Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.aber schlingt sich deutlich fühlbar der Faden, der die nordische Poesie noch mit So erklärt sich vielleicht auch die sonderbare Erfahrung, daß, während Es gab eine Zeit in der ersten Hälfte unsres Jahrhunderts, als die Jetzt wird in unsern höhern Schulen der Inhalt des Mahabarata und Seit 1872 besitzen wir in der Bearbeitung von Werner Hahn einen Jetzt ist die gesegnete Zeit, wo der Deutsche sich seiner Machtstellung nach Fragt die Edda, sie sagt es Euch! Sie erschließt wie kein andres Werk Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig. Verlag von K. L- Heldin in Leipzig, -- Druck von Hnthel 6, Herrmann in Leipzig- aber schlingt sich deutlich fühlbar der Faden, der die nordische Poesie noch mit So erklärt sich vielleicht auch die sonderbare Erfahrung, daß, während Es gab eine Zeit in der ersten Hälfte unsres Jahrhunderts, als die Jetzt wird in unsern höhern Schulen der Inhalt des Mahabarata und Seit 1872 besitzen wir in der Bearbeitung von Werner Hahn einen Jetzt ist die gesegnete Zeit, wo der Deutsche sich seiner Machtstellung nach Fragt die Edda, sie sagt es Euch! Sie erschließt wie kein andres Werk Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig. Verlag von K. L- Heldin in Leipzig, — Druck von Hnthel 6, Herrmann in Leipzig- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0404" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133692"/> <p xml:id="ID_1293" prev="#ID_1292"> aber schlingt sich deutlich fühlbar der Faden, der die nordische Poesie noch mit<lb/> der Götterdichtung unsrer Ahnen verknüpft. Bald erinnert nur eine eigen¬<lb/> thümliche Naturauffassung, dann ein Anrufen der alten Helden daran, dann<lb/> wieder ist der Grundgedanke einer Romanze oder Ballade der Mythologie<lb/> entnommen. Wassermänner und Frauen, Schneekönigin, Kobolde steigen auf<lb/> und könnten durch ihre Menge erschrecken, sie sind' jedoch zum Glück nicht<lb/> verschwimmende Mondschein-Nachtfiguren in Tiek'scher Weise, sondern im<lb/> Bösen und Guten kräftig und individuell gehalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1294"> So erklärt sich vielleicht auch die sonderbare Erfahrung, daß, während<lb/> die deutschen Dichter in geistvoller Naturreligion auch unsre neusten Roman-<lb/> und Novellenschriftsteller' in ihrem großartigen Pantheismus den Dänen<lb/> Heiberg und seine Frühlings-Phantasie, Gottesdienst, an Bedeutung und Ur¬<lb/> sprünglichkeit der Gedanken bei weitem überragen, ihre Schöpfungen doch an<lb/> eigentlicher Volkstümlichkeit im Allgemeinen gegen ihre nordischen Brüder<lb/> zurück stehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1295"> Es gab eine Zeit in der ersten Hälfte unsres Jahrhunderts, als die<lb/> Poesie unter dem Einfluß Uhland's zur Volkstümlichkeit zurückkehrte. Uhland<lb/> entdeckte gleichsam von Neuem den lebenden Artern unsrer Poesie, er führte<lb/> Bilder und Anschauungen der alten Germanen seiner Zeit vor, und glücklicher<lb/> als Klopstock, der einst dasselbe versucht, wußte er die Gedanken der Mytho¬<lb/> logie dem modernen Deutschland so zu geben, daß sie verstanden wurden-<lb/> Nach ihm und seiner Schule aber erlosch wieder das Verständniß für den<lb/> altdeutschen Sagenstoff.</p><lb/> <p xml:id="ID_1296"> Jetzt wird in unsern höhern Schulen der Inhalt des Mahabarata und<lb/> Ramajana kennen gelernt, unsre Volksschullehrer machen sich darauf gefaßt,<lb/> beim Examen möglicher Weise Auskunft über das Königsbuch Schahname<lb/> oder über die metaphysische Lehre des Alfanabt geben zu müssen, unser eigenstes<lb/> Eigenthum, den Mythus unsres Volkes, die Edda dagegen, kennen die Meisten<lb/> nur vom Hörensagen. Bis vor wenig Jahren freilich fehlte es an einer allen<lb/> verständlichen Uebersetzung; Simrock hatte den Versuch allerdings gemacht, die<lb/> vergessenen Gesänge dem Volke wieder zu erwecken, er war gescheitert.</p><lb/> <p xml:id="ID_1297"> Seit 1872 besitzen wir in der Bearbeitung von Werner Hahn einen<lb/> Kreis von Eddagesängen, der uns die geheimnißvolle, tiefinnerliche Gedanken-<lb/> und Gefühlswelt unsrer Ur-Väter in schöner Klarheit erschließt. Eine Ein¬<lb/> leitung voll warmer Begeisterung für seinen Stoff weist uns auf den Ge¬<lb/> sichtspunkt, von dem aus der berühmte Literaturhistoriker sein Werk erfaßt<lb/> sehen will, zahlreiche und eingehende Erläuterungen helfen auch dem weniger<lb/> Eingeweihten zum Verständniß unsrer alten Poesie.