Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

den linken auf Gcmbloux zurückgehn zu lassen und heute Alles Hieher nach
Wavre in Marsch zu setzen."

So befand sich denn in der Nacht vom 16. zum 17. Juni die preußische
Armee in der eigenthümlichen Lage, in zwei Hälften getheilt zu sein, von
denen die eine geschlagen, die andere aber beinahe unangetastet, kampffähig
und kampfbereit war. Mit jedem Schritt nordwärts mußte sich diese Trennung
mindern, und die Wiedervereinigung der Armee schon am folgenden Tage war
unzweifelhaft. -- Die Verluste waren freilich schmerzlich; sie betrugen etwa
12,000 Mann an Todten und Verwundeten und 15 Geschütze. Doch auch
die Franzosen büßten 11,000 Mann ein; denn in den blutigen Dorfgefechten
steigerte sich die Erbitterung bis zu dem Grade, daß niemand Pardon gab
oder nahm. In voller Schärfe trat der nationale Gegensatz hervor.

Gneisenau's persönlicher Bericht über die Schlacht (ä. 6. Wavre 17. Juni
181S, nachmittags 2 Uhr) schließt mit folgenden Worten: "Nichts ist verloren,
wenn nur Schnelligkeit und Entschlossenheit in die Operationen
gelegt werden. Verlieren wir viele solcher hartnäckigen Schlachten wie die
gestrige, so mochte das numerische Verhältniß in der Zahl der verbündeten
Armeen gegen die seinige noch mehr zu seinem Nachtheil sich ändern. Nur
Beharrlichkeit und Zähigkeit und wir werden wohl zum Ziele ge¬
langen", -- Nachschrift: -- "Der Feldmarschall hat sich sehr der Gefahr aus¬
gesetzt und selbst ein Bataillon in das Dorf Se. Amand geführt. Bei dem
Kavallerie-Angriff wurde sein Pferd durch und durch geschossen; es stürzte
endlich; er kam unter dasselbe und wäre beinahe gefangen worden. Durch
den Sturz sind ihm Schulter und Schenkel erschüttert."

Weiter war aber auch nichts erschüttert an dem Heldengreise, vor Allem
nicht das Herz! -- Mit Jubel begrüßten ihn die Truppen, als er am l7.
den Ritt nach Wavre machte; auch ihr Geist zeigte sich ungebrochen, und
das war die beste Bürgschaft mannhafter Thaten.

Durch den nach Tilly und Wavre befohlenen Rückzug hatte Gneisenau
die Brücken hinter sich abgebrochen; er hatte alle Verbindungen mit dem
Rhein aufgegeben, um noch einmal den Engländern die Hand zum gemein¬
schaftlichen Schlage zu bieten. Napoleon dagegen war in der irrigen Vor¬
stellung befangen, er habe die Hauptmasse der preußischen Armee derart ge¬
schlagen, daß sie in, diesem Feldzuge angrifföweise nicht mehr aufzutreten ver¬
möge. Er war überzeugt, Blücher habe den Rückzug seiner Truppen auf
Namur oder Lüttich dirigirt. Die Möglichkeit, daß diese sich statt nach Osten
auszuweichen, nordwestwärts den Engländern näherten, kam dem Kaiser gar
nicht in den Sinn. Nicht einmal eine einzige Patrouille wurde in der Rich¬
tung auf Tilly oder Wavre vorgesendet. -- Unter solchen Umständen, meinte
er, dränge ihn gegen die Engländer nichts zur Eile, und da der 17. Juni


den linken auf Gcmbloux zurückgehn zu lassen und heute Alles Hieher nach
Wavre in Marsch zu setzen."

So befand sich denn in der Nacht vom 16. zum 17. Juni die preußische
Armee in der eigenthümlichen Lage, in zwei Hälften getheilt zu sein, von
denen die eine geschlagen, die andere aber beinahe unangetastet, kampffähig
und kampfbereit war. Mit jedem Schritt nordwärts mußte sich diese Trennung
mindern, und die Wiedervereinigung der Armee schon am folgenden Tage war
unzweifelhaft. — Die Verluste waren freilich schmerzlich; sie betrugen etwa
12,000 Mann an Todten und Verwundeten und 15 Geschütze. Doch auch
die Franzosen büßten 11,000 Mann ein; denn in den blutigen Dorfgefechten
steigerte sich die Erbitterung bis zu dem Grade, daß niemand Pardon gab
oder nahm. In voller Schärfe trat der nationale Gegensatz hervor.

