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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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in einer bedauerlichen Unklarheit über die Tragweite ihrer Forderungen, oder
suchen die Menge absichtlich darüber zu täuschen.

Aehnlich wie zum Privateigenthum stehen die Socialisten zur Ehe und
zur Familienge meinsch äst. Sie verlangen, daß alle Kinder in derselben
Weise und auf gemeinsame Kosten erzogen werden; wiederholt haben auch ihre
Vertreter dem Gedanken Ausdruck gegeben, daß die jetzigen festen Bande der
Ehe mit den socialistischen Anschauungen in Widerspruch stehen. In einer
Berliner Versammlung erklärte vor drei Jahren ein Redner, ohne principiellen
Widerspruch zu finden, "im Zukunftsstaat solle nur die Liebe die Verbin¬
dungen der Geschlechter leiten, zwischen dem Eheweib und einer sogenannten
Prostituirten sei nur ein quantitativer Unterschied." In ähnlicher Weise
drückte sich der Präsident des allgemeinen deutschen Arbeitervereins, Hasen-
clever, in derselben Versammlung aus. Die Aufhebung des Privateigenthums
und die gemeinsame Erziehung der Kinder auf Kosten des Staates bedingen
schon an und für sich eine Auflösung der Familienbande, auch wenn nicht
formell die Beseitigung der Ehe und die sogenannte "freie Liebe" proklamirt,
also die Prostitution für die gesetzlich allein zulässige Art der Verbindung bei¬
der Geschlechter erklärt wird.

Nach gewissenhafter Ueberlegung und ohne mich einer Uebertreibung
schuldig zu machen, glaube ich den Satz aufstellen zu dürfen, daß die heutige
Socialdemokratie das Ziel verfolgt, die Grundpfeiler jeder gesellschaftlichen
Ordnung, Religion, Eigenthum und Familie, umzustürzen. Die Mittel, welche
sie zur Erreichung ihrer Zwecke anwendet, sind den letzteren ganz entsprechend;
sie spekulirt auf die niedrigsten Triebe und mächtigsten Leidenschaften der
Menschen, auf Sinnenlust, Habsucht, Neid und Haß. Die socialistischen
Blätter und Agitatoren verkündigen es den Arbeitern immer auf's Neue, daß,
wenn erst die Gesellschaft nach ihren Principien organisirt sei, Niemand mehr
Mangel leiden, Jeder im Ueberfluß leben werde: an allem Elend in der
Welt seien nur die besitzenden Klassen schuld, welche, selbst nichts arbeitend,
vom Schweiße der armen Arbeiter, der weißen Sclaven, sich nährten: mit
den reichen Kapitalisten im Bunde ständen die Fürsten, die Beamten und gesetz¬
gebenden Körperschaften, welche alle kein Interesse und Herz für das eigentliche
Volk besäßen, sondern dasselbe blos in Unwissenheit, Unterwürfigkeit uno
Armuth zurückzuhalten wünschten. Dabei versucht man dem Volke alle auf
das wahrhaft Große und Edle gerichteten Gedanken und Gefühle zu rauben,
dieselben als lächerlich oder verächtlich darstellend.

Die großen Ereignisse in der vaterländischen Geschichte werden als
Thaten tyrannischer, eigensüchtiger Herrscher oder ehrgeiziger Staatsmänner
ausgegeben, welche ein frevelhaftes Spiel mit dem Gut und Blut des Volkes
getrieben haben; dagegen verherrlicht man die Schreckensjahre der ersten


in einer bedauerlichen Unklarheit über die Tragweite ihrer Forderungen, oder
suchen die Menge absichtlich darüber zu täuschen.

Aehnlich wie zum Privateigenthum stehen die Socialisten zur Ehe und
zur Familienge meinsch äst. Sie verlangen, daß alle Kinder in derselben
Weise und auf gemeinsame Kosten erzogen werden; wiederholt haben auch ihre
Vertreter dem Gedanken Ausdruck gegeben, daß die jetzigen festen Bande der
Ehe mit den socialistischen Anschauungen in Widerspruch stehen. In einer
Berliner Versammlung erklärte vor drei Jahren ein Redner, ohne principiellen
Widerspruch zu finden, „im Zukunftsstaat solle nur die Liebe die Verbin¬
dungen der Geschlechter leiten, zwischen dem Eheweib und einer sogenannten
Prostituirten sei nur ein quantitativer Unterschied." In ähnlicher Weise
drückte sich der Präsident des allgemeinen deutschen Arbeitervereins, Hasen-
clever, in derselben Versammlung aus. Die Aufhebung des Privateigenthums
und die gemeinsame Erziehung der Kinder auf Kosten des Staates bedingen
schon an und für sich eine Auflösung der Familienbande, auch wenn nicht
formell die Beseitigung der Ehe und die sogenannte „freie Liebe" proklamirt,
also die Prostitution für die gesetzlich allein zulässige Art der Verbindung bei¬
der Geschlechter erklärt wird.

Nach gewissenhafter Ueberlegung und ohne mich einer Uebertreibung
schuldig zu machen, glaube ich den Satz aufstellen zu dürfen, daß die heutige
Socialdemokratie das Ziel verfolgt, die Grundpfeiler jeder gesellschaftlichen
Ordnung, Religion, Eigenthum und Familie, umzustürzen. Die Mittel, welche
sie zur Erreichung ihrer Zwecke anwendet, sind den letzteren ganz entsprechend;
sie spekulirt auf die niedrigsten Triebe und mächtigsten Leidenschaften der
Menschen, auf Sinnenlust, Habsucht, Neid und Haß. Die socialistischen
Blätter und Agitatoren verkündigen es den Arbeitern immer auf's Neue, daß,
wenn erst die Gesellschaft nach ihren Principien organisirt sei, Niemand mehr
Mangel leiden, Jeder im Ueberfluß leben werde: an allem Elend in der
Welt seien nur die besitzenden Klassen schuld, welche, selbst nichts arbeitend,
vom Schweiße der armen Arbeiter, der weißen Sclaven, sich nährten: mit
den reichen Kapitalisten im Bunde ständen die Fürsten, die Beamten und gesetz¬
gebenden Körperschaften, welche alle kein Interesse und Herz für das eigentliche
Volk besäßen, sondern dasselbe blos in Unwissenheit, Unterwürfigkeit uno
Armuth zurückzuhalten wünschten. Dabei versucht man dem Volke alle auf
das wahrhaft Große und Edle gerichteten Gedanken und Gefühle zu rauben,
dieselben als lächerlich oder verächtlich darstellend.

Die großen Ereignisse in der vaterländischen Geschichte werden als
Thaten tyrannischer, eigensüchtiger Herrscher oder ehrgeiziger Staatsmänner
ausgegeben, welche ein frevelhaftes Spiel mit dem Gut und Blut des Volkes
getrieben haben; dagegen verherrlicht man die Schreckensjahre der ersten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/49>, abgerufen am 06.02.2025.