</p><lb/> <p xml:id="ID_1298"> Jetzt ist die gesegnete Zeit, wo der Deutsche sich seiner Machtstellung nach<lb/> außen, seiner geistigen Unabhängigkeit nach innen wieder bewußt geworden, und<lb/> welcher Deutsche, der sich dessen bewußt geworden, stimmte nicht freudig<lb/> ein in den Feldruf: „Hie Waldungen," beim Kampf gegen das guelfische<lb/> Papstthum. Wer sich aber klar ist über das, was wir wollen und wohin<lb/> der Kampf uns führen soll, der frage sich auch einmal, von wannen er ge¬<lb/> kommen, wo sein erster, innerster Grund liegt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1299"> Fragt die Edda, sie sagt es Euch! 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aber schlingt sich deutlich fühlbar der Faden, der die nordische Poesie noch mit
der Götterdichtung unsrer Ahnen verknüpft. Bald erinnert nur eine eigen¬
thümliche Naturauffassung, dann ein Anrufen der alten Helden daran, dann
wieder ist der Grundgedanke einer Romanze oder Ballade der Mythologie
entnommen. Wassermänner und Frauen, Schneekönigin, Kobolde steigen auf
und könnten durch ihre Menge erschrecken, sie sind' jedoch zum Glück nicht
verschwimmende Mondschein-Nachtfiguren in Tiek'scher Weise, sondern im
Bösen und Guten kräftig und individuell gehalten.
So erklärt sich vielleicht auch die sonderbare Erfahrung, daß, während
die deutschen Dichter in geistvoller Naturreligion auch unsre neusten Roman-
und Novellenschriftsteller' in ihrem großartigen Pantheismus den Dänen
Heiberg und seine Frühlings-Phantasie, Gottesdienst, an Bedeutung und Ur¬
sprünglichkeit der Gedanken bei weitem überragen, ihre Schöpfungen doch an
eigentlicher Volkstümlichkeit im Allgemeinen gegen ihre nordischen Brüder
zurück stehen.
Es gab eine Zeit in der ersten Hälfte unsres Jahrhunderts, als die
Poesie unter dem Einfluß Uhland's zur Volkstümlichkeit zurückkehrte. Uhland
entdeckte gleichsam von Neuem den lebenden Artern unsrer Poesie, er führte
Bilder und Anschauungen der alten Germanen seiner Zeit vor, und glücklicher
als Klopstock, der einst dasselbe versucht, wußte er die Gedanken der Mytho¬
logie dem modernen Deutschland so zu geben, daß sie verstanden wurden-
Nach ihm und seiner Schule aber erlosch wieder das Verständniß für den
altdeutschen Sagenstoff.
Jetzt wird in unsern höhern Schulen der Inhalt des Mahabarata und
Ramajana kennen gelernt, unsre Volksschullehrer machen sich darauf gefaßt,
beim Examen möglicher Weise Auskunft über das Königsbuch Schahname
oder über die metaphysische Lehre des Alfanabt geben zu müssen, unser eigenstes
Eigenthum, den Mythus unsres Volkes, die Edda dagegen, kennen die Meisten
nur vom Hörensagen. Bis vor wenig Jahren freilich fehlte es an einer allen
verständlichen Uebersetzung; Simrock hatte den Versuch allerdings gemacht, die
vergessenen Gesänge dem Volke wieder zu erwecken, er war gescheitert.
Seit 1872 besitzen wir in der Bearbeitung von Werner Hahn einen
Kreis von Eddagesängen, der uns die geheimnißvolle, tiefinnerliche Gedanken-
und Gefühlswelt unsrer Ur-Väter in schöner Klarheit erschließt. Eine Ein¬
leitung voll warmer Begeisterung für seinen Stoff weist uns auf den Ge¬
sichtspunkt, von dem aus der berühmte Literaturhistoriker sein Werk erfaßt
sehen will, zahlreiche und eingehende Erläuterungen helfen auch dem weniger
Eingeweihten zum Verständniß unsrer alten Poesie.
Jetzt ist die gesegnete Zeit, wo der Deutsche sich seiner Machtstellung nach
außen, seiner geistigen Unabhängigkeit nach innen wieder bewußt geworden, und
welcher Deutsche, der sich dessen bewußt geworden, stimmte nicht freudig
ein in den Feldruf: „Hie Waldungen," beim Kampf gegen das guelfische
Papstthum. Wer sich aber klar ist über das, was wir wollen und wohin
der Kampf uns führen soll, der frage sich auch einmal, von wannen er ge¬
kommen, wo sein erster, innerster Grund liegt.
Fragt die Edda, sie sagt es Euch! Sie erschließt wie kein andres Werk
deutschen Ursprungs: Wie sie war, wie sie ist, wie sie bleiben wird die ur¬
sprüngliche, sittliche, nicht zu betrügende Hoheit germanischen Geistes.
Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig.
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