Gneisenau's persönlicher Bericht über die Schlacht (ä. 6. Wavre 17. Juni
181S, nachmittags 2 Uhr) schließt mit folgenden Worten: „Nichts ist verloren,
wenn nur Schnelligkeit und Entschlossenheit in die Operationen
gelegt werden. Verlieren wir viele solcher hartnäckigen Schlachten wie die
gestrige, so mochte das numerische Verhältniß in der Zahl der verbündeten
Armeen gegen die seinige noch mehr zu seinem Nachtheil sich ändern. Nur
Beharrlichkeit und Zähigkeit und wir werden wohl zum Ziele ge¬
langen", — Nachschrift: — „Der Feldmarschall hat sich sehr der Gefahr aus¬
gesetzt und selbst ein Bataillon in das Dorf Se. Amand geführt. Bei dem
Kavallerie-Angriff wurde sein Pferd durch und durch geschossen; es stürzte
endlich; er kam unter dasselbe und wäre beinahe gefangen worden. Durch
den Sturz sind ihm Schulter und Schenkel erschüttert."

Weiter war aber auch nichts erschüttert an dem Heldengreise, vor Allem
nicht das Herz! — Mit Jubel begrüßten ihn die Truppen, als er am l7.
den Ritt nach Wavre machte; auch ihr Geist zeigte sich ungebrochen, und
das war die beste Bürgschaft mannhafter Thaten.

Durch den nach Tilly und Wavre befohlenen Rückzug hatte Gneisenau
die Brücken hinter sich abgebrochen; er hatte alle Verbindungen mit dem
Rhein aufgegeben, um noch einmal den Engländern die Hand zum gemein¬
schaftlichen Schlage zu bieten. Napoleon dagegen war in der irrigen Vor¬
stellung befangen, er habe die Hauptmasse der preußischen Armee derart ge¬
schlagen, daß sie in, diesem Feldzuge angrifföweise nicht mehr aufzutreten ver¬
möge. Er war überzeugt, Blücher habe den Rückzug seiner Truppen auf
Namur oder Lüttich dirigirt. Die Möglichkeit, daß diese sich statt nach Osten
auszuweichen, nordwestwärts den Engländern näherten, kam dem Kaiser gar
nicht in den Sinn. Nicht einmal eine einzige Patrouille wurde in der Rich¬
tung auf Tilly oder Wavre vorgesendet. — Unter solchen Umständen, meinte
er, dränge ihn gegen die Engländer nichts zur Eile, und da der 17. Juni


