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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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bereit und im Stande erklärt, ihren Wünschen und Hoffnungen Erfüllung zu
gewähren.

Solche Organisation herzustellen, scheint mir, wenigstens in Bezug auf
die industriellen Arbeiter, die wichtigste, aber auch schwierigste Aufgabe der
zukünftigen Gesetzgebung auf socialem Gebiete. Dieselbe kann freilich nur
ihren Zweck erfüllen, wenn sie, vom Staate mit bestimmten Rechten und
Pflichten ausgestattet, nicht nur den Arbeitern Gelegenheit giebt, ihre geselli¬
gen Bedürfnisse zu befriedigen, ihre gemeinsamen Angelegenheiten zu besprechen
und in gesetzlich geordneter Weise selbst zu verwalten, sondern auch Einrich¬
tungen enthält, welche für gewisse Angelegenheiten ein gemeinsames Berather
und Handeln der Arbeitgeber und Arbeitnehmer vorschreiben sowie das An¬
bringen und die Entscheidung von Beschwerden des einen Theiles wider den
anderen möglich machen. Für die ländlichen Arbeiter ist eine solche Institution
weniger nöthig; für diese handelt es sich wesentlich darum, sie als vollberech¬
tigte Glieder in den Verband ihrer Ortsgemeinde aufzunehmen und einzufügen.
Dies kann freilich nur dann ohne Nachtheil geschehen, wenn die Arbeiter
wesentlich die gleichen Interessen mit den angesessenen Grundbesitzern haben, d. h.
wenn sie selbst entweder Grundbesitzer sind oder doch die Aussicht genießen,
es später einmal zu werden. In einem großen Theile Deutschlands ist solches
der Fall und dort hat die Arbeiterfrage für die Landwirthschaft längst ihren
bedrohlichen Charakter verloren.

Möchte es dem deutschen Kaiser beschieden sein, mit demselben Geschick
und Erfolg wie seine Vorfahren, durch großartige, dauernde Schöpfungen die
heutigen socialen Wirren zu einer glücklichen, die Wohlfahrt des ganzen Volkes
verbürgender Lösung zu führen.*)





") Als ich diesen Vortrag bereits niedergeschrieben / kam die Entgegnung Schmoller's auf
die Treitschke'schen Abhandlungen zu meiner Kenntniß. Dieselbe ist in den Hildebrand'sehen
Jahrbüchern (Bd. XXIII und XXlV) und außerdem separat erschienen unter dem Titel "Ueber
einige Grundfragen des Rechts und der Volkswirthschaft. Ein offenes Send¬
schreiben an Hrn. Prof. Dr. H. von Treitschke. Von Gust. Schmoller. Jena bei Maule
1875. Erst diese Schrift ermöglicht eine eingehende Vergleichung der Ansichten beider Männer
über die sociale Frage. Obwohl Schmoller sehr viel milder und günstiger über die Social¬
demokratie urtheilt, als ich es in dem obigen Vortrag gethan, so hat er doch Nichts beigebracht,
was mich in meiner Ansicht erschüttern könnte. Schrn oller hat in seinem Sendschreiben zwar
in manchen Punkten Treitschke siegreich widerlegt, aber auf die Hauptvorwürfe Treitschke's gegen
die Socialdemokratie (nicht gegen den Socialismus im Allgemeinen) ist er nicht näher ein¬
gegangen.

bereit und im Stande erklärt, ihren Wünschen und Hoffnungen Erfüllung zu
gewähren.

Solche Organisation herzustellen, scheint mir, wenigstens in Bezug auf
die industriellen Arbeiter, die wichtigste, aber auch schwierigste Aufgabe der
zukünftigen Gesetzgebung auf socialem Gebiete. Dieselbe kann freilich nur
ihren Zweck erfüllen, wenn sie, vom Staate mit bestimmten Rechten und
Pflichten ausgestattet, nicht nur den Arbeitern Gelegenheit giebt, ihre geselli¬
gen Bedürfnisse zu befriedigen, ihre gemeinsamen Angelegenheiten zu besprechen
und in gesetzlich geordneter Weise selbst zu verwalten, sondern auch Einrich¬
tungen enthält, welche für gewisse Angelegenheiten ein gemeinsames Berather
und Handeln der Arbeitgeber und Arbeitnehmer vorschreiben sowie das An¬
bringen und die Entscheidung von Beschwerden des einen Theiles wider den
anderen möglich machen. Für die ländlichen Arbeiter ist eine solche Institution
weniger nöthig; für diese handelt es sich wesentlich darum, sie als vollberech¬
tigte Glieder in den Verband ihrer Ortsgemeinde aufzunehmen und einzufügen.
Dies kann freilich nur dann ohne Nachtheil geschehen, wenn die Arbeiter
wesentlich die gleichen Interessen mit den angesessenen Grundbesitzern haben, d. h.
wenn sie selbst entweder Grundbesitzer sind oder doch die Aussicht genießen,
es später einmal zu werden. In einem großen Theile Deutschlands ist solches
der Fall und dort hat die Arbeiterfrage für die Landwirthschaft längst ihren
bedrohlichen Charakter verloren.

Möchte es dem deutschen Kaiser beschieden sein, mit demselben Geschick
und Erfolg wie seine Vorfahren, durch großartige, dauernde Schöpfungen die
heutigen socialen Wirren zu einer glücklichen, die Wohlfahrt des ganzen Volkes
verbürgender Lösung zu führen.*)





") Als ich diesen Vortrag bereits niedergeschrieben / kam die Entgegnung Schmoller's auf
die Treitschke'schen Abhandlungen zu meiner Kenntniß. Dieselbe ist in den Hildebrand'sehen
Jahrbüchern (Bd. XXIII und XXlV) und außerdem separat erschienen unter dem Titel „Ueber
einige Grundfragen des Rechts und der Volkswirthschaft. Ein offenes Send¬
schreiben an Hrn. Prof. Dr. H. von Treitschke. Von Gust. Schmoller. Jena bei Maule
1875. Erst diese Schrift ermöglicht eine eingehende Vergleichung der Ansichten beider Männer
über die sociale Frage. Obwohl Schmoller sehr viel milder und günstiger über die Social¬
demokratie urtheilt, als ich es in dem obigen Vortrag gethan, so hat er doch Nichts beigebracht,
was mich in meiner Ansicht erschüttern könnte. Schrn oller hat in seinem Sendschreiben zwar
in manchen Punkten Treitschke siegreich widerlegt, aber auf die Hauptvorwürfe Treitschke's gegen
die Socialdemokratie (nicht gegen den Socialismus im Allgemeinen) ist er nicht näher ein¬
gegangen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/60>, abgerufen am 05.02.2025.