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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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mahl der Erbtochter von Bretagne, obgleich diese bereits pro cura mit dem
römischen Könige vermählt war und obgleich Charles selbst dem Namen
nach Gemahl der elfjährigen Tochter Maximilian's von Oesterreich war.

Der deutsche Fürst hat die ihm angethane Beleidigung nicht ernstlich
zu rächen vermocht; denn schon damals begann das Leben des "letzten Rit¬
ters" sich zu zersplittern: war er doch bald an der Donau thätig, um gegen
die Ungarn Wien zu schützen, bald zu Brügge und Gent im Kampf mit re¬
bellischen-Bürgerschaften; so konnte er sich kaum wundern, daß sein Traum
durch die Hand des armorikanischen Erbfräuleins die Halbinsel am atlantischen
Ocean zu erwerben, zerrann, wie die Welle am Strand. -- Charles VIII.
aber that ebenfalls Alles, um dem ihn bedrohenden Rachekriege aus dem
Wege zu' gehn, sowol gegen Max als gegen Heinrich von England war er
zu großen Opfern bereit; denn auch seine Gedanken waren abgelenkt; nicht
Mehr die Bretagne, nicht mehr Flandern beschäftigte ihn; "er wollte neue
Dinge sehn und viel von sich reden machen!" Die Ritterspiele, welche ihm
der Herzog von Orleans bereitete und das Lesen der Ritterromane erfüllten
seine Seele mit einer seltsamen Sehnsucht, es den sagenverklärten Paladinen
Karl's des Großen gleichzuthun. Den ihm im Oetober 1492 geborenen Sohn
taufte er Charles Roland, und es kam eine eigene Abenteuerlust, eine Art
Don-Quichote-Stimmung über ihn, der dann auch bald der Schauplatz ge¬
öffnet ward.

Unter den Großen, welche heimgefallene Lehne vom Könige zurückgefor¬
dert, hatte sich Herzog Rene' von Lothringen befunden, welcher, als Erbe der
Anjou, Ansprüche auf das Herzogthum Bar und auf die Grafschaft Provence
erhob. Bar erhielt er; bis zur Entscheidung in Betreff der übrigen Ansprüche
wurde ihm auf 4 Jahre der Oberbefehl über 100 Lanzen mit einem Gehalt
von 36,000 Livres zugesichert. Ehe jedoch noch die 4jährige Frist abgelaufen
war, erschienen Abgeordnete der Provence bei König Karl und bewiesen dem
gern Ueberzeugten, daß nicht nur die Provence, sondern auch Neapel und Si¬
zilien und Alles, was das Haus Anjou je besessen habe, nicht dem Lothringer,
sondern ihm dem Könige zuständig sei. Wie der Blitz ins Pulverfaß fiel der Ge¬
danke in die Seele Charles'. Schwach von Geist und Körper, aber von ro¬
mantischer Schwärmerei erfüllt, begeisterte er sich für den Gedanken, über die
Alpen zu ziehn, Neapel in Besitz zu nehmen und von dort aus, seinem Ahnen,
Ludwig dem Heiligen, gleich, die Waffen Frankreichs in das Morgenland zu
tragen. Die klugen und erfahrenen Staatsmänner aus der Schule Louis' XI.
Wie Philippe de Commes, des Querdes, der Herzog von Bourbon und A.
verriethen den Plan; aber es gab in Frankreich ritterliche Abenteuerer,
kriegslustige Edelleute und phantastische Naturen genug, die den König in
seinem Entschlüsse bestärkten, und mit allen Mitteln italienischer Schlauheit


mahl der Erbtochter von Bretagne, obgleich diese bereits pro cura mit dem
römischen Könige vermählt war und obgleich Charles selbst dem Namen
nach Gemahl der elfjährigen Tochter Maximilian's von Oesterreich war.

Der deutsche Fürst hat die ihm angethane Beleidigung nicht ernstlich
zu rächen vermocht; denn schon damals begann das Leben des „letzten Rit¬
ters" sich zu zersplittern: war er doch bald an der Donau thätig, um gegen
die Ungarn Wien zu schützen, bald zu Brügge und Gent im Kampf mit re¬
bellischen-Bürgerschaften; so konnte er sich kaum wundern, daß sein Traum
durch die Hand des armorikanischen Erbfräuleins die Halbinsel am atlantischen
Ocean zu erwerben, zerrann, wie die Welle am Strand. — Charles VIII.
aber that ebenfalls Alles, um dem ihn bedrohenden Rachekriege aus dem
Wege zu' gehn, sowol gegen Max als gegen Heinrich von England war er
zu großen Opfern bereit; denn auch seine Gedanken waren abgelenkt; nicht
Mehr die Bretagne, nicht mehr Flandern beschäftigte ihn; „er wollte neue
Dinge sehn und viel von sich reden machen!" Die Ritterspiele, welche ihm
der Herzog von Orleans bereitete und das Lesen der Ritterromane erfüllten
seine Seele mit einer seltsamen Sehnsucht, es den sagenverklärten Paladinen
Karl's des Großen gleichzuthun. Den ihm im Oetober 1492 geborenen Sohn
taufte er Charles Roland, und es kam eine eigene Abenteuerlust, eine Art
Don-Quichote-Stimmung über ihn, der dann auch bald der Schauplatz ge¬
öffnet ward.

Unter den Großen, welche heimgefallene Lehne vom Könige zurückgefor¬
dert, hatte sich Herzog Rene' von Lothringen befunden, welcher, als Erbe der
Anjou, Ansprüche auf das Herzogthum Bar und auf die Grafschaft Provence
erhob. Bar erhielt er; bis zur Entscheidung in Betreff der übrigen Ansprüche
wurde ihm auf 4 Jahre der Oberbefehl über 100 Lanzen mit einem Gehalt
von 36,000 Livres zugesichert. Ehe jedoch noch die 4jährige Frist abgelaufen
war, erschienen Abgeordnete der Provence bei König Karl und bewiesen dem
gern Ueberzeugten, daß nicht nur die Provence, sondern auch Neapel und Si¬
zilien und Alles, was das Haus Anjou je besessen habe, nicht dem Lothringer,
sondern ihm dem Könige zuständig sei. Wie der Blitz ins Pulverfaß fiel der Ge¬
danke in die Seele Charles'. Schwach von Geist und Körper, aber von ro¬
mantischer Schwärmerei erfüllt, begeisterte er sich für den Gedanken, über die
Alpen zu ziehn, Neapel in Besitz zu nehmen und von dort aus, seinem Ahnen,
Ludwig dem Heiligen, gleich, die Waffen Frankreichs in das Morgenland zu
tragen. Die klugen und erfahrenen Staatsmänner aus der Schule Louis' XI.
Wie Philippe de Commes, des Querdes, der Herzog von Bourbon und A.
verriethen den Plan; aber es gab in Frankreich ritterliche Abenteuerer,
kriegslustige Edelleute und phantastische Naturen genug, die den König in
seinem Entschlüsse bestärkten, und mit allen Mitteln italienischer Schlauheit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/331>, abgerufen am 06.02.2025.