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0458" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133746"/>
          <p xml:id="ID_1485" prev="#ID_1484"> den linken auf Gcmbloux zurückgehn zu lassen und heute Alles Hieher nach<lb/>
Wavre in Marsch zu setzen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1486"> So befand sich denn in der Nacht vom 16. zum 17. Juni die preußische<lb/>
Armee in der eigenthümlichen Lage, in zwei Hälften getheilt zu sein, von<lb/>
denen die eine geschlagen, die andere aber beinahe unangetastet, kampffähig<lb/>
und kampfbereit war. Mit jedem Schritt nordwärts mußte sich diese Trennung<lb/>
mindern, und die Wiedervereinigung der Armee schon am folgenden Tage war<lb/>
unzweifelhaft. &#x2014; Die Verluste waren freilich schmerzlich; sie betrugen etwa<lb/>
12,000 Mann an Todten und Verwundeten und 15 Geschütze. Doch auch<lb/>
die Franzosen büßten 11,000 Mann ein; denn in den blutigen Dorfgefechten<lb/>
steigerte sich die Erbitterung bis zu dem Grade, daß niemand Pardon gab<lb/>
oder nahm.  In voller Schärfe trat der nationale Gegensatz hervor.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1487"> Gneisenau's persönlicher Bericht über die Schlacht (ä. 6. Wavre 17. Juni<lb/>
181S, nachmittags 2 Uhr) schließt mit folgenden Worten: &#x201E;Nichts ist verloren,<lb/>
wenn nur Schnelligkeit und Entschlossenheit in die Operationen<lb/>
gelegt werden. Verlieren wir viele solcher hartnäckigen Schlachten wie die<lb/>
gestrige, so mochte das numerische Verhältniß in der Zahl der verbündeten<lb/>
Armeen gegen die seinige noch mehr zu seinem Nachtheil sich ändern. Nur<lb/>
Beharrlichkeit und Zähigkeit und wir werden wohl zum Ziele ge¬<lb/>
langen", &#x2014; Nachschrift: &#x2014; &#x201E;Der Feldmarschall hat sich sehr der Gefahr aus¬<lb/>
gesetzt und selbst ein Bataillon in das Dorf Se. Amand geführt. Bei dem<lb/>
Kavallerie-Angriff wurde sein Pferd durch und durch geschossen; es stürzte<lb/>
endlich; er kam unter dasselbe und wäre beinahe gefangen worden. Durch<lb/>
den Sturz sind ihm Schulter und Schenkel erschüttert."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1488"> Weiter war aber auch nichts erschüttert an dem Heldengreise, vor Allem<lb/>
nicht das Herz! &#x2014; Mit Jubel begrüßten ihn die Truppen, als er am l7.<lb/>
den Ritt nach Wavre machte; auch ihr Geist zeigte sich ungebrochen, und<lb/>
das war die beste Bürgschaft mannhafter Thaten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1489" next="#ID_1490"> Durch den nach Tilly und Wavre befohlenen Rückzug hatte Gneisenau<lb/>
die Brücken hinter sich abgebrochen; er hatte alle Verbindungen mit dem<lb/>
Rhein aufgegeben, um noch einmal den Engländern die Hand zum gemein¬<lb/>
schaftlichen Schlage zu bieten. Napoleon dagegen war in der irrigen Vor¬<lb/>
stellung befangen, er habe die Hauptmasse der preußischen Armee derart ge¬<lb/>
schlagen, daß sie in, diesem Feldzuge angrifföweise nicht mehr aufzutreten ver¬<lb/>
möge. Er war überzeugt, Blücher habe den Rückzug seiner Truppen auf<lb/>
Namur oder Lüttich dirigirt. Die Möglichkeit, daß diese sich statt nach Osten<lb/>
auszuweichen, nordwestwärts den Engländern näherten, kam dem Kaiser gar<lb/>
nicht in den Sinn. Nicht einmal eine einzige Patrouille wurde in der Rich¬<lb/>
tung auf Tilly oder Wavre vorgesendet. &#x2014; Unter solchen Umständen, meinte<lb/>
er, dränge ihn gegen die Engländer nichts zur Eile, und da der 17. Juni</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0458] den linken auf Gcmbloux zurückgehn zu lassen und heute Alles Hieher nach Wavre in Marsch zu setzen." So befand sich denn in der Nacht vom 16. zum 17. Juni die preußische Armee in der eigenthümlichen Lage, in zwei Hälften getheilt zu sein, von denen die eine geschlagen, die andere aber beinahe unangetastet, kampffähig und kampfbereit war. Mit jedem Schritt nordwärts mußte sich diese Trennung mindern, und die Wiedervereinigung der Armee schon am folgenden Tage war unzweifelhaft. — Die Verluste waren freilich schmerzlich; sie betrugen etwa 12,000 Mann an Todten und Verwundeten und 15 Geschütze. Doch auch die Franzosen büßten 11,000 Mann ein; denn in den blutigen Dorfgefechten steigerte sich die Erbitterung bis zu dem Grade, daß niemand Pardon gab oder nahm. In voller Schärfe trat der nationale Gegensatz hervor. Gneisenau's persönlicher Bericht über die Schlacht (ä. 6. Wavre 17. Juni 181S, nachmittags 2 Uhr) schließt mit folgenden Worten: „Nichts ist verloren, wenn nur Schnelligkeit und Entschlossenheit in die Operationen gelegt werden. Verlieren wir viele solcher hartnäckigen Schlachten wie die gestrige, so mochte das numerische Verhältniß in der Zahl der verbündeten Armeen gegen die seinige noch mehr zu seinem Nachtheil sich ändern. Nur Beharrlichkeit und Zähigkeit und wir werden wohl zum Ziele ge¬ langen", — Nachschrift: — „Der Feldmarschall hat sich sehr der Gefahr aus¬ gesetzt und selbst ein Bataillon in das Dorf Se. Amand geführt. Bei dem Kavallerie-Angriff wurde sein Pferd durch und durch geschossen; es stürzte endlich; er kam unter dasselbe und wäre beinahe gefangen worden. Durch den Sturz sind ihm Schulter und Schenkel erschüttert." Weiter war aber auch nichts erschüttert an dem Heldengreise, vor Allem nicht das Herz! — Mit Jubel begrüßten ihn die Truppen, als er am l7. den Ritt nach Wavre machte; auch ihr Geist zeigte sich ungebrochen, und das war die beste Bürgschaft mannhafter Thaten. Durch den nach Tilly und Wavre befohlenen Rückzug hatte Gneisenau die Brücken hinter sich abgebrochen; er hatte alle Verbindungen mit dem Rhein aufgegeben, um noch einmal den Engländern die Hand zum gemein¬ schaftlichen Schlage zu bieten. Napoleon dagegen war in der irrigen Vor¬ stellung befangen, er habe die Hauptmasse der preußischen Armee derart ge¬ schlagen, daß sie in, diesem Feldzuge angrifföweise nicht mehr aufzutreten ver¬ möge. Er war überzeugt, Blücher habe den Rückzug seiner Truppen auf Namur oder Lüttich dirigirt. Die Möglichkeit, daß diese sich statt nach Osten auszuweichen, nordwestwärts den Engländern näherten, kam dem Kaiser gar nicht in den Sinn. Nicht einmal eine einzige Patrouille wurde in der Rich¬ tung auf Tilly oder Wavre vorgesendet. — Unter solchen Umständen, meinte er, dränge ihn gegen die Engländer nichts zur Eile, und da der 17. Juni

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/458
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/458>, abgerufen am 06.02.2025.