Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.Rom zurückließ, spricht sich in so rührenden Tönen aus, daß wir den antiken Er will nicht mehr als Dichter glänzen, will kein Werk schaffen für Noch lag ein Werk unvollendet in Rom, "der Festkalender" (?asti), in Rom zurückließ, spricht sich in so rührenden Tönen aus, daß wir den antiken Er will nicht mehr als Dichter glänzen, will kein Werk schaffen für Noch lag ein Werk unvollendet in Rom, „der Festkalender" (?asti), in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0299" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133587"/> <p xml:id="ID_935" prev="#ID_934"> Rom zurückließ, spricht sich in so rührenden Tönen aus, daß wir den antiken<lb/> Dichter kaum noch heraushören; es ist nicht nur ihre Pflege und ihr Trost,<lb/> die er in den Tagen der Krankheit und der Verzweiflung vermißt: wenn er<lb/> sie den erhabensten Frauengestalten der Heroenzeit gleichstellt und die einzelnen<lb/> Vorzüge derselben wie in einen Strauß vereinigt aus ihrem Herzen hervor¬<lb/> blühen sieht, wenn er in den wilden Phantasien des Fiebers nur sie in seiner<lb/> Nähe sieht und ihren Namen ruft, so sind dieß ideale, ja man darf sagen<lb/> romantische Züge, welche dem Alterthum fremd, uns aber um so lieber sind.<lb/> Und so können wir den poetischen Erzeugnissen dieser Periode, den „Büchern des<lb/> Leides" und den „Briefen vom Schwarzen Meer", wenn sie auch an Schwung<lb/> und Glanz unter den frühern stehen, unsere Sympathie nicht versagen, wir<lb/> vergessen den Dichter gern über dem Menschen, für diesen aber interesstren<lb/> wir uns um so mehr, weil die schmucklose Darstellung, Wahrheit und wirk¬<lb/> liche Empfindung athmet. Die Realität, welche der Dichter in seinen<lb/> früheren Dichtungen über den Rang und Glanz und Prunk der rhetorischen<lb/> Mittel so oft vernachlässigt hatte, tritt uns hier so zu sagen leibhaftig, und<lb/> zwar im Trauergewand entgegen, und während Ovid in seiner Blüthezeit<lb/> alle Schwungfedern seines Geistes angespannt hatte, um nur seine Darstellung<lb/> interessant zu machen, so wird jetzt durch den einfachen Ausdruck der Wahr¬<lb/> heit er selber uns interessant.</p><lb/> <p xml:id="ID_936"> Er will nicht mehr als Dichter glänzen, will kein Werk schaffen für<lb/> die Zukunft, er dichtet nur um für Augenblicke den Druck der Gegenwart<lb/> vergessen zu können; was er denkt und schreibt, fügt sich, wie früher, zwang¬<lb/> los zu Versen; dumpf-eintönig klingt die Weise, wie die Welle am Strand<lb/> des ungastlichen Meeres, und die grauen Farben der Einöde, die den einsamen<lb/> Grübler umgeben, werfen ihren Reflex auch über das Gedicht, kaum hie und<lb/> da unterbricht eine sonnige Stelle das düstere Bild.</p><lb/> <p xml:id="ID_937" next="#ID_938"> Noch lag ein Werk unvollendet in Rom, „der Festkalender" (?asti), in<lb/> glücklichen Tagen begonnen und ungefähr bis auf die Hälfte seines ursprünglich<lb/> beabsichtigten Umfangs gebracht — ein Gedicht, das in elegischer Form die<lb/> hervorragenden Momente des römischen Kalenders beschreibt und meist aus<lb/> den ältesten Sagen- und Geschichtsquellen Roms geschöpft ist. Monat für<lb/> Monat, Tag für Tag folgt der Dichter dem Kalender vom 1. Januar, erklärt<lb/> den Ursprung aller vorkommenden Namen und Feste, schildert deren Feier<lb/> und Gebräuche und verknüpft damit alle mythisch-geschichtlichen und astro¬<lb/> nomischen Beziehungen, die sich irgendwie mit der Bedeutung des betreffenden<lb/> Tages in Verbindung bringen lassen. Der an und für sich trockne und für<lb/> phantasiereiche Behandlung wenig ergiebige Stoff ist gewürzt durch eine Menge<lb/> verzierender Episoden und anmuthigster, mit wahrhaft Ovidischer Kunst aus¬<lb/> gestatteter Schilderungen. Es bedarf keiner tiefen Psychologie, um sich zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0299]
