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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Laster befreiende Lehre leidet und stirbt und die Arme uns öffnet, um an
seinem Herzen Trost in Leiden zu suchen.

Wie könnte ich den Uebergang zur christlichen Kunst schöner finden, als
in diesem, von der heidnisch-religiösen Kunst sich so tief und merkwürdig
unterscheidenden Bilde.

Fragen wir jedoch zunächst: wie unterscheidet sich die religiöse von der
profanen Kunst? Streng genommen sollte es keinen Unterschied geben, da
es nur "eine" Kunst dem Wesen nach giebt. Analog wäre die Frage erlaubt,
wie unterscheidet man die religiöse Wahrheit von der profanen? Gut, Wahr
und Schön ist das Wesen des Göttlichen und so ist eine profane Wahrheit
und profane Kunst, wenn sie dem Ideal entspricht, auch göttlich und religiös
Was der Meister des strengsten Styles, Cornelius, zeichnete, hat durchweg
den Ausdruck der tiefsten Religiosität. Grade dieser Meister, der auch in
Worten und Versen gewandt war, rief seinen Collegen zu, daß er nach "der
Kunst" getrachtet, aber "die Künste" verachtet habe.

Wie heute aber die Sachen liegen, müssen wir den Unterschied von reli¬
giös und profan festhalten. Die religiöse Kunst hat, wie schon bemerkt, ihren
Inhalt in den Beziehungen des Menschen und der Welt zu Gott und kann
und darf also nur das "Bedeutendste" ausdrücken, zu dessen Erfassen und
Ahnen wir befähigt sind. Auch die Ausdrucksweise muß dem Inhalte ent¬
sprechen und mithin sowohl die ewig gültigen Gesetze der Stylisirung befolgen
als den Glanz der vorzüglichsten Technik anstreben; denn, indem wir Gott
dienen und uns zu ihm aufschwingen wollen, müssen wir unsere Arbeit zur
höchsten Vollendung bringen, damit sie Gott wohlgefällig ist und der Spruch
Christi zur Wahrheit wird: "Seid heilig, wie euer Vater im Himmel heilig
ist". In der Kindheit der Menschheit, als noch das Können sehr beschränkt,
das Suchen des Ewigen aber oft stärker als in unserer Zeit sich geltend
machte, da verehrte man die Formen, welche die ewig gültigen Gesetze der
Harmonie bekundeten als Symbole Gottes, Noch heute ist das gleichseitige
Dreieck das Symbol Gottes und lange vor der Verehrung der heiligen Drei¬
faltigkeit hielt man den Dreiklang oder Dreipaß und die Gesetze der Kreis¬
eintheilung als Symbole der göttlichen Ordnung für verehrungswürdig. So
sind die Palmette und die Lotusblume mehr wie einfache Zierformen; sie sind
es erst geworden als ihre religiöse Symbolik vergessen wurde und die Orna¬
mentik aus den Tempelhallen auch in die Paläste einzog.

Die profane Kunst ist also nur der Gegensatz zur kirchlichen Kunst, ohne
daß sie den Gegensatz zum Erhabenen und Göttlichen auszudrücken hat, denn



') Als ein bescheidenes Beispiel möge Folgendes dienen: Ein Domherr aus R. sah
einige von mir componirte Tischdecken und erklärte, daß die strenge Stylisirung derselben ihn
veranlasse, diese Leinenzeuge als Altardecken zu verwenden.

Laster befreiende Lehre leidet und stirbt und die Arme uns öffnet, um an
seinem Herzen Trost in Leiden zu suchen.

Wie könnte ich den Uebergang zur christlichen Kunst schöner finden, als
in diesem, von der heidnisch-religiösen Kunst sich so tief und merkwürdig
unterscheidenden Bilde.

Fragen wir jedoch zunächst: wie unterscheidet sich die religiöse von der
profanen Kunst? Streng genommen sollte es keinen Unterschied geben, da
es nur „eine" Kunst dem Wesen nach giebt. Analog wäre die Frage erlaubt,
wie unterscheidet man die religiöse Wahrheit von der profanen? Gut, Wahr
und Schön ist das Wesen des Göttlichen und so ist eine profane Wahrheit
und profane Kunst, wenn sie dem Ideal entspricht, auch göttlich und religiös
Was der Meister des strengsten Styles, Cornelius, zeichnete, hat durchweg
den Ausdruck der tiefsten Religiosität. Grade dieser Meister, der auch in
Worten und Versen gewandt war, rief seinen Collegen zu, daß er nach „der
Kunst" getrachtet, aber „die Künste" verachtet habe.

