzt zugleich die leiblichen Inter¬
essen einer Gemeinde wahrnimmt, und der, wenn die Wage Sanct Pauls
ihn zu leichtfertig in Betreff des andern Geschlechts und somit zu leicht befin¬
den sollte, in die andere Schale sein Gewicht als Plattdeutscher legen könnte,
ferner ein Schulmeister Breitfeld, ein beredter Bauer Hermann und schließlich
-- wer hätte an den gedacht? -- der lahme Rechtsgelehrte aus Magdeburg,
den ich bei meinem ersten Besuch in der Pfarre der Johanneskirche kennen ge¬
lernt hatte. Aerzte, Schulmeister, Juristen, Bauern -- was weiß ich noch!
Aber warum denn nicht? Petrus war ein Fischer, Paulus, der Patron der
Gemeinde auf der Walnut Srreet, ein Teppichweber. Wahr und schön, in¬
deß die "europäischen Schrullen" wollen vor dieser Betrachtung doch nicht
weichen, und ich glaube fast, ich passe am Ende doch nicht in diese Gesell¬
schaft, ich passe vielleicht überhaupt nicht nach Amerika.

30. September. Gestern Abend mit der Eisenbahn nach Dayton und
in mein stilles behagliches Häuschen am blauen Miami zurückgekehrt, besuchte
ich heute mit Theodor eine Betstunde der deutschen Methodisten. Es war
nach Dunkelwerden. Wir traten in den von mehren hübschen Lampen er¬
leuchteten Saal des Meetinghauses. Die Kanzel, der Thür gegenüber, war
eine einfache Estrade, unter welcher auf einer kleinen Erhöhung vor einem


fort mit Rothwein „getreatet" wurde, den man mit der Mittheilung zu
würzen glaubte, daß Pastor Göbel wegen Störung des Gottesdienstes vom
Friedensrichter um zehn Dollars gestraft und seine Appellation vom Court zu¬
rückgewiesen worden ist.

28. September. Früh halb zehn Uhr wurde ich von Präsident Rie-
meyer zur Kirche abgeholt, um dießmal in ruhiger Luft zu predigen. Die
Versammlung war trotz des Regens, der vom Himmel goß, zahlreich, und
ich scheine gefallen zu haben — wie Rothert behauptet, allgemein, jedenfalls
aber der von ihm geführten Partei. Wieder macht man mir den Antrag,
von Dayton hierher überzusiedeln und die Obliegenheiten des Pfarrers —
zunächst soll es eine Trauung geben — bis zur Beendigung der Probepredig¬
ten zu versehen, von denen auch ich noch eine und zwar aus dem Stegreife
zu halten habe. Der Polyp will mich nicht fahren lassen, und ich mußte —
er sah mich dazu mit gar so wohlmeinenden, vertrauensvollen Augen an, der
böse Polyp — zuletzt einwilligen, schon nächsten Donnerstag nach Cincinnati
zurückzukehren.

29. September. Heute Morgen bei Freund Kroll, der mich zu der
gestrigen Predigt beglückwünscht, und von dem ich höre, daß sich zu der Stelle
nicht weniger als dreizehn Bewerber gemeldet haben, darunter ein gewisser
Gerwig, der im Badenschen Pastor und später Präsident der revolutionären
Ständeversammlung gewesen sein will, ein Doctor Bieler aus Louisville,
der dort als Pfarrer die geistlichen und als Arzt zugleich die leiblichen Inter¬
essen einer Gemeinde wahrnimmt, und der, wenn die Wage Sanct Pauls
ihn zu leichtfertig in Betreff des andern Geschlechts und somit zu leicht befin¬
den sollte, in die andere Schale sein Gewicht als Plattdeutscher legen könnte,
ferner ein Schulmeister Breitfeld, ein beredter Bauer Hermann und schließlich
— wer hätte an den gedacht? — der lahme Rechtsgelehrte aus Magdeburg,
den ich bei meinem ersten Besuch in der Pfarre der Johanneskirche kennen ge¬
lernt hatte. Aerzte, Schulmeister, Juristen, Bauern — was weiß ich noch!
Aber warum denn nicht? Petrus war ein Fischer, Paulus, der Patron der
Gemeinde auf der Walnut Srreet, ein Teppichweber. Wahr und schön, in¬
deß die „europäischen Schrullen" wollen vor dieser Betrachtung doch nicht
weichen, und ich glaube fast, ich passe am Ende doch nicht in diese Gesell¬
schaft, ich passe vielleicht überhaupt nicht nach Amerika.

30. September. Gestern Abend mit der Eisenbahn nach Dayton und
in mein stilles behagliches Häuschen am blauen Miami zurückgekehrt, besuchte
ich heute mit Theodor eine Betstunde der deutschen Methodisten. Es war
nach Dunkelwerden. Wir traten in den von mehren hübschen Lampen er¬
leuchteten Saal des Meetinghauses. Die Kanzel, der Thür gegenüber, war
eine einfache Estrade, unter welcher auf einer kleinen Erhöhung vor einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/62>, abgerufen am 06.02.2025.