Rom zurückließ, spricht sich in so rührenden Tönen aus, daß wir den antiken
Dichter kaum noch heraushören; es ist nicht nur ihre Pflege und ihr Trost,
die er in den Tagen der Krankheit und der Verzweiflung vermißt: wenn er
sie den erhabensten Frauengestalten der Heroenzeit gleichstellt und die einzelnen
Vorzüge derselben wie in einen Strauß vereinigt aus ihrem Herzen hervor¬
blühen sieht, wenn er in den wilden Phantasien des Fiebers nur sie in seiner
Nähe sieht und ihren Namen ruft, so sind dieß ideale, ja man darf sagen
romantische Züge, welche dem Alterthum fremd, uns aber um so lieber sind.
Und so können wir den poetischen Erzeugnissen dieser Periode, den „Büchern des
Leides" und den „Briefen vom Schwarzen Meer", wenn sie auch an Schwung
und Glanz unter den frühern stehen, unsere Sympathie nicht versagen, wir
vergessen den Dichter gern über dem Menschen, für diesen aber interesstren
wir uns um so mehr, weil die schmucklose Darstellung, Wahrheit und wirk¬
liche Empfindung athmet. Die Realität, welche der Dichter in seinen
früheren Dichtungen über den Rang und Glanz und Prunk der rhetorischen
Mittel so oft vernachlässigt hatte, tritt uns hier so zu sagen leibhaftig, und
zwar im Trauergewand entgegen, und während Ovid in seiner Blüthezeit
alle Schwungfedern seines Geistes angespannt hatte, um nur seine Darstellung
interessant zu machen, so wird jetzt durch den einfachen Ausdruck der Wahr¬
heit er selber uns interessant.
Er will nicht mehr als Dichter glänzen, will kein Werk schaffen für
die Zukunft, er dichtet nur um für Augenblicke den Druck der Gegenwart
vergessen zu können; was er denkt und schreibt, fügt sich, wie früher, zwang¬
los zu Versen; dumpf-eintönig klingt die Weise, wie die Welle am Strand
des ungastlichen Meeres, und die grauen Farben der Einöde, die den einsamen
Grübler umgeben, werfen ihren Reflex auch über das Gedicht, kaum hie und
da unterbricht eine sonnige Stelle das düstere Bild.
Noch lag ein Werk unvollendet in Rom, „der Festkalender" (?asti), in
glücklichen Tagen begonnen und ungefähr bis auf die Hälfte seines ursprünglich
beabsichtigten Umfangs gebracht — ein Gedicht, das in elegischer Form die
hervorragenden Momente des römischen Kalenders beschreibt und meist aus
den ältesten Sagen- und Geschichtsquellen Roms geschöpft ist. Monat für
Monat, Tag für Tag folgt der Dichter dem Kalender vom 1. Januar, erklärt
den Ursprung aller vorkommenden Namen und Feste, schildert deren Feier
und Gebräuche und verknüpft damit alle mythisch-geschichtlichen und astro¬
nomischen Beziehungen, die sich irgendwie mit der Bedeutung des betreffenden
Tages in Verbindung bringen lassen. Der an und für sich trockne und für
phantasiereiche Behandlung wenig ergiebige Stoff ist gewürzt durch eine Menge
verzierender Episoden und anmuthigster, mit wahrhaft Ovidischer Kunst aus¬
gestatteter Schilderungen. Es bedarf keiner tiefen Psychologie, um sich zu
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