Wie heute aber die Sachen liegen, müssen wir den Unterschied von reli¬
giös und profan festhalten. Die religiöse Kunst hat, wie schon bemerkt, ihren
Inhalt in den Beziehungen des Menschen und der Welt zu Gott und kann
und darf also nur das „Bedeutendste" ausdrücken, zu dessen Erfassen und
Ahnen wir befähigt sind. Auch die Ausdrucksweise muß dem Inhalte ent¬
sprechen und mithin sowohl die ewig gültigen Gesetze der Stylisirung befolgen
als den Glanz der vorzüglichsten Technik anstreben; denn, indem wir Gott
dienen und uns zu ihm aufschwingen wollen, müssen wir unsere Arbeit zur
höchsten Vollendung bringen, damit sie Gott wohlgefällig ist und der Spruch
Christi zur Wahrheit wird: „Seid heilig, wie euer Vater im Himmel heilig
ist". In der Kindheit der Menschheit, als noch das Können sehr beschränkt,
das Suchen des Ewigen aber oft stärker als in unserer Zeit sich geltend
machte, da verehrte man die Formen, welche die ewig gültigen Gesetze der
Harmonie bekundeten als Symbole Gottes, Noch heute ist das gleichseitige
Dreieck das Symbol Gottes und lange vor der Verehrung der heiligen Drei¬
faltigkeit hielt man den Dreiklang oder Dreipaß und die Gesetze der Kreis¬
eintheilung als Symbole der göttlichen Ordnung für verehrungswürdig. So
sind die Palmette und die Lotusblume mehr wie einfache Zierformen; sie sind
es erst geworden als ihre religiöse Symbolik vergessen wurde und die Orna¬
mentik aus den Tempelhallen auch in die Paläste einzog.

Die profane Kunst ist also nur der Gegensatz zur kirchlichen Kunst, ohne
daß sie den Gegensatz zum Erhabenen und Göttlichen auszudrücken hat, denn



') Als ein bescheidenes Beispiel möge Folgendes dienen: Ein Domherr aus R. sah
einige von mir componirte Tischdecken und erklärte, daß die strenge Stylisirung derselben ihn
veranlasse, diese Leinenzeuge als Altardecken zu verwenden.
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[0422] Laster befreiende Lehre leidet und stirbt und die Arme uns öffnet, um an seinem Herzen Trost in Leiden zu suchen. Wie könnte ich den Uebergang zur christlichen Kunst schöner finden, als in diesem, von der heidnisch-religiösen Kunst sich so tief und merkwürdig unterscheidenden Bilde. Fragen wir jedoch zunächst: wie unterscheidet sich die religiöse von der profanen Kunst? Streng genommen sollte es keinen Unterschied geben, da es nur „eine" Kunst dem Wesen nach giebt. Analog wäre die Frage erlaubt, wie unterscheidet man die religiöse Wahrheit von der profanen? Gut, Wahr und Schön ist das Wesen des Göttlichen und so ist eine profane Wahrheit und profane Kunst, wenn sie dem Ideal entspricht, auch göttlich und religiös Was der Meister des strengsten Styles, Cornelius, zeichnete, hat durchweg den Ausdruck der tiefsten Religiosität. Grade dieser Meister, der auch in Worten und Versen gewandt war, rief seinen Collegen zu, daß er nach „der Kunst" getrachtet, aber „die Künste" verachtet habe. Wie heute aber die Sachen liegen, müssen wir den Unterschied von reli¬ giös und profan festhalten. Die religiöse Kunst hat, wie schon bemerkt, ihren Inhalt in den Beziehungen des Menschen und der Welt zu Gott und kann und darf also nur das „Bedeutendste" ausdrücken, zu dessen Erfassen und Ahnen wir befähigt sind. Auch die Ausdrucksweise muß dem Inhalte ent¬ sprechen und mithin sowohl die ewig gültigen Gesetze der Stylisirung befolgen als den Glanz der vorzüglichsten Technik anstreben; denn, indem wir Gott dienen und uns zu ihm aufschwingen wollen, müssen wir unsere Arbeit zur höchsten Vollendung bringen, damit sie Gott wohlgefällig ist und der Spruch Christi zur Wahrheit wird: „Seid heilig, wie euer Vater im Himmel heilig ist". In der Kindheit der Menschheit, als noch das Können sehr beschränkt, das Suchen des Ewigen aber oft stärker als in unserer Zeit sich geltend machte, da verehrte man die Formen, welche die ewig gültigen Gesetze der Harmonie bekundeten als Symbole Gottes, Noch heute ist das gleichseitige Dreieck das Symbol Gottes und lange vor der Verehrung der heiligen Drei¬ faltigkeit hielt man den Dreiklang oder Dreipaß und die Gesetze der Kreis¬ eintheilung als Symbole der göttlichen Ordnung für verehrungswürdig. So sind die Palmette und die Lotusblume mehr wie einfache Zierformen; sie sind es erst geworden als ihre religiöse Symbolik vergessen wurde und die Orna¬ mentik aus den Tempelhallen auch in die Paläste einzog. Die profane Kunst ist also nur der Gegensatz zur kirchlichen Kunst, ohne daß sie den Gegensatz zum Erhabenen und Göttlichen auszudrücken hat, denn ') Als ein bescheidenes Beispiel möge Folgendes dienen: Ein Domherr aus R. sah einige von mir componirte Tischdecken und erklärte, daß die strenge Stylisirung derselben ihn veranlasse, diese Leinenzeuge als Altardecken zu verwenden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/422>, abgerufen am 06.02.2025.